Nada Calviño: Der Krise mit Einigkeit, Entschlossenheit und Solidarität begegnen

Nada Calviño: Der Krise mit Einigkeit, Entschlossenheit und Solidarität begegnen
Copyright euronews
Von Efi KoutsokostaSabine Sans
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Die stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens Nadia Calviño im euronews-Interview über die Energiekrise, den deutschen Alleingang und die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine.

Die Energiekrise eskaliert, die Erdgaspreise sind viermal so hoch wie im vergangenen Winter, die Inflation erreicht ein zweistelliges Rekordhoch. Die EU ringt noch immer um eine gemeinsame Basis. Gibt es einen Weg, der Situation zu entkommen? Zu diesem Thema hat euronews-Reporterin Efi Koutsokosta die stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens, Nadia Calviño, in Luxemburg im Rahmen von The Global Conversation interviewt.

Euronews-Reporterin Efi Koutsokosta: Frau Ministerin, der Krieg in der Ukraine hat dramatische Auswirkungen auf die Energiesituation in Europa, die sich auch auf unsere Volkswirtschaften auswirken. Wie schlimm ist die Lage? 

Nadia Calviño, stellvertretende Ministerpräsidentin Spaniens: Natürlich sind wir alle von dem Krieg vor den Toren Europas, vor den Toren unserer Länder und auch von Putins Energie-Erpressung betroffen. Aber das Ausmaß der Auswirkungen ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. So sind Volkswirtschaften, wie die deutsche Wirtschaft, die baltischen Länder und auch die Nachbarländer der Ukraine, am stärksten betroffen. Und glücklicherweise gibt es andere Länder, wie die spanische Wirtschaft, die weniger stark betroffen ist, da wir weniger von Öl und Gas aus Russland abhängig sind, und dadurch weniger von den Risiken betroffen sind, die sich aus der aktuellen Situation ergeben.

Wird die EU der Krise gerecht?

Euronews: In Bezug auf die Reaktion der EU auf diese Krise, wird die EU häufig dafür kritisiert, dass es ihr nicht gelungen ist, die hohen Preise für importiertes Gas in Europa zu senken. Hat die EU es bisher nicht geschafft, der Situation gerecht zu werden? 

Nadia Calviño: Ich wünschte, wir hätten früher gehandelt, aber besser spät als nie. Wir sind sehr dafür, dass die Kommission jetzt entschiedene Maßnahmen ergreift, wir unterstützen die Preisobergrenzen für gemeinsame Käufe und auch das Beispiel des iberischen Mechanismus mit dem Höchstpreis für Gas, der eine Preisobergrenze darstellt, die sich meiner Meinung nach als äußerst wirksam erweist, um die Preise zu deckeln und die Auswirkungen auf Bürger und Unternehmen zu begrenzen bzw. abzumildern. 

Euronews: Während die EU versucht, eine gesamteuropäische Lösung zu finden, hat die deutsche Regierung erklärt, sie sei bereit, bis zu 200 Milliarden Euro auszugeben, um Verbrauchern und Unternehmen bei der Bewältigung der steigenden Energiepreise zu helfen. Untergräbt das einen gesamteuropäischen Ansatz zur Bewältigung der Energiekrise? 

Nadia Calviño: Wie bei der Pandemie müssen wir meiner Meinung nach auf der Grundlage von drei Prinzipien reagieren. Das sind Einigkeit, Entschlossenheit und Solidarität. Sie haben sich als richtig erwiesen, als wir mit der Pandemie konfrontiert waren, die eine globale Herausforderung darstellte. Und jetzt, wo wir mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert sind, die über die nationalen Grenzen hinausgeht, sollten wir geschlossen handeln und Wege finden, um so wirksam wie möglich zu reagieren. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass die Auswirkungen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sind, und das zeigt auch, dass wir eine angemessene Flexibilität in unseren Vorschriften brauchen, um den Unterschieden zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften und den Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, Rechnung zu tragen. 

Der deutsche Alleingang

Euronews: Billigen Sie also, was Deutschland getan hat? Sind Sie nicht ein wenig frustriert, weil das Land bei der Bewältigung dieser Krise allein handelt? 

Nadia Calviño: Wir sind alle damit konfrontiert, wie wir die Preise eindämmen und unsere Bürger und Unternehmen in unseren Ländern unterstützen können. Die Situation ist z. B. in Deutschland und Spanien sehr unterschiedlich. Ich möchte Ihnen nur ein paar Zahlen nennen. In Spanien sehen wir ein sehr starkes Wachstum. Die aktuellen Daten veranlassen uns sogar, unsere Wachstumsprognose für dieses Jahr auf 4,4 % nach oben zu korrigieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir in unserem Land keine wichtigen Maßnahmen mit erheblichen steuerlichen Auswirkungen ergreifen müssen, um Bürger und Unternehmen zu unterstützen. Wir stehen also alle vor der gleichen Herausforderung, wie wir unsere Gesellschaften weiterhin unterstützen und die negativen Auswirkungen von Putins Energie-Erpressung minimieren können, während wir gleichzeitig den Abbau des Defizits und der Verschuldung sicherstellen und so die fiskalische Verantwortung wahren. 

Euronews: Handelt Deutschland also auf dieser Grundlage, die Sie gerade beschrieben haben? Die Grundlage der Solidarität? 

Nadia Calviño: Während der Pandemie haben wir eine starke Solidarität aus Deutschland erlebt. Das ist extrem wichtig für Länder wie Spanien, das sehr direkt von der Pandemie betroffen war. 

Euronews: Ist das auch bei der Energiekrise der Fall?

Nadia Calviño: Ich sehe eine klare Parallele, eine Art Symmetrie, in dem Sinne, dass wir von der EU unterstützt wurden, als die spanische Wirtschaft direkt von der Pandemie betroffen war. Und jetzt signalisieren auch wir unsere starke Solidarität mit den Ländern, die am unmittelbarsten von der Erpressung und den Risiken und Herausforderungen betroffen sind, die sich aus der Aggression gegen die Ukraine ergeben. 

Die Konjunkturprogramme sind wichtig für Reformen und Investitionen

Euronews: Ist es an der Zeit, ein ähnliches Instrument wie bei der Pandemie, den SURE- Mechanismus, einzurichten, um auch diese Krise zu bewältigen? 

Nadia Calviño: Wir müssen sehen, welche Instrumente bereits im europäischen Haushalt und in den Konjunkturprogrammen zur Verfügung stehen. Das sind sehr wichtige Finanzierungsquellen, die einen Beitrag leisten können, die eine sehr bedeutende antizyklische Wirkung haben und es uns ermöglichen, Investitionen und Reformen mit strukturellem Charakter vorzunehmen. Wir müssen die Konjunkturprogramme nutzen, um die potenziellen Auswirkungen auf das Wachstum auf nationaler, aber vor allem auf europäischer Ebene zu maximieren. 

Euronews: Wie Sie wissen, sind die kürzlich von den Ministern veröffentlichten Zahlen sehr entmutigend, die Inflation hat einen Rekordwert von 10 % erreicht. Die Energiepreise sind im Vergleich zum Vorjahr um 40,8 % gestiegen, gefolgt von den Lebensmitteln. Wie muss man darauf reagieren? 

Nadia Calviño: Es handelt sich im Grunde um eine Inflation, die in die EU importiert wird und die auf die hohen Energiepreise und andere Rohstoffe zurückzuführen ist, wie Sie bereits erwähnten, und natürlich auf die Abwertung des Euro. Wir sollten schnellstmöglich verhindern, dass diese Inflation in die EU und die Eurozone importiert wird, und versuchen, die Energiepreise einzudämmen. Aus diesem Grund unterstützen wir die Vorschläge der Kommission nachdrücklich. Und wir fordern sie auf, schnell zu handeln, dringend zu handeln, um den Regulierungsrahmen zu aktualisieren, um Gaspreisobergrenzen vorzuschreiben oder auf jeden Fall den Verweis auf den virtuellen Handelspunkt TTF (Title Transfer Facility, ein virtueller Handelspunkt im niederländischen Gasnetz, über den der Erdgas-Handel für die Niederlande abgewickelt wird) zu ändern, der sich als anfällig für Spekulationen und hohe Preissteigerungen erweist, und einen geeigneten Rahmen zu finden, um sicherzustellen, dass der Anstieg der Preise in Europa so bald wie möglich gestoppt wird. 

Schürt die Krise soziale Unruhen in Europa?

Euronews: Und meine letzte Frage: Könnten all diese Herausforderungen und Ungewissheiten soziale Unruhen in der EU schüren? 

Nadia Calviño: Das ist eine Herausforderung, die wir ständig im Blick halten müssen. Europäische Bürger, wir alle, haben in den vergangenen drei Jahren, seit die Pandemie uns heimgesucht hat, sehr harte Zeiten, ein sehr hartes Szenario erlebt. Im Falle Spaniens hatten wir auch einen Vulkanausbruch. Und dann kamen der Krieg, die Inflation und die Energiepreissteigerungen, die alle Bürger, Haushalte und Unternehmen in Europa betreffen. Deshalb müssen wir zum jetzigen Zeitpunkt äußerst vorsichtig und verantwortungsbewusst vorgehen, um die richtigen Maßnahmen zur Unterstützung unserer Bürger zu ergreifen, ohne jedoch die Notwendigkeit aus den Augen zu verlieren, die Haushaltskonsolidierung und die finanzielle Stabilität in der Eurozone und in der EU insgesamt zu gewährleisten.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

EIB-Chefin Nadia Calviño im Interview: "Wollen Agrarsektor und Bürger unterstützen"

Die Medien: Ein Wirtschaftszweig wie jeder andere?

Erbe der Finanzkrise: „Die der griechischen Gesellschaft auferlegten Maßnahmen waren zu streng“