Nach drei Monaten Proteste im Iran: Wie realistisch ist ein Ende des Regimes?

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Von Shafia KhawajaEuronews mit dpa, AP
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Nach drei Monaten ist die Protestbewegung im Iran immer noch nicht abgeflacht. Was ist seit dem Tod von Jina Mahsa Amini passiert? Ein Rückblick über die wichtigsten Ereignisse.

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Seit dem Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini sind tausende Menschen im Iran auf die Straße gegangen. Ihr eigentlicher kurdischer Name Jîna Emînî wurde von den iranischen Behörden nicht anerkannt.

Laut Menschenrechtsorganisationen wurden seit September mehr als 18.000 Demonstrierende festgenommen und mindestens 500 weitere getötet. Anfang Dezember hat das iranische Regime zwei Demonstrierende öffentlich hinrichten lassen. 

Laut der "Human Rights Activists News Agency" sind bereits mehr als 500 Menschen getötet und mehr als 18.000 festgenommen worden.

Anders als bei den Protesten im November 2019 als die Benzinpreise explodiert sind, geht es dieses Mal nicht ausschließlich um wirtschaftliche Sorgen, sondern auch um politische und soziale Bedenken. Viele Iraner und Iranerinnen sehen keine Zukunft mehr und haben nichts mehr zu verlieren. Die aktuellen Proteste richten sich außerdem direkt gegen das religiöse Oberhaupt Ayatollah Khamenei und nicht gegen den Präsidenten Ebrahim Raisi.

Im Gegensatz zu vorherigen Protesten zieht sich die Bewegung durch alle gesellschaftlichen Schichten, unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Klasse – noch nie gab es so eine breite Unterstützung. Nach drei Monaten andauernder Demonstrationen ist davon auszugehen, dass sich die iranische Bevölkerung nicht mit Reformen zufriedengeben würde, sollten welche angeboten werden. Die Menschen wollen eine radikalen Wandel. Sie hoffen auf eine Revolution.

Auch in anderen Ländern weltweit haben Menschen demonstriert und ihre Solidarität bekundet. "Jin, Jîyan, Azadî", eine feministische Parole kurdischen Ursprungs, die "Frau, Leben, Freiheit" bedeutet, ist zum Kampfruf der Demonstrationen geworden.

Wie sich die Proteste in Zukunft entwickeln werden, ist schwierig zu sagen, weil es keine Opposition oder politische Alternative gibt, schätzt die persische Redaktion von Euronews.  Trotz der starken Einschränkung des Internets, haben sich die Menschen viel über die Sozialen Medien organisiert und so zum Beispiel Anfang Dezember zu einem Generalstreik aufgerufen. 

Das iranische Regime steht unter Druck – so sehr wie noch nie zuvor. Ob das Regime durch die Proteste aber tatsächlich gestürzt werden kann, lässt sich aus heutiger Sicht noch nicht sagen. 

Wie ist es zu dieser Protestbewegung gekommen? Ein Rückblick auf die vergangenen drei Monate.  

16. September: Hintergrund der Proteste

Die 22-jährige Kurdin Jîna Mahsa Amini wurde von der Sittenpolizei verhaftet, weil sie angeblich ihren Hijab nicht korrekt trug. Sie starb am 16. September in Polizeigewahrsam. Die iranische Regierung und die Polizei wiesen den Anschuldigungen zurück für den Tod verantwortlich zu sein. Stattdessen sei Aminis Tod auf Organversagen und eine Vorerkrankung zurückzuführen, so die Behörden.

Ihre Familie dementierte die Behauptungen: Jîna Mahsa Amini sei durch einen Schlag auf den Kopf gestorben.

21. September: Massive Einschränkung des Internets

Bereits zu Beginn der Proteste schränkte das iranische Regime den Internetzugang stark ein: Instagram und Twitter wurden gesperrt und mobile Netzwerke weitestgehend abgeschaltet. Demonstrierende hatten es dadurch schwerer, Informationen, Bilder und Videos über die Proteste zu verbreiten.

Im Iran schnitten sich sowohl Frauen als auch Männer die Haare ab - als Symbol des Widerstands. Auf den sozialen Medien ahmten es ihnen unzählige Menschen, darunter auch viele Prominente, bald nach und teilten Videos davon, wie sie sich die Haare abschnitten.

"Für Frauen im Iran ist das Abschneiden ihrer Haare eine Form des Protests ... ein Symbol, um sich gegen den verpflichtenden Hijab zu wehren", erklärte Dorna Javan, eine iranische Politikwissenschaftlerin, die in Frankreich lebt und auf den Iran spezialisiert ist. Eine solche visuelle Geste sei eine Möglichkeit für Frauen auf der ganzen Welt, sich für die Notlage der iranischen Frauen einzusetzen, fügte sie hinzu.

Auch die schwedische Abgeordnete Abir Al-Sahlani schnitt sich am Rednerpult im Europäischen Parlament die Haare ab, um sich mit den Demonstrierenden im Iran zu solidarisieren. Al-Sahlani forderte die "bedingungslose und sofortige Beendigung aller Gewalt gegen die Frauen und Männer im Iran".

Doch auch der Protest auf den Sozialen Medien kann für Iranerinnen und Iraner gefährlich werden: Der Popsänger Shervin Hajipour wurde Ende September von Sicherheitskräften festgenommen. Sein Lied "Baraye" gilt als inoffizielle Hymne der Bewegung und wurde auf Instagram mehr als 40 Millionen Mal aufgerufen. Nach wenigen Tagen konnte der Sänger gegen eine Kaution entlassen werden.

Baraye, das persische Wort für "Für" oder "Weil", besteht aus Tweets über die Proteste und unterstreicht die Sehnsucht der Menschen nach Dingen, die im sanktionsgeplagten Iran fehlen.

15. Oktober: Großbrand des Evin-Gefängnisses

Das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran stand Mitte Oktober in Flammen - dabei kamen vier Menschen ums Leben, rund 60 weitere wurden verletzt. 

Hunderte Menschen waren in Evin inhaftiert: Langjährige regimekritische Gefangene und Demonstrierende, die bei den vorangegangen Protesten festgenommen wurden. Menschenrechtsorganisationen berichteten von wiederholten Misshandlungen der Gefangenen. 

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Einige Systemkritiker vermuteten, dass der Brand eine Sabotageaktion des Regimes war, um ein Zeichen zu setzen: Auch im Gefängnis sind Demonstrierende nicht sicher. 

21. November: Bombardierung kurdischer Regionen im Nordirak

Ende November griffen die iranischen Revolutionsgarden mit Raketen und Drohnen erneut kurdische Stützpunkte im benachbarten Nordirak an. Bereits in den Wochen zuvor hatte die Islamische Republik immer wieder Stellungen im Nordirak bombardieren lassen.

Teheran wirft den kurdischen Gruppen im Nordirak vor, die landesweiten Proteste gegen die Regierung und das islamische Herrschaftssystem im Iran zu unterstützen.

In den iranischen Kurdengebieten, zuletzt in der Stadt Mahabad, geht der Sicherheitsapparat mit Härte gegen Demonstranten vor. Die kurdischen Regionalregierung verurteilte den iranischen Angriff aufs Schärfste. Er sei "unentschuldbar und eine grobe Verletzung des Völkerrechts".

6. Dezember: Auflösung der Sittenpolizei, ein Ablenkungsmanöver

Anfang Dezember hatte der iranische Generalstaatsanwalt Mohammad Jafar Montazeri bekannt gegeben, dass die Einheiten der Sittenpolizei geschlossen worden seien. Die Aussagen wurden allerdings nicht von offziellen Instanzen bestätigt. 

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Viele sahen in der Ankündigung nur ein Ablenkungsmanöver. Die Abschaffung der Sittenpolizei führe nicht automatisch zu einer Lockerung der Kleidervorschriften, denn die iranische Kopftuchpolitik stellt eine wichtige ideologische Stütze der klerikalen Führung des Landes dar.

Laut vielen Expertinnen und Experten sei die angebliche Abschaffung der Sittenpolizei nur ein Ablenkungsmanöver.

8. Dezember: Die erste Hinrichtung, der Rap-Musiker Mohsen S.

Es war die erste Exekution, die Zusammenhang mit den systemkritischen Protesten seit Mitte September bekanntgeworden war. Mohsen S. soll ein Basidsch-Mitglied mit einer Waffe angegriffen und eine Straße blockiert haben.

Seine Hinrichtung wurde sowohl im In- und Ausland, als auch auf den Sozialen Medien scharf verurteilt. So schrieben Internetnutzerinnen und -nutzer etwa "Wir Wind sät, wird Sturm ernten" oder "Wir werden das Blut der Unschuldigen rächen". 

12. Dezember: Zweite Hinrichtung eines Demonstranten

Der Demonstrant Madschid-Resa R. wurde in der Stadt Maschad im Nordosten des Landes öffentlich gehängt. Der Mann soll während der Proteste im November zwei Mitglieder der berüchtigten paramilitärischen Basidsch-Miliz mit einem Messer getötet haben.

Er wurde wegen "Moharebeh", dem "Krieg gegen Gott" verurteilt – eine Anklage, auf die nach dem islamischen Recht der Scharia die Todesstrafe steht. Das iranische Regime sehe sich als eine Verlängerung Gottes, ein Angriff gegen das Regime sei daher ein Angriff gegen Gott, erklärt die persische Redaktion von Euronews. Der Anklagepunkt "Moharebeh" gelte normalerweise auch für andere Straftaten, wie etwa bewaffneter Überfall. Bisher sei aber noch niemand, der demonstriert hat, wegen "Krieg gegen Gott" angeklagt worden. 

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Mindestens 25 weiteren Demonstrierenden könnte die Todesstrafe drohen.

Insgesamt stehen mindestens 25 weitere Demonstrierende auf der Todesliste der iranischen Justiz.

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