Die Rebellengruppe HTS, die den Sturz des Assad-Regimes anführte, versucht nach und nach, "Normalität" im Alltag unter neuen Bedingungen herzustellen. Besonders wichtig ist dabei der Sektor von Polizei und Armee.
Zehn Tage nach dem dem Sturz des Assad-Regimes versucht die Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Sham (HTS) ihre Macht in Syrien zu konsolidieren. Nach und nach bringt sie Schlüsselsektoren des Landes unter ihre Kontrolle, zuletzt das Militär und die Polizeikräfte. Ein besonders heikler Bereich nach der jahrelangen Diktatur.
Die HTS, die Ende November eine Koalition von Milizen bei einer Überraschungsoffensive anführte und in der Nacht vom 7. zum 8. Dezember den Sturz von Baschar al-Assad errang, hat sich zur wichtigsten Kraft in Syrien entwickelt. In den vergangenen zehn Tagen hat sie eine neue Übergangsregierung ernannt und Syrer im Ausland, von denen einige seit über einem Jahrzehnt vertrieben sind, zur Rückkehr ermuntert.
Das Leben in Damaskus kehrt allmählich zur Normalität zurück. Die Schulen haben wieder geöffnet und die sozialen Dienste werden wiederhergestellt. Auch die ausländischen Botschaften werden langsam wieder geöffnet. Die französische Flagge wurde über der Botschaft in Damaskus gehisst, eine symbolische Geste von Paris. Französische Beamte bestätigten, dass zum ersten Mal seit zwölf Jahren ein Spitzendiplomat in der syrischen Hauptstadt eingetroffen sei, um Gespräche mit der neuen Regierung des Landes zu führen.
Die HTS unter der Führung von Ahmed al-Sharaa, der früher unter seinem Alias Mohammed al-Dscholani bekannt war, hat nach eigenen Angaben interne Reformen durchgeführt mit dem Ziel, ein Syrien auf Basis von "Einheit, Nationalismus und Frieden" zu schaffen.
HTS übernimmt Kontrolle der Polizei in der Hauptstadt
Abou Othma, der zuvor die Polizei der nordwestsyrischen Rebellenhochburg Idlib leitete, wurde von der HTS mit der Leitung aller Polizeistationen in der Hauptstadt Damaskus betraut.
Er soll die künftigen Gesetze der Gruppe durchsetzen, die derzeit beraten werden. Die Polizei von Damaskus muss von Grund auf neu aufgebaut werden. Alle Polizisten, die unter al-Assad in der Hauptstadt Dienst taten, wurden ersetzt und ihre Waffen eingezogen. "Die meisten der ehemaligen Polizisten flohen sofort, als wir ankamen. Aber wir haben ein paar von ihnen verhaftet", erzählt ein bewaffneter Mann, der vor kurzem der neuen Polizei beigetreten ist und seinen Namen nicht nennen will.
Die neuen Beamten kommen aus Idlib. Die Polizei in Damaskus hat derzeit eingeschränkte Aufgaben. Ohne neue Gesetze kann sie nichts durchsetzen. Der Großteil ihrer täglichen Arbeit besteht darin, Beschwerden aus der Bevölkerung entgegenzunehmen und mündliche Zusicherungen zu geben.
Abgesehen von einem klaren Rechtsrahmen kämpft die Polizei in Damaskus auch mit Personalmangel. Der neue Polizeichef Abou Othma bekräftigt: "Wir haben eindeutig einen Mangel an Polizeibeamten. Deshalb werden wir die Türen unserer Einrichtung für diejenigen öffnen, die sich uns anschließen wollen. Nach einer Bewertung werden wir mit der Rekrutierung fortfahren."
Versuch, ehemalige Soldaten und Polizisten zu rehabilitieren
Die neuen Machthaber haben außerdem ein "Versöhnungsprogramm" für Militärangehörige und Polizisten des alten Regimes gestartet. In einem Zentrum in der nordsyrischen Stadt Latakia können diese ihre Personalien bei der Übergangsregierung anmelden und neue Ausweise erhalten, mit denen sie sich im Land frei bewegen können sollen. Ihre Waffen werden beschlagnahmt, solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist. Vor dem Zentrum in Latakia bildet sich eine lange Schlange.
Die neue, von der HTS eingesetzte syrische Übergangsregierung hat ehemaligen Soldaten und Polizeibeamten, die sich nicht an der Folterung und Tötung von Zivilisten während der Herrschaft von al-Assad beteiligten, Sicherheitsgarantien und Amnestie gewährt.
Sie ruft die Menschen auf, wieder zu arbeiten, und ermutigt syrische Flüchtlinge in aller Welt, zurückzukehren und beim Wiederaufbau zu helfen. Sie kündigte aber auch die Überprüfung der Sicherheitskräfte an, um die Rückkehr derer zu verhindern, "die Blut an ihren Händen haben".