Marine Le Pen wurde wegen des Vorwurfs der Veruntreuung von EU-Geldern schuldig gesprochen. Alle angeklagten Abgeordneten wurden außerdem vom Gericht ab sofort für unwählbar erklärt. Sie kann demnach 2027 nicht bei den Präsidentschaftswahlen antreten.
Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen ist wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Zwei Jahre auf Bewährung und die übrigen beiden können durch das Tragen einer elektronischen Fußfessel abgebüßt werden. Ihre Geldstrafe beläuft sich auf 100.000 Euro. Sie ist außerdem ab sofort unwählbar, hat das Gericht geurteilt. Damit ist ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2027 nicht mehr möglich. Laut aktuellen Umfragen wäre sie mit 34 bis 37 Prozent die beliebteste Kandidatin gewesen.
Auch acht Europaabgeordnete der Partei Rassemblement National wurden wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder für schuldig befunden. Alle angeklagten Parlamentsabgeordneten, darunter Marine Le Pen, wurden vom Gericht mit sofortiger Wirkung für unwählbar erklärt. Marine Le Pen hat daraufhin den Gerichtssaal verlassen, ohne die vollständige Verkündung ihres Strafmaßes anzuhören.
Unwählbarkeit bedeutet, dass die Abgeordneten in den nächsten fünf Jahren für keine öffentlichen Ämter antreten dürfen. Le Pen landete aktuellen Umfragen zufolge auf dem ersten Platz für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027. Eine Kandidatur ist jetzt nicht mehr möglich. Die sofortige Vollstreckung - exécution provisoire - bedeutet, dass die Strafe sofort gilt.
Frankreichs Parteien sind sich uneins - geht das Urteil zu weit?
Der Anwalt von Marine Le Pen, Rodolphe Bosselut, hat in einer kurzen Presseerklärung vor dem Pariser Hauptsitz der Partei angekündigt, Berufung einzulegen. "Das ist ein Schlag gegen die Demokratie“, fügte der Anwalt hinzu.
„Marine Le Pen hat unser Lager auf den Weg des Sieges geführt. Das ist ihre einzige Schuld, und dafür wird sie verurteilt“, sagte Europaabgeordnete Marion Maréchal, die früher selbst Teil der Partei war.
Aber nicht nur (ehemalige) Parteikollegen der dreifachen Präsidentschaftskandidatin kritisieren die Entscheidung des Gerichts. Viele sehen eine politische Komponente im Urteil, das eigentlich rein rechtlich sein soll. "Es ist nicht gesund, dass in einer Demokratie einer gewählten Vertreterin verboten wird, bei einer Wahl anzutreten", sagte auch der Fraktionschef der Republikaner (Les Républicains), Laurent Wauquiez.
"Die Entscheidung, einen gewählten Vertreter abzusetzen, sollte dem Volk obliegen“, urteilte auch Jean-Luc Mélenchon auf der Plattform X kurz nach einer Erklärung seiner linkspopulistischen Partei La France Insoumise. Er fügte hinzu, dass er damit vollkommen übereinstimme. Parteien über das gesamte Spektrum sehen die Vorgehensweise des Gerichts und die Härte des Strafmaßes kritisch.
„Die Nichtwählbarkeit ist eine rechtmäßige Maßnahme. Das ist das Gesetz“, sagte ein ehemaliges Mitglied der Renaissance-Partei, Sacha Houlié. Er ist jetzt ein fraktionsloser Abgeordneter im Parlament. Er ist der Meinung, der Richter habe lediglich das Gesetz angewendet und somit seine Aufgabe rechtmäßig erfüllt.
Rechtsgerichtete Politiker in Europa solidarisieren sich mit Le Pen
Marine Le Pen war mehrmals Präsidentschaftskandidatin und ist ehemalige Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN), die in Frankreich bei den Parlamentswahlen 2024 auf den dritten Platz gewählt wurde. Die Partei wurde ehemals von Le Pens Vater unter dem Namen Front National gegründet und bewegt sich im konservativen rechtspopulistischen Feld. Mit Kampagnen zu den Themen Migration und Nationalismus konnte die Partei vor allem im letzten Jahrzehnt immer mehr Zustimmung gewinnen. Die Partei wurde ebenfalls zu einer Geldstrafe von 2 Millionen Euro verurteilt.
„Heute ist es nicht nur Marine Le Pen, die zu Unrecht verurteilt wird: Es ist die französische Demokratie, die hingerichtet wird“, kritisierte der Vorsitzende des Rassemblement National, Jordan Bardella. Auch andere Parteikollegen pflichten ihm öffentlich bei, die Demokratie in Frankreich sei in Gefahr.
Auch europäische Politiker reagierten prompt auf das Urteil. Der ungarische Ministerpräsident teilte auf der Social Media Plattform X "Ich bin Marine" - eine Anlehnung an "Je suis Charlie", das nach dem Attentat auf die Zeitung Charlie Hebdo große Verwendung fand.
Der Kreml beklagte eine „Verletzung demokratischer Normen“. „In der Tat gehen immer mehr europäische Hauptstädte den Weg der Verletzung demokratischer Normen“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag bei seinem täglichen Briefing.
Der Parteichef der italienischen Liga, Matteo Salvini prangert „eine Kriegserklärung Brüssels“ als Grund für die Verurteilung von Marine Le Pen an. „Wer das Urteil der Wähler fürchtet, wird oft durch das Urteil der Gerichte beruhigt. In Paris haben sie Marine Le Pen verurteilt und möchten sie am liebsten aus dem politischen Leben ausschließen. Ein schlechter Film, den wir auch in anderen Ländern wie Rumänien sehen“, sagte Salvini in einer Erklärung.
Betrugsprozess gegen Le Pen: Forderungen der Staatsanwaltschaft
Le Pen und 24 weitere Kollegen des Rassemblement National wurden beschuldigt, über einen Zeitraum von vier Jahren Gelder veruntreut zu haben, die für die Mitarbeiter des Europäischen Parlaments bestimmt waren, um damit Mitarbeiter der Partei zu bezahlen. Es geht dabei um einen Betrag von mehreren Millionen Euro.
Nach Abschluss des Prozesses im November forderte die Staatsanwaltschaft Schuldsprüche für Le Pen und ihre Mitangeklagten, die allerdings jegliches Fehlverhalten abgestritten haben.
Der Staatsanwalt forderte konkret eine Geldstrafe in Höhe von 300.000 Euro und eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren. Neben Haft- und Geldstrafe steht außerdem der Verlust des passiven Wahlrechts für fünf Jahre in den Forderungen. Sollten die Richter dem stattgeben, könnte Le Pen während dieser Zeit bei keiner Wahl für öffentliche Ämter antreten.
Darüber hinaus fordert die Staatsanwaltschaft eine sogenannte exécution provisoire: eine vorläufige Vollstreckung des Urteils. Damit würde Strafe direkt in Kraft treten - selbst wenn Le Pen Rechtsmittel einlegt. Die drei Richter sind nicht verpflichtet, den Empfehlungen des Staatsanwalts zu folgen. Sollten sie dies aber tun, würde ein Schuldspruch für Le Pen sie effektiv an der Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2027 hindern. Nach bisherigen Umfragen würde Le Pen mit 34 bis 37 Prozent der Wählerstimmen an der Spitze stehen und die Linke sowie den Mittelblock hinter sich platzieren.
Marine Le Pen spricht von "politischem Tod"
Marine Le Pen weiß sehr genau, was für sie auf dem Spiel steht. Die Staatsanwaltschaft fordere nichts Geringeres als ihren "politischen Tod" - so hatte es Le Pen Mitte November im Fernsehsender TF1 formuliert. "Deshalb sage ich den Franzosen: Sollten sie durch eine irreparable Entscheidung in ihren Wahl-Optionen eingeschränkt werden, dann wäre das ein schwerwiegender Angriff auf die Demokratie", begründete sie.
Sie wies die Anschuldigungen zurück, sie stehe an der Spitze eines "Systems", das darauf abziele, Gelder des EU-Parlaments zugunsten ihrer Partei abzuschöpfen, und argumentierte stattdessen, es sei akzeptabel, die Arbeit der parlamentarischen Assistenten an die Bedürfnisse der Gesetzgeber ihrer Partei anzupassen. Während ihrer Aussage sagte Le Pen vor Gericht aus: "Ich habe absolut nicht das Gefühl, dass ich auch nur die kleinste Unregelmäßigkeit, die kleinste illegale Handlung begangen habe."
Aus den Vernehmungen ging allerdings hervor, dass ein Teil des Geldes zur Bezahlung von Le Pens Leibwächter und ihrer persönlichen Assistentin verwendet wurde. Le Pen und ihre Mitangeklagten sind um 10 Uhr zur Urteilsverkündung vor Gericht erschienen.