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Versiegelung: Verkraftet der deutsche Städtebau die Unwetter noch?

Ludwigshafen am Rhein ist die am meisten versiegelte Stadt Deutschlands. Wie ist sie auf Unwetter vorbereitet?
Ludwigshafen am Rhein ist die am meisten versiegelte Stadt Deutschlands. Wie ist sie auf Unwetter vorbereitet? Copyright  AP Photo
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Von Euronews
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Deutschland ist zu 44 Prozent versiegelt. Mit schwankenden Extremwetterlagen wird die Verdichtung von Städten zum Problem. Wie passen sich die deutschen Städte an Hitze und Starkregen an?

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Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt vor "extremen Unwettern" in großen Teilen Süddeutschlands und Niedersachsen. Es werden Hagel bis 8 Zentimeter, Sturmböen und heftiger Starkregen erwartet. Die Wetterlage stellt die Städte vor Herausforderungen.

Zu viel Grau, zu wenig Grün - versiegelte Flächen nehmen in Deutschland zu und sind bei Extremwetterlagen gefährlich. Kann Regenwasser nicht versickern oder über die Kanalisation ablaufen, staut es sich. Im schlimmsten Fall kommt es zu Überschwemmungen.

"Ganze Stadtteile stehen nach Starkregen unter Wasser, enorme Schäden sind die Konsequenz", warnt Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Gesamtverbands der Versicherer, gegenüber Euronews. Deutschland sei für die zunehmenden Starkregenereignisse nicht ausreichend vorbereitet.

Sie erinnert sich an ein besonders heftiges Unwetter in Münster im Jahr 2014: Dort fielen "innerhalb von nur sieben Stunden bis zu 290 Liter Regen pro Quadratmeter. Das Kanalisationssystem war überfordert, die Stadt wurde überflutet."

Zuwachs versiegelter Flächen in deutschen Städten

Auch die Deutsche Umwelthilfe nennt den Zuwachs versiegelter Flächen "alarmierend", nachdem die Organisation im Sommer 2024 die Versiegelung von 190 Städten in Deutschland ausgewertet hat. "In Zeiten der Klimakrise brauchen unsere Städte unversiegelte Böden zur Versickerung von Wasser und Grünflächen zur Kühlung", so Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz.

Denn nicht nur bei Starkregen bringen versiegelte Flächen Nachteile mit sich. Der Trend zu mehr Beton und weniger grün ist nicht überall in Deutschland gleich spürbar. "Statt zu lebenswerten Orten der Erholung entwickeln sich unsere Städte in Hitze-Höllen", warnt Metz.

Durch die Versiegelung mit Beton und Asphalt staut sich die Wärme. Der Effekt: die Straßen fangen an zu flimmern. Im Hitze-Check der Deutschen Umwelthilfe wird deutlich: in über 30 Städten Deutschlands liegt der Anteil an Versiegelung bei mehr als 50 Prozent. Spitzenreiter sind Ludwigshafen am Rhein, Nürnberg und Mannheim.

GDV: Deutsche Städte auf Extremwetterereignisse nicht ausreichend vorbereitet

Asphalt und Beton absorbieren das Sonnenlicht - es wird wärmer. Wo Straßen, Häuser und Infrastruktur gebraucht werden, ist die Versiegelung von Flächen für menschliche Bedürfnisse jedoch alltäglich. Jeden Tag werden über 50 Hektar für Siedlungen und Verkehr verbraucht, haben die Untersuchungen des Hitze-Checks der Deutschen Umwelthilfe ergeben.

"Besonders in Metropolen und Ballungsräumen hat der starke Zuzug der vergangenen Jahre zu einer Verdichtung der Städte geführt", so stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Käfer-Rohrbach. "Stadtplaner reagieren auf den Siedlungsdruck und steigende Mieten mit sogenannter Nachverdichtung: Brachflächen werden bebaut, Baulücken geschlossen – dabei geht eine zentrale Ressource verloren: unversiegelte Bodenflächen, auf denen Regenwasser versickern kann".

Sie mahnt, dass Deutschland auf die zunehmenden Starkregenereignisse nicht ausreichend vorbereitet sei. Sind Flächen nicht versiegelt, kann Regenwasser über Grünflächen versickern, der Boden nimmt es auf. Darüber hinaus kann bei Hitze Feuchtigkeit aus dem Boden verdunsten und so für Abkühlung sorgen.

"Die Kanalisation ist solchen Wassermengen häufig nicht gewachsen, was zu Rückstau und Schäden an Gebäuden, Hausrat oder Infrastruktur führt. Für Versicherer bedeutet das steigende Schadenaufwände, insbesondere bei Elementarschäden", sagt Käfer-Rohrbach. "Der zunehmende Flächenverbrauch bringt nicht nur Überflutungen, sondern auch höhere Temperaturen mit sich. Beton und Asphalt speichern Hitze – unversiegelte Flächen dagegen sorgen durch Verdunstung für Kühlung und thermische Entlastung."

Auch Metz von der Deutschen Umwelthilfe fordert "verbindliche Grünanteile auf kommunaler Ebene und Umbau statt Neubau." Wie kann die Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit von Wohn- und Industrieflächen und für die Anpassung ans Klima gelingen?

Deutschlandweiter Durchschnitt: 44,43 Prozent Versiegelung

Auch eine Studie der GDV aus dem Jahr 2023 kürte Ludwigshafen am Rhein als am meisten versiegelte Stadt mit 66,81 Prozent an. Laut der Deutschen Umwelthilfe liegt der Versiegelungsanteil der Hafenstadt ein Jahr später bei 57,75 Prozent. Deutschland ist im Durchschnitt zu 44 Prozent versiegelt. Besonders viel versiegelte Flächen finden sich im Bundesland Baden-Württemberg.

Ludwigshafen am Rhein hat unter anderem das Projekt "Fit for (Climate) Future" als Klimaanpassungskonzept auf den Weg gebracht. "Ludwigshafen ist eine historisch gewachsene Industriestadt", erklärt eine Sprecherin der Stadt. Der hohe Anteil an Industrie und verarbeitendem Gewerbe weise wirtschaftsbedingt einen "sehr hohen Versiegelungsgrad" auf.

Allerdings besteht das Bewusstsein, dass "auch die Region in und um Ludwigshafen in Zukunft stärker betroffen sein wird" von heftigen Starkregenfällen, so Ludwighafens Sprecherin. "Die Aufgabe der Stadt dabei ist, Gefahrenabwehr und Katastrophenschutz zu organisieren, technische Schutzmaßnahmen umzusetzen sowie hochwasserangepasstes Planen, Bauen und Sanieren zu steuern."

Steht Wirtschaft gegen Umwelt?

Insbesondere Hafenstädte wie Ludwigshafen am Rhein fallen mit hohen Versiegelungsanteilen auf. Durch den Chemiekonzern BASF, der direkt am Fluss liegt, mussten Gebiete befestigt und abgesichert werden.

Ludwigshafen am Rhein: Mit staatsgeförderten Strategien arbeitet die Stadt an ihrer Klimaanpassung.
Ludwigshafen am Rhein: Mit staatsgeförderten Strategien arbeitet die Stadt an ihrer Klimaanpassung. AP Photo

"Dies ist weitgehend notwendig, um eine Belastung des Grundwassers durch Schadstoffe über Produktion, Lagerung und Transport zu vermeiden und ist auch ganz klar Vorgabe aus dem Wasserrecht", so die Pressesprecherin der Stadt Ludwigshafen. Nicht jede Fläche könne einfach so entsiegelt werden, weil das Risiko für schädliche Bodenveränderungen oder eine Belastung des Grundwassers zu hoch ist.

Die Industriestadt Ludwigshafen ist hoch verschuldet und auf die Förderung durch Bund und Länder angewiesen. Über das Kommunale Investitionsprogramm Klimaschutz und Innovation des Landes Rheinland-Pfalz (KIPKI) wird eine Vielzahl an Maßnahmen gegen städtische Überwärmung bis Ende 2026 mit einer hundertprozentigen Förderung umgesetzt.

Städtebebauung neu denken

Neben Entsiegelung von Flächen fallen darunter auch Baumpflanzürogramme, Begrünungen von Flächen und die Rückhaltung von Niederschlagswasser. Die Begrünung sei in Bebauungsplänen bereits seit vielen Jahren verbindlich vorgeschrieben, so die Stadt Ludwigshafen. Das Raumordnungsgesetz sowie Flächennutzungspläne bestimmen darüber, wie eine Fläche bebaut wird.

Die Stadt macht aber auch deutlich, dass eine Bereitschaft für die klimaangepasste Umwandlung auf Privatflächen nicht fehlen darf. Seit Herbst 2024 gibt es ein Förderprogramm zur Umwandlung von versiegelten Vorgärten und Begrünung von Fassaden und Dächern.

"Leider werden die Angebote (noch) nicht in gewünschter Zahl angenommen", sagt Ludwigshafen am Rhein. "Einerseits ist in der Bevölkerung insgesamt ein schrumpfendes Interesse für Klimathemen festzustellen, andererseits werden aufgrund der wirtschaftlichen Situation private Investitionen in Begrünung leider hinten angestellt."

Bisher gebe es mehr Anträge zur Umnutzung von privaten Grünflächen als Parkplatz als Anträge zur Entsiegelung oder Begrünung. Fördermittel für Balkonkraftwerke hingegen werden gut angenommen.

Koblenzer Studierende wollen das "Abpflastern" zum Wettbewerb machen

Über die Anreize zum Klimaschutz macht sich auch der Master der Hochschule der Gesellschaftsgestaltung in Koblenz Gedanken. Über den Wettbewerb mit dem Titel "Abpflastern" sagt der Studierende und Verantwortliche für Kommunikation Kai Stüwe: "Die Plätze, die uns umgeben und die Städte, die Gemeinden, in denen wir leben, die sind Teil der Gesellschaft und die sollten auch demokratisch verhandelt werden und gestaltet werden können."

Für die Studierenden sei das Thema Entsiegelung abgegriffen und befinde sich in einer grünen Ecke. Durch den Wettbewerb werde das Kompetitive gedeckt. Konkret können Interessierte in Absprache mit ihrer Gemeinde selbst Projekte ins Leben rufen. Städtebauliche Verordnungen würden unter anderem aufgrund von knappen Haushalten stagnieren. Gemeinschaften hingegen können auf eigene Initiative aktiv werden.

"Gestern waren wir in einem Innenhof in Koblenz und da ist eine Kinderarztpraxis. Die hat ein großes Interesse, diesen Platz umzugestalten, um dort Spielmöglichkeiten für Kinder anzubieten", erzählt Stüwe. "Die anderen Anreiner in diesem Innenhof, Geschäfte, andere Arztpraxen, Kindergärten, eine Sparkasse - die haben alle auch Interesse daran."

So würden sich Gemeinschaften finden, die eine neue Dynamik entwickeln können. "Wenn wir es schaffen, dass Menschen auch ehrenamtlich dort mitarbeiten, um ihren Nahraum umzugestalten, dann ist die Kommune eher dazu bereit, anstatt dann nochmal in den nicht vorhandenen Geldbeutel zu greifen", sagt Stüwe.

Nach den ersten zwei Monaten des Projekts zieht Stüwe eine positive Bilanz. Mindestens 400 Initiativen hätten sich bereits gemeldet. "Das hat uns sehr überrascht, wie viele Leute uns da schreiben", sagte er. Mitmachen kann man noch bis 31. Oktober 2025. Auch im kommenden Jahr soll ein neuer Wettbewerb stattfinden.

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