Was passiert, wenn aufgrund eines Konflikts kein Flug mehr zurück nach Deutschland geht? Vivian ist über den Landweg von Israel nach Amman gereist, um von dort nach Hause zu fliegen. Die Geschichte einer Odyssee.
Am 13. Juni hat Israel einen Großangriff auf den Iran gestartet - Teheran reagierte mit heftigen Gegenschlägen. Vivians Rückflug nach Deutschland sollte am 15. Juni in Tel Aviv starten. Er wurde ersatzlos gestrichen, der Luftraum vorerst geschlossen. Wie können Deutsche in Israel jetzt zurückkommen?
Vivian nahm die lange Reise ins Nachbarland Jordanien alleine in Kauf, um von Amman über Paris zurück nach Berlin zu fliegen. Eine Chronologie der Ausreise von Tel Aviv über Amman nach Berlin.
Regierung beschließt Rückholung von Deutschen aus Israel
Innerhalb einer Nacht wurde Vivian am Dienstag (17. Juni) drei Mal von den Sirenen geweckt und harrte in Schutzräumen aus. "Und es ist auch natürlich nicht so einfach, danach wieder einzuschlafen", erzählte Vivian. Ihre Entscheidung stand fest: Sie muss nach Hause.
Mit insgesamt drei Sonderflügen von der jordanischen Hauptstadt Amman sind 460 Personen nach Deutschland geflogen. Auf der Krisenvorsorgeliste ELEFAND haben sich jedoch mehr als 4.000 Personen für eine Ausreise registriert - darunter auch Vivian, Deutsche in Israel.
Der erste Charterflug startete am Mittwoch, 18. Juni. Die Anreise zum Flughafen im Nachbarland mussten Betroffene im Vorfeld jedoch selbst organisieren. Angekündigt wurden die Flüge mit weniger als 48 Stunden Vorlauf.
"Im ersten Flug waren 180 Personen, das heißt, ich war definitiv nicht an erster Stelle", erzählte Vivian Euronews. "Wenn ich mich traue, nach Amman zu kommen, um diesen Flug zu nehmen, dann ist es eigentlich egal, welchen Flug ich nehme", wog Vivian ab und entschied sich, privat andere Flüge zurück in die Heimat zu buchen.
Dienstag: Geburtstagsfeier in Tel Aviv
Vivian war zum 95. Geburtstag eines engen Familienmitglieds nach Israel gereist. Aus dem geplanten zehntägigen Besuch wurde ein zunächst unbegrenzer Aufenthalt - ihr Rückflug aus Tel Aviv am Sonntag den 15. Juni, zwei Tage nach Beginn des Konflikts, wurde ersatzlos gestrichen.
In der ersten Nacht der israelischen Angriffe auf den Iran war Vivian noch bei ihrem Cousin im Norden Israels. Letztendlich besuchte sie ihren 95-jährigen Onkel in Tel Aviv nur kurz und blieb dann bei Verwandten etwas außerhalb der Großstadt.
"Ich war dann bei einer Familie mit Kindern und das war schon schwierig anzuschauen. Nochmal einen Nummer schlimmer als als erwachsene Person vor Ort zu sein." Vivians erwachsene Tochter in Deutschland warnte sie, sie müsste dringend zurück kommen.
Weil sich Vivian wenig Chancen für einen Platz in den Sonderflügen der deutschen Regierung ausmalte, buchte sie Flüge auf eigene Faust. Sollte sie den Landweg nach Amman schaffen, würde sie einen Tag später von dort über Paris nach Berlin fliegen.
Am Anfang war für sie unklar, wie viel die deutschen Charterflüge kosten sollten. Zwar stellte die deutsche Regierung mit Extra-Flügen mehr Kapazitäten, doch die Kosten sowie die Anreise nach Amman mussten alle Betroffenen selbst organisieren. Vivian wusste, dass sie nicht in diese Flüge reinkommen würde und zahlte mehr als 1.000 Euro für ihre Ausreise. Später stellte sich heraus, dass die Flüge der Bundesregierung aus Amman rund 300 Euro kosteten.
Mittwoch 6.20 Uhr: Von Tel Aviv an die jordanische Grenze
Der Zug von Tel Aviv nach Haifa ging um 6.20 Uhr morgens. Sie wählte einen Platz im unteren Abteil: "Das hielt ich für sicherer als oben." In der nördlichen Stadt Haifa sollte ihr Cousin, den sie bereits einige Tage zuvor besucht hatte, sie mit dem Auto abholen.
Knappe zwei Tage lang suchte Vivian in Facebook-Gruppen andere Betroffene, letztendlich erwies sich ihr Weg als sicher und eine gemeinsame Reise ergab sich nicht. Ihr Hebräisch sei nicht so gut, sagte Vivian gegenüber Euronews. Weil ein Teil ihrer Familie jedoch in Israel wohnte, konnten diese für sie vermitteln.
Wenige Meter vor dem Bet Sche'an Grenzübergang war Vivian auf sich alleine gestellt. Ihr Cousin konnte sie nicht mehr weiterbringen, weil eine lange Schlange an wartenden Autos den Weg zum Grenzübergang nach Jordanien blockierte. Sie lief die letzten paar hundert Meter zu Fuß. "Es war sehr heiß", erinnert sie sich "und man musste schon lange warten."
9 Uhr: Mit Visum an der Grenze zu Jordanien
In einem ersten Gebäude zahlte man, nachdem man die lange Schlange vor sich gemeistert hatte, eine Grenzgebühr. "Das Visum für Jordanien habe ich online gemacht", erzählte Vivian und das diese Möglichkeit ihr "wirklich sehr viel Zeit und wahrscheinlich Nerven erspart" habe.
In der Sondersituation erteilen jordanische Behörden auch 'visa on arrival', so das Auswärtige Amt, aber "das war zumindest an diesem Grenzübergang ziemlich chaotisch", schätzte Vivian ein. Auch Mitarbeiter der deutschen Botschaft hatte sie nicht erkannt.
"Und dann muss man nochmal eine ziemlich lange - das dauert wirklich - Schlange stehen, bis man in einen Bus kommt, der fünf Schekel kostet." Umgerechnet sind das knapp 1,25 Euro. Dieser Bus brachte Vivian und die anderen Insassen über den Jordan-Fluss, der auch die natürliche Grenze zwischen Israel und Jordanien bildet.
An diesem Übergang muss man nicht durch palästinensiche Gebiete reisen. Viele Deutsche reisen jedoch über den Allenby-Grenzübergang westlich von Jerusalem,* der auch King-Hussein-Bridge genannt wird. Laut Bericht einer anderen Deutschen, die ihre Reise in einer Facebook-Gruppe für Deutsche in Israel teilte, warteten dort Mitglieder der deutschen Botschaft für eine schnellere Abwicklung.
11 Uhr: Taxifahrt nach Amman
Rund zwei Stunden später stand Vivian auf jordanischem Boden. Ein Land, das sie bisher noch nicht bereist hatte. Dank Kontakten ihrer Familie hatte Vivian auch einen Fahrer ab der jordanischen Grenze. "Der war ein bisschen spät", erzählte sie. Vivian empfiehlt, auch für kurze Aufenthalte eine SIM-Karte zu kaufen.
"Ich dachte mir, ich werde mich besser fühlen, wenn ich weiß, wo dieser Fahrer entlang fährt, wenn ich per WhatsApp kommunizieren kann und wenn ich Nachrichten von Leuten bekommen und auch beantworten kann, die gerade an mich denken." Das habe ihr viel Ruhe gegeben, sagte Vivian.
In der jordanischen Hauptstadt Amman ist sie zwischen drei und vier Uhr nachmittags angekommen. "Ich war glücklich, dass ich den Flug für den nächsten Morgen gebucht hatte. Ursprünglich wollte ich eigentlich einen Flug für den Nachmittag buchen und das wäre wirklich knapp geworden."
Erschöpft kam sie in ihrem Hotel an, das nur eine kurze Autofahrt vom Flughafen entfernt liegt. "Ich hatte eigentlich gar keine Lust, da rumzulaufen in Amman", sagte Vivian. Sie wollte einfach nur noch ankommen.
Donnerstag: Flug über Paris nach Deutschland
Einen ganzen Tag lang hatte Vivian mit der Reise nach Amman verbracht, den darauffolgenden in Flugzeugen. Über Paris flog die Deutsche zurück nach Berlin, wo ihre Töchter auf sie warteten.
Die eine hätte sich sehr große Sorgen gemacht, erzählt Vivian, dass sie sobald wie möglich nach Deutschland kommen sollte. "Die Ältere meinte, das sei doch super gefährlich, wie kann ich sowas allein machen als Frau und so weiter."
Die israelische Regierung und auch die USA raten Personen jüdischen Glaubens davon ab, derzeit nach Jordanien zu reisen und in der Öffentlichkeit Symbole des Judentums zu tragen. Diese Warnung, die Sorgen der Töchter und die plötzliche Krisensituation beschäftigten Vivian sehr.
"Wir können nicht ändern, was die israelische Regierung macht und leiden auch darunter", sagt Vivian. Sie bedauert, dass viele Leute "momentan die Juden für diese ganze Situation verantwortlich machen". Nicht alle würden diese Regierung wählen.
Vivian ist gut zurückgekommen und schaut zurück: "Allein diese Nächte, in denen man nicht schläft. Aber wie geht es den Leuten in Israel, wie geht es den Leuten in Gaza, wie geht es den Leuten im Iran?" fragt sie weiter.
Bevor Vivian mit Euronews sprach, war sie im Kontakt mit ihrem Onkel in Tel Aviv und ihrem Cousin im Norden Israels. "Deswegen weiß ich, dass es heute [Montag, 23. Juni, Anmerkung der Redaktion] Vormittag ziemlich schlimm war, im Norden. Mein Cousin, der mich zur Grenze gefahren hat, war heute zwei Stunden im Shelter."
Auch ihr 95-jähriger Onkel wurde zweimal in der Nacht geweckt. "Und wenn er diesen Alarm hört, dann sind das die endgültigen, die, die 90 Sekunden vor dem Boom kommen. Weil die anderen hört er gar nicht." Sie versucht, zumindest aus der Ferne da zu sein.
"Die älteren Leute - drei sind in unserer Familie über 90 - die haben am Anfang gesagt, was kann uns schon passieren, wir werden sowieso nicht mehr lange leben und der Weg zum Shelter kann noch gefährlicher sein und das ist auch richtig", erzählt Vivian. "Aber ich weiß von meinem Onkel, mit dem habe ich heute früh telefoniert, er schaut, wo er hin kann." Sogar er würde jetzt nach Schutz suchen.
Deutsche Luftwaffe fliegt erneut Deutsche aus Israel aus
Seit Beginn der Woche hat die deutsche Luftwaffe erneut mehrere hundert Deutsche aus Israel, dieses Mal direkt von Tel Aviv, ausgeflogen. Ob der Luftraum über Israel offen bleibt oder erneut geschlossen wird, ist eine Frage mit ständig wechselnder Antwort.
Das Auswärtige Amt stellte klar, dass es sich "nicht um eine militärische Evakuierungsoperation, sondern um diplomatische Abholung" handle. Die Flüge würden sich an vulnerable Personen mit Ausreisewunsch richten, beispielsweise Familien.
Eine weitere Deutsche, die derzeit noch in Tel Aviv ist, erzählte Euronews, dass sie auf den Anruf warten würde. Mehr Informationen vom Auswärtigen Amt oder der zuständigen Botschaft hätte sie nicht. Sie habe Angst, dass das Fenster für diese Aktionen bald wieder zu sein, erzählt sie. Ihr ursprünglicher Flug zurück nach Deutschland wurde gecancelt.