Die Bundesregierung konnte sich bisher nicht auf die Wiedereinführung der Wehrpflicht einigen. Verteidigungsminister Pistorius setzt auf Freiwilligkeit, während die Union auf klare Regeln drängt; das vorgeschlagene Losverfahren bleibt umstritten.
Es gibt immer noch keine Einigung bei der Wehrpflicht. So sollte am Dienstagabend eine Einigung bei einer Pressekonferenz präsentiert werden. Vorgestellt werden sollte das sogenannte Losverfahren.
Die Pressekonferenz wurde jedoch kurzfristig abgesagt. Grund dafür soll gewesen sein, dass es keine Zustimmung zu den Eckpunkten gegeben habe, auf die sich zuvor Unterhändler der Union und SPD verständigt hatten.
Verteidigungsminister Boris Pistorius habe laut eigenen Angaben diesbezüglich bereits am Montagabend seine Bedenken "nicht zum ersten Mal" in einigen Punkten artikuliert. Als er von der Pressekonferenz erfuhr, so Pistorius zu Reportern, sagte er zur Fraktion, dass er "als zuständiger Verteidigungsminister deutlich machen will, dass ich an bestimmten Dingen erhebliche Bedenken habe".
Bereits im August hatte das Bundeskabinett einem Gesetzentwurf von Pistorius zugestimmt, der vorsah, den Wehrdienst zunächst auf freiwilliger Basis wiedereinzusetzen. Die Union hingegen forderte weitergehende Schritte: Sollte sich nicht genug Rekruten freiwillig melden, müsse automatisch wieder eine Wehrpflicht greifen. Die SPD lehnte das entschieden ab.
Losverfahren: Ja oder nein?
Nach wochenlangen Verhandlungen haben sich beide Seiten nun auf einen Kompromiss geeinigt: das Losverfahren. Reichen die Freiwilligen nicht aus, soll unter denjenigen, die den verpflichtenden Fragebogen ausgefüllt haben, ausgelost werden, wer gemustert und gegebenenfalls für mindestens sechs Monate zum Dienst eingezogen wird.
Die Reaktionen auf das Losverfahren waren gemischt. So schrieb der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke in einem Beitrag auf X, dass "der Russe ante Portas" – also vor den Toren – stehe. Ihm zufolge wäre die Wehrpflicht für alle die richtige Entscheidung, doch sei ihm zufolge das "Wehrpflicht-Lotto" offenbar in der SPD nicht tragfähig.
Zu Reportern sagte Pistorius, dass bislang "überhaupt gar kein Schaden" eingetreten sei, sondern lediglich ein einwöchiger Vorzug. Berichten zufolgen hält Pistorius an seinem ursprünglichen Wehrdienstmodell fest. Das heißt: Freiwilligkeit und kein Losverfahren.
Zu Letzterem hagelte es Kritik aus der Opposition. Der Grünen-Abgeordnete Timon Dzenius beschuldigte die Bundesregierung "mal wieder im Streit zu versinken" und junge Menschen "verunsichert zurückzulassen".
"Ein Losverfahren zur Einberufung in den Wehrdienst ist zynisch und falsch. Krieg ist keine Tombola und Verteidigungspolitik sollte nicht aus [dem Hollywood-Film] 'Tribute von Panem' inspiriert sein", so Dzenius zu Euronews. Dzenius war nicht der einzige, der den Vergleich zog. Auch Europaabgeordneter für die Grünen, Erik Marquardt verglich das Losverfahren mit dem Hollywood-Film.
Dzenius ergänzte: "Es ist ein Skandal, dass junge Menschen mal wieder das schlechte Management der Bundeswehr ausbaden müssen. Niemand sollte zum Wehrdienst gezwungen werden. Stattdesssen geht es darum, die Geeignetsten zu motivieren."
Mindestens fünf Länder – Dänemark, Litauen, Lettland, Thailand und Mexiko – haben eine Art Losverfahren bei ihren Wehrpflicht-Modellen. Deutschland wäre somit nicht das erste Land, das auf dieses Modell zurückgreift.
Wie kam es zum Losverfahren?
Russlands großangelegte Invasion der Ukraine hat das Thema Verteidigung wieder einen festen Bestandteil des politischen Alltags gemacht. Die Bundeswehr soll "kriegstüchtig" werden, so Pistorius. Sie soll auch zur "konventionell stärksten Armee Europas" werden, heißt es laut Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU).
Dafür braucht die Truppe – neben Gerät – auch Personal. Etwa 60.000 zusätzliche Soldaten und Soldatinnen braucht die Bundeswehr Pistorius zufolge.
Ein vertrauliches Papier des ehemeliagen Heeresinspekteurs Alfons Mais vom September dieses Jahres, das der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt, zeigt jedoch, dass der tatsächliche Bedarf noch höher liegt: Für die neuen NATO-Vorgaben werden etwa 100.000 zusätzliche aktive Soldaten benötigt. Mais schlägt demnach vor, die Truppenstärke bis 2029 um rund 45.000 Soldaten aufzustocken.
Pistorius Gesetz soll zum 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die verpflichtende Musterung für Männer ist ab dem 1. Juli 2027 vorgesehen. In einzelnen Aussagen wird zudem 2028 als Zeitpunkt genannt, ab dem alle 18-jährigen Männer zur Musterung verpflichtet sein sollen.
Stimmen aus der Union forderten jedoch bereits jetzt schon eine verpflichtende Wehrpflicht mit klaren Definitionen, ab wann eine Dienstpflicht automatisch greifen soll. Entscheidend seien dabei die Fragen, wann die Sicherheitslage ernst genug sei, oder wie viele Soldaten zu wenige Soldaten sind.