Der Nationale Sicherheitsrat soll Deutschland künftig vor Bedrohungen aller Art schützen. Bei den Drohnensichtungen wurde ein erster Einsatz gefordert, doch das Koalitionsprojekt steckt noch in der Vorbereitung. Eine Bestandsaufnahme.
Krieg, Terrorismus, Katastrophenschutz: 2026 soll ein neues Organ über Sicherheitsfragen in Deutschland entscheiden. Der Nationale Sicherheitsrat (NSR) soll ressortübergreifend und vorausschauend arbeiten und "trifft Vorentscheidungen" für die Bundesregierung, so steht es in der Geschäftsordnung.
Als über dem Flughafen München Drohnen gesichtet wurden, hieß es, es könnte der erste Fall für den Nationalen Sicherheitsrat werden. Dieser befand sich Anfang Oktober allerdings noch im Aufbau "und hat seine Arbeit noch nicht offiziell aufgenommen", erklärte der Regierungssprecher Stefan Kornelius in einer Pressekonferenz.
Zum Profil dieses Gremiums zähle das Themenfeld hybride Bedrohungen allerdings schon. Der Nationale Sicherheitsrat werde sich mit dieser Bedrohungsanalyse beschäftigen und die "unterschiedlichen Lagebilder, die wir von den Sicherheitsbehörden haben", zusammenführen. Doch dazu müssen erst die Posten besetzt werden.
Ständige Vertreter im Nationalen Sicherheitsrat
Zu konkreten Personalfragen werde sich das Bundespresseamt nicht äußern, so ein Regierungssprecher zu Euronews. "Es gibt eine Stabsstelle Nationaler Sicherheitsrat mit drei Referaten. Gleichwohl wird das gesamte Bundeskanzleramt mit allen Fachabteilungen am NSR mitwirken", sagte der Regierungssprecher weiter. Je ein Staatssekretär soll die am Nationalen Sicherheitsrat beteiligten Bundesministerien vertreten. Außerdem sind in der Stabstelle im Kanzleramt 13 Mitarbeiter geplant, zu besetzen ab diesem November.
Den Vorsitz hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), seine Stellvertretung der Finanzminister Lars Klingbeil (SPD). Auch die Bundesminister für Auswärtiges, Verteidigung, Inneres, Finanzen, Justiz und Verbraucherschutz, Wirtschaft und Energie, Entwicklungszusammenarbeit und Digitales und Staatsmodernisierung sowie der Chef des Bundeskanzleramts Thorsten Frei (CDU) sind Ständige Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates.
Doch er bündelt noch mehr sicherheitsrelevante Kompetenzen: Der Chef des Presseamts, der Generalinspekteur der Bundeswehr, die Präsidenten der Bundesnachrichtendinste, der Chef des Bundeskriminalamts sowie des Bundespolizeipräsidiums werden sowie ein Protokollführer und Geschäftsführer teilnehmen.
Der Bundessicherheitsrat wird außer Kraft gesetzt, das neue Gremium soll regelmäßig zu strategischen Themen tagen und in Krisenlagen außerplanmäßig zusammentreten. So der Plan der Bundesregierung, die Geschäftsordnung wurde am 27. August 2025 festgelegt.
Aktionsplan zur Abwehr hybrider Bedrohungen
Nach den Erlebnissen der Corona-Pandemie ab 2020 und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine seit Februar 2022 forderten Experten immer wieder eine bessere, ressortübergreifende Koordinierung von Entscheidungen in der Sicherheitspolitik.
"Der Nationale Sicherheitsrat kann interministerielle Ausschüsse bilden", heißt es in der Geschäftsordnung jetzt. Das Ziel ist demnach, in Krisenfällen schneller, informierter und entschlossener entscheiden zu können.
Je nach Thema können andere Mitglieder der Bundesregierung sowie Vertreter der Länder hinzugezogen oder Vertreter anderer Staaten sowie der EU und der NATO eingeladen werden. Dritte können "aufgrund ihrer fachlichen Zuständigkeit oder ihrer herausragenden Fachkenntnisse einen Beitrag zur Willensbildung leisten können."
So möchte man möglichst frühzeitig auf mögliche Gefährdungen der inneren, äußeren, digitalen und wirtschaftlichen Sicherheit reagieren. Die Stabstelle im Kanzleramt soll aktuelle Bilder der sicherheitspolitischen Lage auswerten. Außerdem werde sich der NSR "sehr zeitnah mit einem Aktionsplan zur Abwehr hybrider Bedrohungen befassen", so ein Regierungssprecher zu Euronews.
In der Regel darf der NSR Entscheidungen des Bundeskanzlers und der Bundesregierung nur vorbereiten. Abschließende Entscheidungen kann er nur treffen, wenn gesetzlich kein Beschluss der gesamten Bundesregierung erforderlich ist.
Ausschuss zu Rüstungsexporten
Besonders klare Regeln findet die Regierung für Fragen der Rüstungsindustrie. "Für den Bereich der Rüstungsexporte wird ein ständiger interministerieller Vorbereitungsausschuss unter der Leitung des Bundeskanzleramtes eingerichtet", heißt es.
In der Rüstungsexportpolitik soll dieser Ausschuss bereits Vorentscheidungen für die Regierung treffen. Zuvor war der 1955 gegründete Bundessicherheitsrat das wichtigste Gremium für Fragen des Rüstungsexports, obwohl er allgemein auch die strategische Ausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik definieren und koordinieren sollte. Der Nationale Sicherheitsrat löst ihn ab.
Entscheidungen, Sitzungen sowie die Tagesordnung des Gremiums können, wenn der Vorsitz dies veranlasst, ganz oder teilweise geheim gehalten werden. Auch ein Regierungssprecher bestätigte Euronews, das Gremium tage grundsätzlich geheim. Einzelne Beschlüsse könnten veröffentlicht werden.
Kritik am Nationalen Sicherheitsrat
Der Nationale Sicherheitsrat mag der Regierung zufolge den aktuellen Anforderungen eine zeitgemäße Antwort entgegensetzen, doch es gibt auch Kritiker. "Die Koordinierung des Nationalen Sicherheitsrats sollte ein Vollzeitjob einer präsenten und erfahrenen Person sein", erklärte Sicherheitsexperte Nico Lange gegenüber Table.Media. Dass der Büroleiter des Kanzlers, Jacob Schrot, die Koordinierung des NSR als "Nebentätigkeit" ausführen soll, kritisiert Lange.
Auch wird das Gremium nicht etwa unabhängig agieren, sondern als Kabinettsausschuss operieren. Beobachter sehen das Risiko, dass Interessen der regierenden Parteien die Agenda des Sicherheitsrates bestimmen und andere Themen wiederum fehlen könnten.
Darüber hinaus gibt es keinen ständigen Sitz für das Umweltministerium. Weder der zuständige Umweltminister Carsten Schneider (SPD) noch Klimaexperten sind als berater mit einem ständigen Sitz vorgesehen. Sicherheitsrisiken infolge des Klimawandels könnten so bei der Priorisierung des Gremiums fehlen, befüchten Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Umweltschutz.
So warnte der frühere Präsident des Bundesnachrichtendienstes Bruno Kahl im Februar 2025, dass der Klimawandel neben der Aggression Russlands, der Politik Chinas und dem internationalen Terrorismus "eine der fünf großen externen Bedrohungen für unser Land" sei.
Nationale Sicherheitsräte in der ganzen Welt
Auch in Österreich und in Großbritannien gibt es nationale Sicherheitsräte, denen das neue deutsche Gremium ähnelt. In präsidentiellen Systemen wie in den USA oder Frankreich haben die Sicherheitsräte jahrzehntelange Tradition.
Das französische Pendant, der Conseil de défense et de sécurité naitonale (CDSN), tagt beispielsweise wöchentlich. Dieser hat allerdings Unterstützung durch rund 1.600 Beschäftigte, im Gegenteil zu 13 Mitarbeitern in der zukünftigen Stabstelle des Kanzleramts.
Auch in den USA nimmt der National Security Council (NSC) eine heruasragende Stellung in der Regierung ein und beschäftigt trotz Kürzungen durch Präsident Donald Trump noch etwa 50 Personen. In beiden Ländern sind die Sitzungen oft unter Verschluss.
Weltweit verfügen rund 60 Länder über eine mit dem NSR vergleichbare Einrichtung. Je nach politischem System weisen sie ihre eigenen Besonderheiten auf.