In zwei Wochen soll die neue AfD-Jugendorganisation in Gießen gegründet werden. Ein breites Bündnis lädt bereits jetzt zu Protest-Übungen ein und will mit Bussen zu Tausenden in die Stadt fahren. Die Polizei warnt vor Gewalt.
Am letzten Novemberwochenende soll in Gießen die neue Jugendorganisation der AfD gegründet werden. Die Polizei hat bereits seit mehreren Wochen einen Vorbereitungsstab eingerichtet, ein Aktionsbündnis hat zu Gegendemonstrationen aufgerufen. Bis zu 40.000 Besucher könnten am 29. und 30. November in die 90.000-Einwohnerstadt kommen.
Der Name scheint nun festzustehen: "Generation Deutschland" soll der Nachfolger der Jungen Alternative (JA) heißen, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde. Daraufhin hatte die AfD-Partei der Jugendorganisation die Auflösung angeraten, zum Jahresbeginn war es soweit.
Der künftig größte Unterschied: alle Mitglieder der Jugendorganisation müssen auch Teil der AfD sein. Das war beim Vorgänger nicht der Fall. Von den rund 2.400 JA-Anhängern war nur etwa die Hälfte Parteimitglied. Bereits 2.000 Personen sollen erklärt haben, Mitglied der neuen Organisation zu werden, erklärte Jean-Pascal Hohm Euronews.
Der brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete wird für den Bundesvorsitz kandidieren, er gilt als gesetzt. "Ich spüre breiten Rückhalt aus allen Landesverbänden", teilte er Euronews mit. Für den Kongress in Gießen hätten sich über 900 junge Menschen angemeldet. Die Bundespartei der AfD bestätigte diese Informationen auf Nachfrage von Euronews nicht.
Gegendemonstrationen mit über 10.000 Teilnehmern geplant
Das Gründungstreffen soll in der Hessenhalle der Messe Gießen stattfinden. Ein Bündnis aus Gewerkschaften, Initiativen und Nichtregierungsorganisationen hat bereits Proteste und Kundgebungen angekündigt. Auch Blockaden der Zufahrtswege, um das Gründungstreffen zu verhindern, stehen zur Debatte, so eine Sprecherin des Bündnisses "Widersetzen". Die Veranstalter rechnen mit mehr als 10.000 Teilnehmenden.
Anfang November hat das Aktionsbündnis "Widersetzen" in der Kongresshalle getagt, in der Ende November die AfD Einzug hält. Es gab Vorträge zur geplanten "Generation Deutschland" sowie einen Demonstrationszug zum Gedenken an die Opfer der Reichsprogromnacht. Deutschlandweit finden Übungen und Infoveranstaltungen des Bündnisses statt.
Im Vorfeld hat es bereits ein Banner mit der Aufschrift "AfD-Jugend stoppen" über dem Wahrzeichen Sachsens, der Bastei im Osterzgebirge, angebracht. Eine Maßnahme, die Menschen für die Aktionen des Bündnisses in Gießen aufmerksam machen soll.
Am Wochenende des Gründungstreffens sollen dann organisierte Busse aus mehreren Großstädten Protestierende in die Stadt bringen. Als Ziel gab die Gruppierung mehrmals an, mit Blockaden nicht nur den Beginn des Gründungstreffen hinauszögern, sondern es ganz verhindern zu wollen. Sie wollen die Zufahrtsstraßen blockieren, lediglich für Feuerwehr und Rettungsdienste freie Durchfahrt gewähren.
Polizei Gießen warnt vor Gewalt
Während die Veranstalter der Gegendemonstration von 10.000 Teilnehmern sprechen, sagte ein Sprecher der Polizei Mittelhessen Euronews, dass sie damit rechne, dass diese Zahl deutlich überschritten werde. Schätzungen zufolge könnten es auch bis zu 40.000 Protestierende werden. Bisher gebe es allerdings noch keine belastbaren Zahlen.
Die zuständige Polizei hat "bereits vor mehreren Wochen einen Vorbereitungsstab eingerichtet", berichtet ein Sprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen. Es sei ein sehr hohes Polizeiaufkommen für das Wochenende geplant.
Dafür erhalte die örtliche Polizei "Unterstützung aus ganz Hessen sowie von anderen Bundesländern und der Bundespolizei. Es könnten beispielsweise Polizeihunde, Polizeiboote, Hubschrauber oder Polizeidrohnen zum Einsatz kommen", so der Sprecher zu Euronews. Der Vorbereitungsstab, der bereits seit mehreren Wochen plant, beziehe alle tagesaktuellen Erkenntnisse ein und soll für jede Einsatzlage gewappnet sein.
Die Polizei arbeite an einem Verkehrskonzept mit dem Ziel, "die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten". Auch der Bürgermeister der Stadt, Alexander Wright (Bündnis 90/Die Grünen) sagte gegenüber dem WDR, sowohl die Gründung einer Parteijugend-Organisation als auch die Veranstaltung von Demonstrationen seien demokratische Rechte. Eine Euronews-Anfrage zur weiteren Stellungnahme der Stadt Gießen und des Bürgermeisters blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Ein gemeinsamer Antrag der Grünen, CDU, SPD, Linke, Volt, FDP und FW der Stadtverordnetenversammlung "bedauert und missbilligt" die Gründung im Stadtgebiet Gießen. "Die Gründung dieser Jugendorganisation, die rechtsextremes und demokratieverachtendes Gedankengut in die junge Generation tragen soll, stellt eine Bedrohung für unsere Demokratie dar", heißt es in dem Antrag, über den am 20. November abgestimmt werden soll. Für das Wochenende wird die Stadt eine Hotline einrichten, eine gesonderte Informationssammlung gibt es bereits.
Auf die Mahnung des Gießener Polizeipräsidenten, es dürfe keine Gewalt geben, antworteten Bündnis-Sprecher: "Von uns wird es keine Eskalation geben." Auch die Bundes-AfD antwortete Euronews auf Anfrage zu den geplanten Widersetzen-Aktionen, dass das Demonstrationsrecht ein hohes Gut sei und die Partei hinter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe. Die Partei und auch Hohm betonten die Unterstützung eines "reibungslosen Ablaufs" durch die Sicherheitsbehörden.
Neugründung der AfD-Jugendorganisation
Zu den Unterschieden mit der Vorgängerorganisation sagte der Bundesschriftführer des AfD-Bundesvorstands, Dennis Hohloch: "Die neue Jugendorganisation unterscheidet sich vor allem in satzungstechnischen Fragen von der Jungen Alternative".
AfD-Landtagsabgeordneter Jean-Pascal Hohm, an den Gründungsprozessen beider Organisationen beteiligt, führt weiter aus: "Die Junge Alternative hat über Jahre einen unmöglichen Spagat versucht: Sie wollte eine loyale Jugendorganisation der AfD sein und sich zugleich als aktivistische Vorfeldorganisation inszenieren." Diese Doppelrolle sei langfristig nicht tragfähig gewesen.
"Die AfD-Parteiführung hat in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass manchmal schrille Töne, sehr extreme Töne aus der Jugendorganisation zu vernehmen waren und dass sie wenig Kontrolle darüber hatte", erklärt auch Politikwissenschaftler und Parteienforscher Professor Dr. Uwe Jun von der Universität Trier.
"Dass eine Mutterpartei eine Jugendorganisation stärker kontrollieren will, das kennen wir auch von anderen Parteien schon", so Jun weiter. "Und das ist jetzt ein strategisch-taktisches Mittel der Parteiführung in erster Linie, die ja auch diesen Schritt eingeleitet hat." Auch Hohm bestätigte, dass es darum gehe, "strukturelle Probleme" zu lösen.
Hohm: Jugendorganisation "als Kaderschmiede und Innovationsmotor"
Die neue Jugendorganisation der AfD müsse ihren Platz "als Kaderschmiede und Innovationsmotor für die Mutterpartei sowie Bindeglied zwischen der AfD, dem Vorfeld und der Öffentlichkeit" finden, sagt Hohm zu Euronews. Die neue Jugendorganisation soll sich "als starke Marke etablieren", die auch mal eigene inhaltliche Akzente setzt und Debatten anstößt". Dabei sei der Wahlerfolg der Mutterpartei das übergeordnete Ziel. "Daran müssen sich alle Strukturen und jeder Funktionsträger messen lassen."
Parteienforscher Jun ordnet ein: "Natürlich sollte die Jugendorganisation sich ein gewisses Maß an Autonomie bewahren können, um die eigene Position am Ende auch deutlich erarbeiten zu können." Ein "klares, eindeutiges Abhängigkeitsverhältnis" sollte seiner Ansicht nach nicht konstituiert werden. "Wie das im Einzelnen ausgestaltet ist, das ist eine normative Frage und da sind große Spielräume für die Parteien."
Tatsächlich sieht es auch bei allen Jugendorganisationen der Parteien, die im Bundestag vertreten sind, unterschiedlich aus. Bei der Jungen Union müssen zumindest die Personen mit Ämtern, also Bundes- und Landesvorsitzende Mitglied der CDU/CSU sein, anderen bleibt es freigestellt. Bei der SPD hingegen sind alle Mitglieder unter 35 Jahren automatisch auch Mitglied der Jusos. Allerdings kann man auch ohne Parteimitgliedschaft Teil der Jusos sein. Bei den Grünen kann man der automatischen Mitgliedschaft in der Jugendorganisation in manchen Landesverbänden widersprechen. Bei der Linken ist die Mitgliedschaft im Jugendverband nicht an die Parteimitgliedschaft gebunden.