Russlands völkerrechtswidriger Angriffskrieg auf die Ukraine hat viele europäische Länder gezwungen, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) setzt auf Stärke statt Panik. Und: Es gibt neue Rekorde bei Personal und Ausrüstung der Bundeswehr.
Die Sicherheitslage in Europa bleibt angespannt. Bei seinem Besuch in Berlin Anfang Dezember hatte NATO-Generalsekretär Mark Rutte gesagt, dass "wir Russlands nächstes Ziel" sein würden und einen großen Krieg erleben könnten.
In einem Interview mit der Zeit betonte Bundesverteidungsminister Boris Pistorius (SPD), dass er an solch ein Szenario nicht glaubt. "Putin geht es nach meiner Einschätzung nicht darum, einen Full-Scale-Weltkrieg gegen die NATO zu führen", so Pistorius.
Seiner Meinung nach will der russische Präsident das Bündnis von innen heraus zerstören, indem er seine Geschlossenheit infrage stellt.
Abschreckung statt Panik
"Und indem er testet, wie die NATO nach der 13. oder 15. Luftraumverletzung reagiert. Bleiben die Eurofighter der Alliierten irgendwann am Boden, weil sie es nicht mehr ernst nehmen? Ziehen sie sich zurück, weil ja doch nichts passiert? Oder sind sie bereit, Artikel 5 auszurufen, wenn an den Grenzen des Baltikums etwas passiert? Putin arbeitet strategisch daran, die Amerikaner dazu zu bringen, sich zurückzuziehen", so der SPD-Minister.
Für Pistorius ist Abschreckung der richtige Weg, um einen möglichen russischen Angriff oder Provokation zu bekämpfen.
"Wir erhöhen die Zahl der aktiven Soldatinnen und Soldaten, und wir stärken die Reserve. Parallel dazu haben wir die Beschaffung von Waffen beschleunigt und stellen dabei seit drei Jahren Rekorde auf", erklärt er, räumt jedoch ein, dass die Bundeswehr dennoch vor einer großen Herausforderung steht, "weil die Produktionskapazitäten erst erhöht werden müssen und die Depots nicht über Nacht aufgefüllt werden können."
Modernisierung auf Rekordkurs
Einem Bericht der Bundeswehr zufolge zeigt die Beschaffungsbilanz von 2025, dass die Modernisierung trotz hoher Anforderungen – vor allem durch vereinfachte Verfahren und zahlreiche Bundestagsbeschlüsse– vorangebracht wurde. Finanziert vor allem aus dem Sondervermögen setzte die Bundeswehr im vergangenen Jahr insgesamt 149 Beschaffungsprojekte im Umfang von rund 24 Milliarden Euro um.
Dabei wurden zahlreiche neue Systeme bereits ausgeliefert oder befinden sich in der Einführung. Ein Schwerpunkt lag beim Heer, etwa mit weiteren Auslieferungen des Schützenpanzers Puma.
Vorangetrieben wurden zudem Luftfahrtprojekte wie die Beschaffung der Seeaufklärungsflugzeug Poseidon P-8A für die Marine oder neue persönliche Schutzausrüstung für die Soldaten.
Neben der materiellen Aufrüstung muss die Truppe auch personell gestärkt werden. Dazu wurde der Neue Wehrdienst (NWD) beschlossen, der vorsieht, dass alle deutschen Staatsburger ab dem Jahrgang 2008 ein digitalen Fragebogen erhalten. Für Männer ist eine Antwort verpflichtend, für Frauen freiwillig. Generell soll der NWD auf Freiwilligkeit basieren. Falls sich jedoch nicht genügend Freiwillige melden, soll ein Losverfahren eingesetzt werden.
Neuer Wehrdienst: Zwischen Freiwilligkeit und Pflicht
Laut einer YouGov-Umfrage vom Sommer steigt die Ablehnung gegen einen verpflichtenden Wehrdienst bei jüngeren Befragten. Die Zustimmung hingegen wächst im Alter. Dennoch unterstützt eine knappe Mehrheit der Befragten (59 Prozent) die Wehrdienst-Reform mit verpflichtendem Dienst – besonders Union-Wähler mit 80 Prozent.
Pistorius zeigt für die Ablehnung Verständnis, räumt jedoch ein, dass die Realität ein anderes Umgehen mit der eigenen Sicherheit vorsehen würde. "In den Diskussionen mit Schülern sage ich: Denk daran, wie du hier lebst. Du kannst lieben, wen du willst. Du kannst studieren, was du willst, und demonstrieren, wofür oder wogegen du willst. Es lohnt sich, für dieses Leben in Freiheit einzustehen und ein paar Monate Dienst zu leisten", so Pistorius im Interview mit der Zeit.
Der Bundeswehr zufolge hat sich der positive Trend beim Personalbestand fortgesetzt: Bis Ende November verzeichnete die Truppe deutlich steigende Einstellungszahlen, was sich bereits im Jahresverlauf abgezeichnet hatte.
Insgesamt wurden rund 24.100 Einstellungen vorgenommen, was ein Plus von etwa 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Besonders der Bereich der freiwillig Wehrdienstleistenden (FWDL) wuchs stark – mit einem Zuwachs von rund 22 Prozent bei den Einstellungen und deutlich mehr Erstberatungen und Bewerbungen. Auch im zivilen Bereich stieg die Zahl der Bewerbungen.
Das wachsende Interesse zeigt sich offenbar auch bei den Informations- und Beratungsangeboten: Bis Ende November wurden rund 102.500 Erstberatungen durchgeführt – etwa 15 Prozent mehr als im Vorjahr – und insgesamt gingen rund 107.000 Bewerbungen ein. Das sind circa 28 Prozent mehr als 2024.