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2029: Könnte Russland wirklich die NATO angreifen?

Ein Bordsicherungssoldat beobachtet am Maschinengewehr M3M auf der Heckrampe des CH-53 die Umgebung während der Übung Griffin Lightning 2025 in Litauen, am 10.05.2025
Ein Bordsicherungssoldat beobachtet am Maschinengewehr M3M auf der Heckrampe des CH-53 die Umgebung während der Übung Griffin Lightning 2025 in Litauen, am 10.05.2025 Copyright  ©Bundeswehr/Bill Drechsler
Copyright ©Bundeswehr/Bill Drechsler
Von Johanna Urbancik
Zuerst veröffentlicht am
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Die Bundeswehr soll bis 2029 "kriegstüchtig" werden – doch droht wirklich ein russischer Angriff auf die NATO?

Mit der großangelegten russischen Invasion der Ukraine wächst der Druck auf Deutschland, seine eingerostete Verteidigungsindustrie auf Vordermann zu bringen. Worte wie "Kriegstüchtigkeit" sind inzwischen mehrmals gefallen, sowie die Forderung, dass die "Bundeswehr die konventionell stärkste Armee Europas" werden soll.

Vor wenigen Jahren war das noch undenkbar.

Russlands Maximalforderungen in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine und der sich langsam andeutende Rückzug der Amerikaner aus der NATO sind ein ewig läutender Weckruf für die Europäer, die sich mehr und mehr gezwungen sehen, sich selbst um ihre Sicherheit zu kümmern.

Um möglichst schnell verteidigungsfähig – und somit auch kriegstüchtig – zu werden, sieht der Haushalt der Bundesregierung eine Steigerung des Verteidigungsetats bis 2029 auf fast 153 Milliarden Euro vor.

Die Zahl 2029 wird häufig als Anhaltspunkt genommen. Bis dahin sollen die Verteidigungsausgaben auf rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) steigen und die Bundeswehr "kriegstüchtig" werden, da demnach in diesem Jahr auch ein möglicher russischer Angriff auf NATO-Gebiet stattfinden könnte.

Bei der Eventreihe "Zeitenwende on Tour" der Münchner Sicherheitskonferenz Ende November erklärte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, dass "das Jahr sich niemand einfach ausgedacht hat", sondern es auf "sauberen Analysen" beruht. "Das heißt nicht", ergänzte Breuer, "dass Russland dann angreifen wird, aber es wird dazu in der Lage sein."

Soldaten vom Jägerbataillon 91 bereiten sich im GTK Boxer auf den nächsten Auftrag vor im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelegen, am 28.11.2023
Soldaten vom Jägerbataillon 91 bereiten sich im GTK Boxer auf den nächsten Auftrag vor im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelegen, am 28.11.2023 ©Bundeswehr/Julia Dahlmann

2029: Das Jahr, in dem viel passieren könnte

Die Warnung, dass ein russischer Angriff 2029 möglich ist, basiert auf einer NATO-Analyse aus dem Jahr 2023, dem "Joint Threat Assessment".

Dort heißt es, dass Russland innerhalb von drei bis fünf Jahren in der Lage sein könnte, einen großangelegten Krieg zu führen.

Laut einer Recherche des WDR wurde für dieses Assessment mittels Aufklärungssatelliten erfasst, welche Aktivitäten Russland derzeit entfaltet, darunter etwa die Produktionsmengen und Rekrutierungsstrategien. Dabei wurde sich ausschließlich auf nachrichtendienstliche Informationen gestützt.

Diese Einschätzung kam 2023 zu dem Ergebnis, dass Russland in fünf Jahren – also bis 2028 – in der Lage wäre, eine Armee von 1,5 Millionen Soldaten einschließlich der nötigen Ausrüstung aufzustellen und damit einen solchen Angriff durchzuführen, erklärte der Sicherheitsexperte Professor Dr. Carlo Masala im Podcast von Paul Ronzheimer.

"2024 sind Verteidigungsminister Boris Pistorius und der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, mit diesem Joint Threat Assessment an die Öffentlichkeit gegangen", ergänzt er und fügt seine Einschätzung hinzu, dass man die Bevölkerung offenbar nicht verschrecken wollte, "indem man 2024 direkt von 2028 gesprochen hätte".

"Kriegstüchtig" bis 2029

Sowohl die Bundeswehr als auch der Bundesnachrichtendienst (BND) erkannten schnell, dass eine ältere Analyse verwendet wurde. Eine Korrektur blieb jedoch aus. Dem WDR zufolge hieß es intern im Verteidigungsministerium, die Aussage künftig "vorsichtiger zu formulieren" und stattdessen den allgemeineren Ausdruck "bis zum Ende der Dekade" zu verwenden.

Soldaten vom Jägerbataillon 91 fahren mit dem GTK Boxer durch das verschneite Gelände im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelege, 28.11.2023
Soldaten vom Jägerbataillon 91 fahren mit dem GTK Boxer durch das verschneite Gelände im Gefechtsübungszentrum Heer in Gardelege, 28.11.2023 ©Bundeswehr/Julia Dahlmann

Kaum noch Austausch zwischen Deutschland und den USA

Die USA verfügen über das größte Militär weltweit. Zurückzuführen ist das in erster Linie auf die enormen Budgets, fortschrittliche Technologie sowie die Größe der Marine und Luftwaffe. Zwar gibt es andere Länder, die mehr Soldaten haben, doch werden sie von den USA mit ihrem globalen Einfluss und den hohen Verteidigungsausgaben überstiegen.

Bislang hat sich Deutschland auf die bisherige transatlantische Freundschaft und Weltordnung verlassen. Der Inspekteur des Heeres, Dr. Christian Freuding sagte im Interview mit dem Atlantic, dass er US-Verteidigungsbeamte früher "Tag und Nacht" erreichen konnte, doch inzwischen sei der Austausch "abgebrochen".

Um amerikanische Positionen zu verstehen, verlasse sich Freuding inzwischen auf die deutsche Botschaft in Washington, "wo jemand versucht, jemanden im Pentagon zu finden".

Inspekteur des Heeres, Dr. Christian Freuding
Inspekteur des Heeres, Dr. Christian Freuding © Bundeswehr/ Twardy

Der nachlassende Rückhalt aus den USA kommt aus Sicht deutscher Sicherheitsexperten der Bundeswehr zur denkbar ungünstigen Zeit: Während sie täglich russische Truppenbewegungen verfolgen und einschätzen müssen, ob Putin noch in diesem Jahrzehnt einen Angriff auf ein NATO-Land wagen könnte, steht zugleich die Frage im Raum, ob ein US-amerikanischer Präsident Europa verteidigen würde.

Erst vor kurzem sagte der US-Botschafter beim Bündnis, dass er sich in der Zukunft wünsche, dass Deutschland die Führungsrolle von den USA in der NATO übernimmt. Experten sehen darin weitere Anzeichen, dass die USA sich langfristig von der NATO zurückziehen könnten.

Aufrüstung: personell sowie materiell

Um einen möglichen russischen Angriff auf NATO-Gebiet abzuschrecken, muss die Bundeswehr also bis 2029 "kriegstüchtig" werden. Das heißt: Die Truppe soll sowohl personell als auch materiell deutlich gestärkt und modernisiert werden.

Aktuell verfügt die Bundeswehr über rund 181.000 bis 182.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, offiziell soll sie auf etwa 203.000 wachsen.

Um das zu erreichen, hat die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) den freiwilligen Wehrdienst wiedereingesetzt. Junge Männer und Frauen ab dem Jahrgang 2008 erhalten Post von der Bundeswehr, bei der sie zur Musterung eingeladen werden. Verpflichtet zur Antwort sind jedoch nur die Männer.

Rekruten leisten stellvertretend ihren Diensteid beim Feierlichen Gelöbnis 2025 anlässlich des 81. Jahrestages des Deutschen Widerstands auf dem Paradeplatz im BMVg, 20.07.25
Rekruten leisten stellvertretend ihren Diensteid beim Feierlichen Gelöbnis 2025 anlässlich des 81. Jahrestages des Deutschen Widerstands auf dem Paradeplatz im BMVg, 20.07.25 ©Bundeswehr/Christoph Kassette

Der Wehrdienst bleibt zwar zunächst freiwillig, jedoch wurden klare Zielmarken für den Personalaufbau der Bundeswehr definiert. Sollte diese Zahl nicht erreicht werden, kann der Bundestag eine Bedarfswehrpflicht beschließen.

Der Dienst soll durch attraktive Ausbildungsangebote, höhere Bezahlung und moderne Technik, wie Drohnen-Ausbildung, aufgewertet werden und so freiwillige Rekruten anziehen.

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