Noch vor kurzem war der sogenannte "Operationsplan Deutschland" geheim. Nun ist bekannt: Im Falle einer militärischen Konfrontation wäre Deutschland ein wichtiges Drehkreuz für die Bündnisverteidigung. Die Vorgehensweise knüpft an die Zeit des Kalten Krieges an.
Ein kürzlich an die Öffentlichkeit geratener Plan der Bundeswehr besagt: Im Kriegsfall wäre Deutschland ein zentrales logistisches Drehkreuz, da nahezu alle "Verstärkungen" aufgrund der Geografie das Land durchqueren müssen.
In dem sogenannten Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) ist demnach der Transport von bis zu 800.000 NATO-Truppen über Deutschland vorgesehen.
Der OPLAN DEU ist der militärische Plan für die Verteidigung Deutschlands, in dem zentralen Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung mit den dafür notwendigen zivilen Bereichen und Verantwortlichkeiten koordiniert und zusammengeführt werden.
Nach Informationen des Wall Street Journal umfasst OPLAN DEU ein geheimes, rund 1.200 Seiten langes Dokument, das vor rund zweieinhalb Jahren in der Berliner Julius-Leber-Kaserne verfasst wurde und nun "auf Hochdruck" umgesetzt werden soll.
Mit dem Plan soll sichergestellt werden, dass politische Entscheidungen in einem möglichen Krisen- oder Konfliktfall schnell, verfassungskonforn und koordiniert getroffen werden, damit schnell gehandelt werden kann.
Der Bundeswehr zufolge ist das Ziel des OPLAN DEUs Deutschlands "Kaltstartfähigkeit, Kriegstüchtigkeit und Durchhaltefähigkeit" an die aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen anzupassen.
Der OPLAN DEU folgt offenbar einem "gesamtheitlichen Ansatz", der zivile und militärische Bereiche eng zusammenführt. Der Ansatz ist ähnlich wie im Kalten Krieg, wurde jedoch an moderne Herausforderungen, wie beispielsweise marode Infrastruktur, Bürokratie und Personalmangel, angepasst.
Die Umsetzung würde laut dem Wall Street Journal zufolge jedoch nicht reibungslos ablaufen - aufgrund veralteter Infrastruktur, wie maroden Brücken, enge Tunnel, einsturzgefährdete Häfen, bürokratische Hürden, fehlende militärische Fähigkeiten und unzureichende Zusammenarbeit mit zivilen Stellen.
"Red Storm Bravo"
Ende September dieses Jahres hat das Landeskommando Hamburg die Verlegung von Truppen bei der Übung "Red Storm Bravo" geübt. Vor der Übung bestätigte ein Sprecher des Landeskommandos dass die Ankunft von NATO-Truppen geübt wurde, die dann in Form einer Kolonne in Richtung Osten zusammengeführt wurden.
Ein Übungskonvoi, der eigentlich geschlossen und ohne Halt fahren sollte, wurde durch große Abstände zwischen den Fahrzeugen, eine vermeintliche Drohne, sowie eine inszenierte Protestaktion ausgebremst. In zwei Stunden kam er nur sechs Meilen weit.
Laut dem Wall Street Journal verdeutlichen Übungen wie diese, dass bei Grundabläufen, wie zum Beispiel das Passieren von Kreuzungen, Proteste oder auch die Drohnenabwehr, im Ernstfall ins Stocken geraten können.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, spielt die Einbindung privater Unternehmen eine zentrale Rolle in OPLAN DEU. So richtet Rheinmetall temporäre Feldlager ein, versorgt die Truppen und stellt Infrastrukturen wie Duschen, Tankstellen und Feldküchen bereit.
Einbindung des privaten Sektors
Dem OPLAN DEU zufolge wird Sabotage als eine der größten Bedrohungen eingestuft. Angriffe auf kritische Infrastruktur, wie beispielsweise Anschläge auf Bahngleise oder Straßen. Angriffe diese Art werden auch von sogenannten "Wegwerf-Agenten" durchgeführt, wie Euronews bereits berichtete.
Mithilfe von Drohnen soll Sabotage erkannt und bekämpft werden, heißt es in dem Plan. Die unbemannten Flugobjekte sollen kritische Infrastruktur wie Häfen, Straßen und Bahnlinien absichern und mögliche Sabotageakte früh erkennen. Zwar gelten sie damit als unverzichtbares Werkzeug für die Logistik und Sicherheit im Kriegsfall, dennoch gibt es technische, rechtliche und organisatorische Hürden.
So erklärt Paul Strobel, Sprecher des deutschen Drohnenunternehmens Quantum Systems, dass an die Bundeswehr verkaufte Drohnen nicht über bebaute Gebieten fliegen dürfen. Rechtlich müssen Drohnen zudem Positionslichter haben.
Nach den russischen Drohnenvorfällen in Polen wollte die EU die NATO-Ostflanke mit einem sogenannten "Drohnenwall" schützen. Wie ein Drohnenwall dieser Art aussehen könnte, hat Strobel im Interview mit Euronews erklärt.
Letzter Sommer im Frieden?
Russland könnte ab 2029 bereit sein, einen NATO-Staat anzugreifen, heißt es deutschen Einschätzungen zufolge. Darauf würden Sabotageakte, Spionage und Zwischenfälle hinweisen.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte vor kurzem im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dass man sehen würde, wie "Putin trotz des Krieges in der Ukraine schnell wachsende Arsenale anlegt". Er stellte daraufhin die spekulative Frage, ob es möglich sei, dass Russland das Bündnis schon viel früher angreife.
"Militärexperten und Nachrichtendienste können in etwa abschätzen, wann Russland seine Streitkräfte so wiederhergestellt haben wird, dass es in der Lage wäre, einen Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland im Osten zu führen. Wir haben immer gesagt, das könnte ab 2029 der Fall sein. Jetzt gibt es allerdings andere, die sagen, dies sei schon ab 2028 denkbar, und manche Militärhistoriker meinen sogar, wir hätten schon den letzten Sommer im Frieden gehabt", so Pistorius.