Zurück an die Arbeit: Was die EU bis zu den Wahlen 2024 zu tun hat

Die Europäische Union hat bis zu den Wahlen im Jahr 2024 eine lange Liste von Aufgaben abzuarbeiten.
Die Europäische Union hat bis zu den Wahlen im Jahr 2024 eine lange Liste von Aufgaben abzuarbeiten. Copyright Virginia Mayo/Copyright 2023 The AP. All rights reserved
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Von Jorge Liboreiro
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Nach einer einmonatigen Sommerpause hat die Europäische Union ihre Arbeit wieder aufgenommen. Bis zu den Europawahlen im kommen Jahr gibt's viel zu tun.

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Es ist offiziell die Rentrée für die EU, denn diese Woche kehren sonnengebräunte, frisch gestärkte Eurokraten nach Brüssel zurück, nachdem sie die belgische Hauptstadt für die Sommerferien verlassen haben.

Und diese erste Septemberwoche ist umso bedeutsamer, als sich die Union der nächsten Wahl zum Europäischen Parlament nähert. Da die Wahl zwischen dem 6. und 9. Juni 2024 stattfinden soll, bereiten sich die Institutionen nun darauf vor, die wichtigsten anstehenden Aufgaben zu erledigen, bevor sie in den vollen Wahlkampfmodus gehen.

Die Uhr tickt - Euronews schlüsselt die "To-do-Liste" der EU auf.

Das Versprechen an Kiew

Vom Energiemix bis zu den Verteidigungsausgaben - die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine haben zu einem tiefgreifenden Umdenken in den meisten Bereichen der EU-Politik geführt, mit radikalen Vorschlägen, die vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen wären. Allerdings sind noch nicht alle Fragen beantwortet.

Im Juni letzten Jahres unternahmen die Mitgliedstaaten den mutigen Schritt, der Ukraine den begehrten Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen. Dieser Moment wurde als geopolitischer Sieg für das vom Krieg zerrissene Land und als deutliche Abfuhr für den Kreml gefeiert. Doch Kiew will nun von Brüssel den Beweis dafür, dass gute Absichten mehr sind als nur Worte.

Die Europäische Kommission wird im Oktober ihren Erweiterungsbericht veröffentlichen. Damit wird die Exekutive zum ersten Mal eine gründliche, detaillierte Bewertung der Fortschritte der Ukraine auf ihrem Weg zur Mitgliedschaft veröffentlichen. Anhand der Ergebnisse wollen die Staats- und Regierungschefs der EU einstimmig entscheiden, ob sie formelle Beitrittsgespräche mit Kiew aufnehmen oder zusätzliche Bedingungen stellen.

Präsident Volodymyr Zelenskyy und seine Stellvertreter haben darauf bestanden, dass die Verhandlungen vor Ende des Jahres beginnen sollen - ein ehrgeiziger Zeitplan, der darauf schließen lässt, dass jedes Zögern in Brüssel nicht begeistert aufgenommen wird.

Am 14. und 15. Dezember tagt der Europäische Rat. Auf der Tagesordnung stehen unter anderem ein neuer 20-Milliarden-Euro-Plan, der Kiew langfristig militärische Unterstützung gewähren soll, sowie der anhaltende Streit um die zollfreien Einfuhren ukrainischen Getreides, die in Osteuropa sehr umstritten sind.

Saftige Rechnung an den Kreml

Die Devise, "Russland zur Kasse bitten" ist offiziell zum EU-Jargon geworden. Sie bezieht sich darauf, dass der Wiederaufbau der Ukraine, der nach Schätzungen der Weltbank mindestens 380 Milliarden Euro kosten wird, mit privatem und öffentlichem Vermögen in russischem Besitz bezahlt werden soll. Im Falle der EU liegt das Hauptaugenmerk auf den 200 Milliarden Euro an Vermögenswerten der russischen Zentralbank, die infolge der Finanzsanktionen blockiert wurden.

Da dieses Geld nach internationalem Recht nicht beschlagnahmt werden kann, plante Brüssel zunächst, die Reserven der Zentralbank zu reinvestieren und die jährlichen Einnahmen in den Wiederaufbau der Ukraine zu stecken. Später wandelte sich dieses Projekt zu einer nicht näher definierten Steuer auf die von den Verwahrern der Vermögenswerte erzielten unerwarteten Gewinne, die die Europäische Kommission noch vor der Sommerpause vorzustellen versprach - und dann doch nicht vorstellte.

Die Verzögerung kam alles andere als überraschend: Die Europäische Zentralbank, Finanzexperten und Rechtswissenschaftler haben sämtlich ernsthafte Bedenken gegen die beispiellose Initiative geäußert und davor gewarnt, dass der einseitige Schritt finanzielle Instabilität auslösen und die Glaubwürdigkeit des Euro beschädigen könnte.

Nachdem die EU so hohe Erwartungen geweckt hat, ist es schwer vorstellbar, dass Brüssel eine vollständige Kehrtwende vollzieht, so dass wir in den kommenden Monaten, möglicherweise noch vor Dezember, mit einem umfassenden Vorschlag rechnen können, auch wenn dieser am Ende stark verwässert werden könnte.

Diamonds are EU's best friends

Eine weitere anstehende Aufgabe: die Einfuhr russischer Diamanten ein für alle Mal zu sanktionieren.

Jean-Christophe Bott/AP
Die Europäische Union hat zusammen mit ihren G7-Partnern in den letzten Monaten versucht, einen Weg zu finden, um russische Diamanten wirksam zu sanktionieren.Jean-Christophe Bott/AP

Geld bringt die EU in Schwung

Geld - wir alle wollen es. Aber woher sollen wir es nehmen? Diese brennende Frage wird die politische Debatte bis zu den Wahlen bestimmen. Die Europäische Kommission hat eine Aufstockung des Siebenjahreshaushalts der Union um 66 Milliarden Euro vorgeschlagen, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen. Darin enthalten sind 17 Milliarden Euro an Zuschüssen für die Ukraine, 15 Milliarden Euro für die Migrationssteuerung, 10 Milliarden Euro für die Finanzierung strategischer Technologien und 18,9 Milliarden Euro für die Begleichung der mit dem COVID-19-Rettungsfonds eingegangenen Schulden.

Während die Einrichtung der so genannten "Ukraine-Fazilität" bei den Mitgliedstaaten, den Hauptbefürwortern des Haushalts, auf breite Zustimmung stieß, wurde der Gedanke, fast 50 Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben zu tätigen, von den Regierungen, deren öffentliche Kassen nach zwei aufeinanderfolgenden Krisen ziemlich leer sind, sehr zurückhaltend aufgenommen.

Die Haushaltsgespräche finden parallel zu einer anderen wichtigen Debatte statt: der Reform der EU-Fiskalregeln, die seit dem Ausbruch der Pandemie ausgesetzt sind und vor ihrer Wiedereinführung im Januar 2024 überarbeitet werden müssen.

Der vorliegende Vorschlag behält die seit langem geltenden Grenzwerte von 3 Prozent für das Defizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt und 60 Prozent für die Verschuldung im Verhältnis zum BIP bei und führt ein größeres Maß an Flexibilität und Eigenverantwortung ein, um den Mitgliedstaaten zu helfen, ihre Finanzen entsprechend ihrer nationalen Besonderheiten zu sanieren.

Der Ansatz wurde von hoch verschuldeten Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien begrüßt, hat jedoch das Misstrauen Deutschlands, der Niederlande und Dänemarks geweckt, die stärkere Garantien für den Schuldenabbau fordern. Da ist ein erbitterter Kampf zu erwarten.

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Das Tabu der Migration ist endlich gebrochen

Jahrelang war die Migrationspolitik der No-Go-Bereich der EU-Politik. Mehrere Versuche, einen gemeinsamen und koordinierten Rahmen für die Bewältigung der Ankunft von Migranten zu schaffen, waren zum Scheitern verurteilt. Die Mitgliedstaaten waren zu weit voneinander entfernt, um überhaupt ein vernünftiges Gespräch zu führen.

Doch Anfang dieses Jahres gab es erste Fortschritte beim "Neuen Pakt zu Migration und Asyl", einem lange blockierten Vorschlag, der die wichtigsten Säulen der Migrationspolitik umfasst und neu gestaltet.

Der erste große Durchbruch gelang im Juni, als die EU-Innenminister eine vorläufige Einigung über ein System der "verpflichtenden Solidarität" erzielten, mit dem alle Mitgliedstaaten, unabhängig von ihrer Größe und ihrem wirtschaftlichen Gewicht, für die Aufnahme und Umsiedlung von Asylbewerbern verantwortlich gemacht werden sollen. Mit dieser Einigung wurde die Sackgasse durchbrochen und die formellen Verhandlungen zwischen dem EU-Rat und dem Europäischen Parlament eingeleitet, die sich nun auf die Einzelheiten der komplexen Rechtsvorschriften einigen müssen.

Wenn die Dynamik anhält, könnte die EU bis zu den Wahlen ihr allererstes kollektives System zur Migrationssteuerung haben.

Davon können die Grünen nur träumen

Kurz nachdem Ursula von der Leyen Präsidentin der Europäischen Kommission geworden war, trat sie vor die Presse, um den Europäischen "Green Deal" vorzustellen, ein außerordentlich ehrgeiziges und radikales Vorhaben, das die Wirtschaft des Blocks unwiderruflich umgestalten, unser Konsumverhalten neu erfinden und bis 2050 Klimaneutralität erreichen soll. "Dies ist Europas 'Mann-auf-dem-Mond'-Moment", sagte von der Leyen im Dezember 2019.

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Fast vier Jahre später ist der "Green Deal" dank einer Reihe von Gesetzesvorschlägen, die von den Mitgliedstaaten und den Abgeordneten des Europäischen Parlaments angenommen wurden, greifbar geworden. Dazu gehören ein schrittweises Verbot des Verbrennungsmotors, eine Steuer auf umweltschädliche Importe, verschärfte Ziele für die Energieeffizienz und ein 300-Milliarden-Euro-Plan, um die EU von russischen fossilen Brennstoffen zu befreien.

Dies hat zu einem sprunghaften Anstieg der erneuerbaren Energien geführt: Im Jahr 2022 wurde erstmals in der Geschichte der EU mehr Strom aus Wind- und Sonnenenergie als aus Gas erzeugt. In der Zwischenzeit hat die Energiekrise das Sparverhalten der Haushalte und der Industrie verstärkt und die Nachfrage gesenkt.

Doch in der EU gibt es eine wachsende Ablehnung der Umweltpolitik, wie der erbitterte politische Kampf um das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zeigt, das eine Abstimmung im Europäischen Parlament nur knapp überstand.

Das umstrittene Gesetz ist neben der Überarbeitung der Richtlinie über erneuerbare Energien (RED), einer Reform des Elektrizitätsmarktes und einer Industriestrategie zur Förderung der heimischen Produktion von Netto-Null-Technologie eines der letzten Stücke in der Pipeline des "Green Deal".

Das Thema Kernenergie, angeführt von Frankreich, zieht sich durch all diese Gespräche.

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Mark Baker/Copyright 2023 The AP. All rights reserved
Die Frage der biometrischen Identifizierung in Echtzeit steht im Mittelpunkt der Verhandlungen über das Gesetz über künstliche Intelligenz.Mark Baker/Copyright 2023 The AP. All rights reserved

Die Technologie ist in aller Munde

Die Mitgliedsstaaten und die Abgeordneten des Europäischen Parlaments verhandeln derzeit intensiv über das Gesetz über künstliche Intelligenz, das die Entwicklung menschenzentrierter, ethisch verantwortlicher und ökologisch nachhaltiger KI-Systeme in ganz Europa sicherstellen soll.

Das Gesetz würde eine pyramidenartige Struktur einführen, die KI-gestützte Produkte nach ihren potenziellen Risiken für die Gesellschaft unterteilt und verschiedene Marktregeln vorschreibt, um unbeabsichtigte Folgen wie Verletzungen der Grundrechte, Diskriminierung, Plagiate, Imitationen und die Verbreitung von Desinformationen zu verhindern.

Seit seiner Vorlage im April 2021 war das KI-Gesetz Gegenstand intensiver Lobbyarbeit, Medienbeobachtung und politischer Verhandlungen, wobei die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Tausende von Änderungsanträgen zum ursprünglichen Text einreichten. Das plötzliche Auftauchen von Chatbots, wie "ChatGPT" von "OpenAI" und "Bard" von "Google", hat den Druck auf die Verhandlungsführer erhöht, noch vor Jahresende eine Einigung zu erzielen.

Einer der Streitpunkte bleibt der Einsatz biometrischer Echtzeit-Identifikation im öffentlichen Raum. Das Europäische Parlament möchte diese Praxis gänzlich verbieten, während die Mitgliedsstaaten Ausnahmen für die Strafverfolgung beibehalten wollen.

Sollte das KI-Gesetz verabschiedet werden, wäre es das erste Gesetz der Welt, das Auswüchse dieser sich ständig weiterentwickelnden Technologie umfassend eindämmt.

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Zusätzliche Aufgaben

Die To-Do-Liste der EU ist damit noch nicht zu Ende: Ein gar nicht so kleiner Stapel von Gesetzesvorlagen wartet auf einen erfolgreichen Abschluss vor den Wahlen 2024.

Auf der Tagesordnung stehen unter anderem der Critical Raw Materials Act, ein Gesetz zur Verringerung der Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten seltener Erden, der Media Freedom Act, der europäische Journalisten vor Spionageprogrammen und politischer Einmischung schützen soll, und ein Ethikgremium, das gegen Korruption in den EU-Institutionen vorgehen soll, sowie ein erneuter Vorstoß zum Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur, das seit mehr als 20 Jahren in Arbeit ist.

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