Farbe bekennen? So reagieren Unternehmen auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas

Ein T-Shirt mit dem Logo von Starbucks Workers United. 29\. März 2023\.
Ein T-Shirt mit dem Logo von Starbucks Workers United. 29\. März 2023\. Copyright J. Scott Applewhite/AP
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Von Euronews
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Während die Zahl der Todesopfer der israelischen Offensive in Gaza steigt, befinden sich die Kommunikationsabteilungen vieler Unternehmen im Krisenmodus.

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Am 7. Oktober startete die bewaffnete palästinensische Gruppe Hamas - von der EU als terroristische Organisation eingestuft - einen Angriff auf Israel. Sie schossen auf Zivilisten, nahmen Geiseln und steckten Gebäude in Brand. 

Dabei ermorderten die Kämpfer rund 1400 Israelis und behauptete, der Angriff sei als Reaktion auf die Unterdrückung durch den israelischen Staat erfolgt. 

So reagierten Unternehmen auf den Hamas-Angriff

Nach Bekanntwerden des Angriffs gaben mehrere Unternehmen Erklärungen ab und verurteilten diesen. 

Die Walt Disney Company spendete zwei Millionen Dollar (1,9 Millionen Euro) an humanitäre Organisationen in der Region und äußerte sich empört über die "schrecklichen Terroranschläge".

Andy Jassy, CEO von Amazon, erklärte auf Twitter, die Gewalt gegen Zivilisten sei "schockierend und schmerzhaft mit anzusehen", und Albert Bourla, CEO von Pfizer, schrieb auf LinkedIn, er sei "untröstlich" nach den "Gräueltaten".

Während diese Beileidsbekundungen für viele eine natürliche Reaktion darstellten, waren sich einige palästinensische Unterstützer dabei nicht so sicher.

Sie beklagten, dass Unternehmen zwar ihr Mitgefühl für die Opfer der Hamas bekundeten, aber das palästinensische Leid in der Berichterstattung vernachlässigt werde.

Bald wurden auch Starbucks und McDonald's in die Debatte verwickelt.

Als Israel mit Vergeltungsschlägen auf den Gazastreifen begann, kündigte die Fast-Food-Kette an, Tausende von kostenlosen Mahlzeiten an Angehörige der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) auszugeben.

Während Israel behauptet, seine Truppen leisteten wichtige Arbeit, um die Hamas in Gaza zu "zerschlagen", behaupteten pro-palästinensische Gruppen, McDonald's unterstütze durch die Ausgabe kostenloser Mahlzeiten die ethnische Säuberung der Palästinenser.

Starbucks geriet ins Kreuzfeuer, nachdem die Gewerkschaft der Mitarbeiter:innen eine Nachricht auf X veröffentlichte: "Solidarität mit Palästina!"

Nach dem Posting erfolgten Reaktion mehrerer jüdischer Gruppen. Starbucks beschloss dann, die Gewerkschaft zu verklagen, was in der Debatte wiederum für Wut und  Solidaritätsbekundungen in Richtung der palästinensischen Seite führte. 

Reden oder schweigen?

Es waren die Sozialen Medien, die auch Unternehmen in den Fokus öffentlicher politisch und moralisch aufgeladener Debatten rückten.  

Ein Bewusstsein für die "soziale Verantwortung von Unternehmen" existiert seit den 1950er Jahren, was zunächst aber mehr mit Philanthropie und dem Engagement für die eigene Gemeinschaft zu tun hatte als mit öffentlichkeitswirksamen Stellungnahmen zum aktuellen Geschehen. 

Viele Unternehmen waren früher der Meinung, dass es nicht notwendig (oder besonders klug) sei, sich zu gesellschaftlichen Themen zu äußern - sei es zu Abtreibung, Rassismus oder LGBTQ+-Rechten.

Doch mit dem Aufschwung der sozialen Medien in den Nullerjahren vollzog sich ein gewaltiger kultureller Wandel.

Da es nun einfacher ist, Meinungen direkt auszutauschen, stehen Unternehmen unter größerem Druck, sich zu vermeintlichen Ungerechtigkeiten zu äußern, auch wenn sie nicht direkt betroffen sind.

In manchen Fällen kann dies für Unternehmen eher ein Gewinn als eine Belastung darstellen, wie sich nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 zeigte.

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Da in der westlichen Welt ein allgemeiner Konsens herrscht, wer als Unterdrücker wahrgenommen wird, können Marken ihre Haltung dazu ohne allzu großes zum Ausdruck bringen.

Ukrainische Flaggen waren plätzlich vielerorts präsent, aufUnternehmenswebsites und in Geschäften. Eine Reihe von Unternehmen startete Solidaritätskampagnen, wie z. B. die Vermietungsplattform Airbnb, die kostenlose Unterkünfte für ukrainische Flüchtlinge anbot.

Kalush Orchestra aus der Ukraine feierte seinen Sieg im Finale des Eurovision Song Contest in Turin, Italien, Mai 2022
Kalush Orchestra aus der Ukraine feierte seinen Sieg im Finale des Eurovision Song Contest in Turin, Italien, Mai 2022Luca Bruno/AP

Ist die öffentliche Meinung aber gespalten, wird es komplizierter. 

An-Sofie Claeys, Assistenzprofessorin für Unternehmenskommunikation an der Universität Gent in Belgien, lehrt ihre Studenten, wie man die PR eines Unternehmens in Krisensituationen führt.

In Bezug auf den Kreig im Nahen Osten sagte sie gegenüber Euronews: "Ich glaube nicht, dass es hier eine eindeutige Lösung gibt, um Unternehmen zu beraten."

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"Eine Sache, die sie berücksichtigen sollten, ist Konsequenz", so fügte sie hinzu.

"Wenn Sie sich noch nie zu sozialen Themen geäußert haben und Ihr Unternehmen ein B2B-Unternehmen ist, [...] dann denke ich, dass Sie wahrscheinlich schweigen werden", sagte Claeys. "Aber wenn Sie Waren für Verbraucher herstellen, wenn Sie eine Marke sind, die schon früher zu gesellschaftlichen Themen Stellung bezogen hat [...], dann kann es ziemlich heuchlerisch wirken, jetzt keine Stellung zu beziehen."

Die Macht und das Volk

Es ist nicht einfach, herauszufinden, wie viel Unterstützung die israelische Offensive in der israelischen Bevölkerung geniesst. 

Laut einer Umfrage, die am 27. Oktober in der israelischen Zeitung Maariv veröffentlicht wurde, will fast die Hälfte der Israelis mit einer Invasion des Gazastreifens noch warten. Die Meinung ändern sich allerdings laufend. 

Im Vereinigten Königreich zeigt eine IPSOS-Umfrage vom 27. Oktober, dass die britische Öffentlichkeit eher wünscht, dass London als neutraler Vermittler auftritt (37 %) oder sich überhaupt nicht einmischt (16 %), dass sie entweder Israel (13 %) oder die Palästinenser (12 %) unterstützt.

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Im Vergleich zu einer Studie, die am 15. Oktober mit US-Befragten durchgeführt wurde, stellte IPSOS fest, dass die Briten die israelische Offensive mit geringerer Wahrscheinlichkeit unterstützen, obwohl die Organisation einräumte, dass die Umfragen einige Abweichungen aufwiesen.

Da die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen weiter ansteigt, könnte auch der Zeitpunkt der Erhebung die Schlussfolgerungen von IPSOS beeinflussen.

Gespalten zeigen sich zuweilen aber auch die Spitzen der internationalen Politik.  

US-Präsident Joe Biden und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, haben Israels Einmarsch in den Gazastreifen als Akt der Selbstverteidigung bezeichnet, während eine Reihe führender Politiker, wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, den Angriff Israels kritisiert haben.

In Anbetracht dieser Meinungsverschiedenheiten ist es leicht zu verstehen, warum die Unternehmenskommunikation in einer Zeit wie dieser schwierig werden kann.

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Mit ihrer Entscheidung, sich zum israelischen Hamas-Krieg zu äußern, setzen sich Marken sehr wohl der Kritik beider Seiten aus.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres während einer Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, 24. Oktober 2023
UN-Generalsekretär Antonio Guterres während einer Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, 24. Oktober 2023Seth Wenig/AP

Antisemitismus und Boykott

Bei der Vorbereitung dieses Artikels hat Euronews sowohl mit pro-israelischen als auch mit pro-palästinensischen Gruppen Kontakt aufgenommen, die nun bestimmte Unternehmen meiden.

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels hatten sich die pro-israelischen Gruppen noch nicht geäußert, aber die von den Palästinensern geführte Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) hat auf unsere Anfragen geantwortet.

Die Gruppe, die seit 2005 aktiv ist, konzentriert ihre Boykotte auf eine kleine Anzahl von Unternehmen, die ihrer Meinung nach an der Verletzung der Rechte der Palästinenser beteiligt sind.

Dazu gehören die Technologieunternehmen HP und Siemens, der Einzelhändler Carrefour, das Versicherungsunternehmen AXA und der Sportartikelhersteller Puma.

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"Alle friedlichen Bemühungen der Bevölkerung, einschließlich Boykott und Divestment, um diese mitschuldigen Unternehmen für ihre Unterstützung der israelischen Verbrechen gegen die Palästinenser zur Rechenschaft zu ziehen, sind gerechtfertigt und notwendig", sagte BDS Euronews.

"Divestment" bedeutet so viel wie "der auch strategische Rückzug aus einer Investition". 

Die Gruppe betonte, dass Boykotte wirksam seien, und dass ihre Aktionen bereits große multinationale Unternehmen wie Veolia, Orange und General Mills dazu gebracht hätten, sich aus Aktivitäten in israelischen Siedlungen zurückzuziehen.

Doch auch wenn die BDS-Aktionen zu funktionieren scheint, hat die Gruppe im Laufe der Jahre immer wieder für Kontroversen gesorgt.

Die Gruppe hat insbesondere eine Debatte über die Rechtmäßigkeit des Boykotts und über das Recht auf freie Meinungsäußerung ausgelöst.

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Im Jahr 2019 befand der deutsche Bundestag, dass BDS antisemitische Methoden einsetzt, um seine Ziele zu erreichen. Ähnlich befanden Staatsorgane in Ländern wie Frankreich und dem Vereinigten Königreich.

In den USA haben mehrere Bundesstaaten Gesetze gegen israelfeindliche Boykotte verabschiedet, aber viele dieser Initiativen wurden auf der Grundlage der Meinungsfreiheit rechtlich angefochten, wobei die Boykotteure argumentierten, dass es ihnen erlaubt sein sollte, den israelischen Staat zu kritisieren.

Letztlich wirft die Debatte über BDS ein Schlaglicht auf die Schwierigkeit, den Hamas-Krieg in Israel zu diskutieren, da sich die Unternehmen durch die Verurteilung der Aktionen von Netanjahus Offensive dem Vorwurf des Antisemitismus aussetzen.

Aufgrund der zunehmenden Spannungen im Zusammenhang mit dem Konflikt ist es offensichtlich, dass verbale und physische Angriffe gegen jüdische Bürger seit dem 7. Oktober in alarmierendem Maße zugenommen haben.

Im mehrheitlich muslimischen Dagestan stürmten am Montag Hunderte von Männern einen Flughafen auf der Suche nach israelischen Passagieren, und am 20. Oktober verzeichnete London einen Anstieg antisemitischer Straftaten im Oktober um 1.353 % im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres.

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Unternehmen müssen sich auf ihre Werte besinnen.
An-Sofie Claeys
Assistenzprofessorin für Unternehmenskommunikation an der Universtität von Gent

Während die Angst vor Antisemitismus also völlig berechtigt ist, besteht ein klares Problem darin, dass Kritik am israelischen Staat mit einem Angriff auf jüdische Menschen verwechselt wird.

In einigen Kreisen haben diejenigen, die palästinensische Stimmen zum Schweigen bringen wollen, auch die Grenzen zwischen der Unterstützung der Hamas und der Unterstützung der palästinensischen Sache verwischt, indem sie diejenigen, die sich der israelischen Offensive widersetzen, als Sympathisanten von Terroristen abstempeln.

Für Unternehmen bleibt es also eine Herausforderung, auf den Krieg zu reagieren, ohne einen Teil ihrer Kundschaft zu verprellen oder zu beleidigen. 

Professor Claeys erklärte jedoch gegenüber Euronews: "Ich denke, es gibt einen Unterschied zwischen dem, was man moralisch tun sollte, und dem, was man im Hinblick auf Strategie und Ruf tun sollte."

Sie erklärte, dass sich Unternehmen "wirklich auf ihre Werte besinnen und in Übereinstimmung mit diesen handeln und kommunizieren müssen".

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