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Trübe Daten: Ist Großbritannien wieder Europas kranker Mann?

Archivbild: Britischer Premierminister Sir Keir Starmer in der Mitte. Vor Gesprächsrunde und Empfang in der Downing Street Nummer zehn trifft er Religionsvertreter.
Archivbild: Britischer Premier Sir Keir Starmer trifft Religionsvertreter. Vor einer Gesprächsrunde und einem Empfang in Downing Street Nummer zehn. Copyright  AP Wire/AP Images
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Von Una Hajdari
Zuerst veröffentlicht am
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Das Schlagwort aus den 1970ern lebt auf: Daten zeigen: Großbritanniens Wirtschaft läuft rückwärts. September: minus null Komma eins Prozent, Quartal schwach.

Die Formulierung „kranker Mann Europas“ hat eine lange, wenig ruhmreiche Geschichte. Zuerst bezog sie sich auf das Osmanische Reich und seinen Niedergang als große Wirtschafts- und Politmacht. Später traf sie in den siebziger Jahren Großbritannien, als Stagflation und Arbeitskämpfe das Land lähmten. Nun hört man sie wieder in den Fluren von Westminster und der Londoner City.

Neue Zahlen zeigen, dass die britische Wirtschaft im September unerwartet um null Komma eins Prozent geschrumpft ist. Das Quartalswachstum sank auf null Komma eins Prozent. Die Frage kehrt zurück: Verliert Großbritannien erneut seinen wirtschaftlichen Schwung?

„Die heutigen BIP-Daten bestätigen, was die jüngsten Zahlen angedeutet haben: Die britische Wirtschaft tut sich schwer, den Schwung bis zum Jahresende zu halten“, sagte Lindsay James, Investmentstratege bei Quilter.

„Das monatliche Wachstum ist um null Komma eins Prozent gefallen, der August wurde auf null Wachstum nach unten korrigiert. Das zeichnet das Bild einer Wirtschaft, die zweitausendfünfundzwanzig stark gestartet ist, jetzt aber deutlich an Kraft verliert, just in dem Moment, in dem die Finanzministerin ihren entscheidenden Herbsthaushalt vorbereitet“, so James.

Hohe Kreditkosten und anhaltend teure Energie belasten Haushalte und Unternehmen. Brexit-Bürokratie und politische Kurswechsel dämpfen Investitionen.

Im Ausland schwächt eine träge Nachfrage in Europa. Kriegsbedingte Schocks durch die Konflikte in der Ukraine und im Gazastreifen treiben Fracht- und Versicherungskosten hoch. Der Handel wird komplizierter, die Sorge vor US-Zöllen wächst.

Die Industrieproduktion fiel im September wieder in die Schrumpfung, teils wegen eines Cyberangriffs, der Jaguar Land Rover vorübergehend lahmlegte. Umfragen deuten auf weitere Schwäche in der Fertigung. Selbst der Dienstleistungssektor, traditionell Britanniens Wachstumsmotor, wurde zurückgestuft. Das Geschäftsklima, ohnehin fragil, bröckelt.

Befürworter des Etiketts „kranker Mann“ verweisen auf mehrere Signale: Das BIP-Wachstum hat sich Quartal für Quartal verlangsamt, die Arbeitslosenquote ist auf fünf Prozent gestiegen und die Unternehmensinvestitionen bleiben verhalten.

„Die Schrumpfung im September lässt sich teilweise durch den lähmenden Cyberangriff auf Jaguar Land Rover erklären“, sagte Danni Hewson, Leiterin der Finanzanalyse bei AJ Bell.

„Doch bereinigt um das Bevölkerungswachstum stand die Wirtschaft im Sommer praktisch still. Weit entfernt von dem Schwung, den das Land zu Jahresbeginn spürte, als viele Firmen ihre Produktion vorzogen, um Donald Trumps Zöllen zuvorzukommen.“

Gleichzeitig steht Labour-Politikerin Rachel Reeves vor ihrer heikelsten Prüfung. Ihr bevorstehender Haushalt muss Sparsamkeit mit dem Versprechen von Wachstum verbinden. An dieser Gleichung sind Regierungen seit Jahrzehnten gescheitert.

„Ihr nächster Schritt ist entscheidend, wenn sie Labours wirtschaftliche Wachstumsmission wiederbeleben und verhindern will, dass von einer drohenden Rezession die Rede ist“, warnte James.

Zwar hat die Inflation nachgelassen und die Renditen britischer Staatsanleihen sind von den Höchstständen im Januar zurückgekommen. Das verschafft dem Finanzministerium etwas Luft. Doch über den Unternehmen schwebt weiter die Aussicht auf zusätzliche Steuererhöhungen.

„Unsicherheit über mögliche Steuererhöhungen und hartnäckige Gerüchte, Arbeitgeber könnten erneut ins Visier geraten, etwa durch einen schlecht durchdachten Angriff auf Beiträge in beitragsorientierten Pensionsplänen mithilfe der Gehaltsumwandlung, drohen das fragile Geschäftsklima zu ersticken und die Arbeitslosigkeit deutlich nach oben zu treiben“, so James.

Große Ziele, geringe Wirkung

Genau diese Spannung zwischen fiskaler Vorsicht und Wachstumsambition steht im Zentrum der Debatte.

„Wachstum wurde von dieser Regierung als Allheilmittel verkauft“, sagte Hewson. „Doch die Rechnung ging nie auf, und die Finanzministerin steht nun vor der Aussicht, Wahlversprechen zu brechen und gleichzeitig das nötige Vertrauen für Wachstum zu schaffen, während sie den Menschen Milliarden über Steuererhöhungen entzieht.“

Dennoch könnte das Bild vom „kranken Mann“ überzogen sein.

Die britische Abschwächung spiegelt weite Teile Europas: Deutschland wächst kaum, Italien stagniert. Die Arbeitslosenquote liegt weiter unter dem Durchschnitt der Eurozone, und die Inflation, einst die höchste im G7, ist schneller gefallen als erwartet.

Auch die Aktienmärkte der City zeigen Widerstandskraft. Anleger schöpfen Trost aus fallenden Renditen und der Aussicht auf eine Zinssenkung der Bank of England im Dezember.

„Anleger sollten mit Schwankungen rechnen, sich aber daran erinnern, dass britische Aktien in diesem Jahr robust waren. Das unterstreicht, wie wichtig Diversifikation in unsicheren Zeiten ist“, schloss James.

Gelingt es Reeves nicht, das Vertrauen der Unternehmen neu zu entfachen und einen Kurs zwischen fiskaler Vorsicht und konjunktureller Unterstützung zu halten, könnte das Etikett vom „kranken Mann“ haften bleiben. Und diesmal hat Großbritannien weniger Reserven als damals, als man dem Land dieses Etikett zuletzt verpasst hat.

Nach Einschätzung von Hewson bei AJ Bell müssen „[Premierminister Keir] Starmer und Reeves sich schütteln und bereit sein, dem Land unpopuläre Entscheidungen zu erklären, wenn sie weitere Monate mit negativem Wachstum verhindern wollen“.

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