Proteste gegen geplante Riesenfarm zur Zucht von Tintenfischen

Der Krake Paul orakelt am Freitag, 9. Juli 2010, im SeaLife Aquarium in Oberhausen das Ergebnis der WM-Spiele.
Der Krake Paul orakelt am Freitag, 9. Juli 2010, im SeaLife Aquarium in Oberhausen das Ergebnis der WM-Spiele. Copyright Roberto Pfeil/apn Photo
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Von Giulia Carbonaro
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Wissenschaftler:innen fordern eine Einstellung der Pläne, die sie als "kontraproduktiv" für eine nachhaltige Aquakultur bezeichnen.

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Der Plan für die weltweit erste Tintenfisch-Farm ist in Wissenschaftskreisen als "grausam" kritisiert worden.

Das spanische Unternehmen Nueva Pescanova plant laut internen Plänen, die der BBC vergangene Woche zugespielt wurden, die Aufzucht von mehr als einer Million der intelligenten Kreaturen zur Lebensmittelproduktion pro Jahr.

Der Vorschlag wurde erstmals im Februar 2022 bekannt, aber jetzt sind zum ersten Mal Einzelheiten ans Licht gekommen. Die geplante Farm soll die Tiere in Tanks mit je 1.000 Tieren in einem zweistöckigen Gebäude auf den Kanarischen Inseln unterbringen, wie aus den Dokumenten hervorgeht. Veterinärexptert:innen sagen voraus, dass das zu einer Sterblichkeitsrate von etwa 10-15 Prozent unter der Tinenfischbevölkerung führen würde.

Die Tiere sollen mit "Fischabfällen und Nebenprodukten" gefüttert und durch Eintauchen in einen "Eisbrei" getötet werden.

Nueva Pescanova bestreitet, dass die Tiere leiden würden, aber Wissenschaftler:innen haben den Vorschlag heftig kritisiert.

"Das wäre sehr grausam und sollte nicht erlaubt werden", sagte Professor Peter Tse von der Dartmouth University gegenüber der BBC.

Warum die Kontroverse?

Nueva Pescanova hat bereits über 65 Millionen Euro in die riesige Farm investiert, die im Hafen von Las Palmas auf den Kanarischen Inseln gebaut werden soll. Die Farm würde in der Lage sein, 3.000 Tonnen Tintenfischprodukte pro Jahr zu produzieren.

Dass Kraken hochintelligente Tiere sind, ist inzwischen allgemein bekannt.

In zahlreichen Experimenten wurde bewiesen, dass diese neugierigen, ihre Form verwandelnden Tiere recht komplexe Verhaltensweisen an den Tag legen - sie nutzen beispielsweise Kokosnüsse und Muscheln, um sich zu verstecken und zu kämpfen. Sie sind in der Lage, bestimmte Aufgaben allein durch Beobachtung schnell zu erlernen, und verfügen über 500 Millionen Neuronen - damit sind sie so klug wie Hunde oder ein dreijähriges Kind.

Im vergangenen Jahr erkannte Großbritannien Kraken nach einer unabhängigen Überprüfung von 300 wissenschaftlichen Studien durch die London School of Economics and Political Science (LSE) als "fühlende Wesen" an. Die Untersuchung lieferte unwiderlegbare Beweise dafür, dass Kraken sowohl Schmerz als auch Erregung und Freude empfinden können.

Die Meinung von Wissenschaftler:innen wird ja oft gerne ignoriert, aber den Kraken ist zusätzlich die Popkultur zur Seite gesprungen.

Im Jahr 2010 wurde Paul, der “hellsehende" Krake, in Deutschland ein Held, weil er den Ausgang aller sieben Spiele der deutschen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft richtig voraussagte. Er sagte sogar den Sieger des Endspiels zwischen Spanien und den Niederlanden voraus.

Auch der Oscar-prämierte Netflix-Dokumentarfilm My Octopus Teacher, der die bewegende Freundschaft zwischen einem Filmemacher und einem Tintenfisch zeigt, war eine großartige PR für diese wirbellosen Tiere.

Aaron Favila/Copyright 2018 The AP. All rights reserved
Es gibt derzeit keine anerkannte humane Methode zur Tötung von Tintenfischen.Aaron Favila/Copyright 2018 The AP. All rights reserved

Hohe Sterblichkeit, Kannibalismus und Selbstverstümmelung: Warum die Zucht von Kraken so falsch ist

Aufgrund ihres neugierigen und wissbegierigen Wesens leiden Kraken in Gefangenschaft sehr. Sie sind außerdem einzelgängerische, territoriale Lebewesen, und Experten befürchten, dass sie sich gegenseitig auffressen, wenn sie in geschlossenen Räumen mit unerwünschten Nachbarn gefangen sind.

Bei früheren Versuchen, Kraken für die Lebensmittelproduktion zu züchten, kam es zu einer hohen Sterblichkeitsrate unter den Tieren sowie zu Fällen von Aggression, Kannibalismus und Selbstverstümmelung.

Es gibt derzeit keine anerkannte humane Methode zur Tötung von Tintenfischen, und die derzeit bei wild lebenden Tieren angewandten Techniken sind alles andere als gnädig gegenüber diesen Kopffüßern. Kraken, die für den menschlichen Verzehr getötet werden, werden oft bei lebendigem Leib gekocht, mit einem Schlag auf den Kopf getötet, erstickt oder in Eis eingefroren.

Gibt es nicht ein Gesetz, das die Eröffnung dieser Farm verhindern wird?

- Ja und nein.

Die EU hat strenge Vorschriften, um das Wohlergehen der Tiere in den landwirtschaftlichen Betrieben Europas zu gewährleisten, aber leider gelten diese Gesetze nicht für wirbellose Tiere - wie Tintenfische.

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Nach Ansicht vieler Wissenschaftler sind Kraken jedoch in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme unter den wirbellosen Tieren. Sie sind zum Beispiel die einzigen wirbellosen Tiere, die Werkzeuge benutzen können, um ihr Leben zu erleichtern.

Aus diesem Grund werden sie in einigen Ländern, darunter auch im Vereinigten Königreich, als "Wirbeltiere ehrenhalber" betrachtet und genießen denselben Schutz wie Wirbeltiere (z. B. dürfen Operationen bei Tests nicht ohne Betäubung durchgeführt werden).

Tintenfische wurden noch nie gezüchtet. Warum jetzt damit anfangen?

Oktopus ist in den Mittelmeerländern, Asien und Mexiko seit langem eine begehrte Delikatesse. In letzter Zeit ist die Nachfrage nach Tintenfischfleisch jedoch sprunghaft angestiegen, da auch Länder, die traditionell keinen Tintenfisch essen, auf den Geschmack gekommen sind.

Man schätzt, dass jedes Jahr etwa 350 000 Tintenfische in freier Wildbahn gefangen werden, zehnmal mehr als in den 1950er Jahren.

Die wachsende Nachfrage nach Oktopus führt zu einer Überfischung dieses Tieres und in der Folge zu einem Anstieg seines Preises auf dem Weltmarkt. All dies trägt dazu bei, dass die Idee, Kraken zu züchten, immer attraktiver wird.

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Aber Fischzucht ist doch gut für den Planeten, oder?

Ob Sie es glauben oder nicht: Nueva Pescanova bemüht sich um einen Zuschuss aus dem Next Generation Fonds der Europäischen Union, einem Paket von Darlehen und Zuschüssen der EU zur Unterstützung der Erholung von der Pandemie und zur Förderung einer umweltfreundlicheren Wirtschaft.

Dabei wird behauptet, dass die Zucht von Tintenfischen den zunehmenden Druck auf die wildlebenden Bestände verringern wird, was im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen steht.

Gemäß den neuen strategischen Aquakultur-Leitlinien (SAG), die die EU 2021 eingeführt hat, soll die Meeresfrüchtezucht ihre die Abhängigkeit von Fischmehl und Fischöl aus Wildfängen beenden und sich mit nachhaltigeren Arten diversifizieren.

Doch Wissenschaftler:innen argumentieren, dass die speziell Tintenfischzucht keinen Nutzen für die Umwelt bringt, ganz im Gegenteil.

In der Publikation "The Case Against Octopus Farming", die 2019 in der Zeitschrift Issues in Science and Technology veröffentlicht wurde, argumentieren die Forscher, dass "die Krakenzucht aus Sicht der ökologischen Nachhaltigkeit kontraproduktiv ist", da sich Kraken fleischfressend ernähren und Fischmehl enthalten.

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Nach Angaben des WWF wird etwa ein Drittel des weltweiten Fischfangs zur Fütterung anderer Tiere verwendet. Die Zucht von Kraken würde die Krise der schwindenden Fischbestände nur noch verschärfen.

In Anbetracht all dessen, was wir über die anhaltende Krise der Artenvielfalt, den Tierschutz und das Aufkommen veganer und vegetarischer Alternativen auf dem Lebensmittelmarkt wissen, scheint die Entscheidung, Kraken zu züchten, in der Tat die unnötige "Katastrophe" zu sein, als die sie von den Wissenschaftler:innen bezeichnet wird.

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