Was ist der Bouba/Kiki-Effekt und was bedeutet er für den Ursprung der Sprachen?

Der sogenannte Bouba/Kiki-Effekt wurde in 17 von 25 Sprachen festgestellt
Der sogenannte Bouba/Kiki-Effekt wurde in 17 von 25 Sprachen festgestellt Copyright The Royal Society Publishing
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Von Tim Gallagher
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Forscher:innen haben ein Experiment mit 900 Personen durchgeführt, das interkulturelle Verbindungen zwischen 25 verschiedenen Sprachen aufzeigt.

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Haben Sie schon einmal versucht, mit jemandem zu reden, der nicht Ihre Sprache spricht? Vermutlich werden sie wild gestikulieren und unverständliche Worte austauschen, und Sie beide werden zunehmend frustrierter. 

Aleksandra Ćwiek glaubt nicht, dass die Sprachbarriere unüberwindbar ist: "Es gibt Dinge, die uns als Menschen verbinden, die tief in unserer Kognition, tief in unserer Natur liegen", sagt die Wissenschaftlerin vom Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS).

"Wir können mit unserer Stimme Formen zeigen."

Ćwiek promoviert zum Thema Ikonizität in der Sprach- und Lautsymbolik und interessiert sich dafür, wie Optik und Klang miteinander zusammenhängen.

Jahrelang gingen Sprachwissenschaftler:innen davon aus, dass die Verbindung zwischen Wörtern und den Objekten, die sie bezeichnen, willkürlich ist. Mit anderen Worten: es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem englischen Wort "dog" oder dem französischen Wort "chien" und dem tatsächlichen Tier, einem Hund.

Die Ikonizität ist jedoch ein Bereich, in dem untersucht wird, ob es einen Zusammenhang zwischen dem, was wir sagen, und der Art und Weise, wie wir es sagen, gibt oder nicht. Wenn wir zum Beispiel über etwas im Himmel sprechen, sprechen wir in einer hohen Stimmlage, wenn wir über etwas unter der Erde sprechen, benutzen wir eine tiefe Stimme.

Andere Beispiele sind Wörter, die eine Bewegung ausdrücken, wie "zischen", oder die Muster hervorrufen, wie "zickzack", oder lautmalerische Wörter, die Geräusche nachahmen, wie "bumm".

"Das ist das Schöne an der Ikonizität, wir können sie nachahmen", sagt Ćwiek.

"Bouba/Kiki" und interkulturelle Verbindungen

Das Bouba/Kiki-Experiment hat seinen Ursprung im Jahr 1929, als Wolfgang Köhler die Wörter "maluma" und "takete" benutzte, um sogenannte kreuzmodale Sinneswahrnehmungen (wie dem Sehen und dem Hören) zu untersuchen. Köhler stellte sich die Frage, ob Teilnehmer:innen "maluma" mit einer runden Form und "takete" mit einer stacheligen Form assoziierten oder nicht.

Die Methodik hat sich seitdem weiterentwickelt, und die Wörter haben sich zu "bouba" - assoziiert mit einer runden Form - und "kiki" - assoziiert mit einer stacheligen Form - entwickelt.

Verschiedene Formen des Experiments wurden immer wieder durchgeführt, so zum Beispiel mit nicht lese- und schreibkundigen Gemeinschaften im Himalaya und Papua-Neuguinea, sowie mit Kindern im Vorschulalter.

Ćwiek und ihre Kolleg:innen aus verschiedenen Institutionen haben ein Experiment mit Menschen aus der ganzen Welt durchgeführt, um den kulturübergreifenden Charakter des Bouba/Kiki-Effekts zu ermitteln.

"Wir haben das Ganze auf eine andere Ebene gehoben, indem wir dieselbe Methodik in verschiedenen Sprachen angewendet haben", sagt sie.

Insgesamt wurden 900 Personen in 25 Sprachen getestet.

"Es ist das erste Mal, dass wir so viele Sprachen mit demselben Experiment untersucht haben", sagt Ćwiek.

Den multikulturellen Studienteilnehme:innen wurden sowohl das runde als auch das mit Stacheln versehene Bild präsentiert und zufällig eines der beiden Wörter vorgespielt. Anschließend wurden sie gebeten, das Wort, das ihnen vorgespielt wurde, der Form ihrer Wahl zuzuordnen.

Im Durchschnitt bestätigten mehr als 70 Prozent der Proband:innen den Bouba/Kiki-Effekt. Sprecher:innen von 17 der 25 Sprachen, die so weit auseinander liegen wie Japanisch, Schwedisch, Französisch und Zulu, bestätigten den Effekt systematisch.

Für Chinesisch, Rumänisch und Türkisch konnte der Effekt jedoch nicht universell nachgewiesen werden. Ćwiek hat jedoch eine Erklärung dafür.

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Ausnahmen für Chinesisch, Türkisch und Rumänisch

"Es gibt sprachliche Mechanismen, die den Effekt aufheben", sagt sie.

Im Rumänischen gibt es zum Beispiel ein Wort für Wunde, das wie "bouba" klingt. Die Schärfe des Schmerzes, die mit diesem Klang verbunden ist, kann die Verbindung zu der weichen, runden Form aufheben. 

Ein türkisches Wort für niedlich klingt wie "kiki", und die Assoziation mit kleinen niedlichen Dingen (wie Babys) kann die Verbindung des Klangs mit stacheligen Bildern in Frage stellen. Im Chinesischen hingegen sind "bouba" und "kiki" keine einheimischen Silben und klingen vielleicht einfach nur seltsam.

Was bedeutet Bouba/Kiki für die Vergangenheit und für die Zukunft?

Was auch immer unsere sprachlichen Neigungen inzwischen sind, kann man durch das Experiment spannende Rückschlüsse auf die Ursprünge der Sprache ziehen.

Ćwiek glaubt zwar nicht, dass es nur EINE ursprüngliche Sprache gab, aber sie glaubt, dass sensorische Überlappungen einen Hinweis darauf geben könnten, wie sich Sprache entwickelt hat.

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"Ich habe das Gefühl, dass diese Entsprechungen so in uns eingraviert sind, dass sie uns bei der Bildung von Wörtern ganz am Anfang geholfen haben könnten. Wenn wir keine gemeinsame Sprache haben, ist es einfacher, sich auf Ähnlichkeiten zu verlassen als auf etwas sehr Abstraktes. Wenn das Signal bei uns ankommt, ist es wahrscheinlicher, dass wir es wiederholen und dass es als Begriff geprägt wird."

Heutzutage kommt Ikonizität häufig im Marketing zum Einsatz. Marken machen sich die Wärme von "bouba" im Mund und die Unterbrechung des Lungenstroms von "kiki" zunutze, um Namen zu kreieren, die auf angenehme Weise mit Produkten korrespondieren.

Insgesamt beweist das Experiment jedoch eine gewisse Gemeinsamkeit der menschlichen Erfahrung.

Ćwiek plädiert übrigens dafür, dass wir unsere Fähigkeit, mit unserer Stimme zu "zeichnen", nutzen sollten, um kulturelle Grenzen zu überwinden.

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