Die Europäische Union hat über eine Lockerungen der Sanktionen gegen Syrien nach dem Sturz Assads diskutiert, ohne jedoch einen konkreten Zeitplan zu nennen.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich am Donnerstag auf die wichtigsten Grundsätze geeinigt, die sie bei der Normalisierung der Beziehungen zu Syrien nach dem Sturz der Autokratie von Bashar al-Assad befolgen wollen. Dabei betonten sie jedoch, dass "die Entscheidung über die Rebellen, die den Übergang anführen sollen, noch offen ist".
In ihren gemeinsamen Stellungnahme rufen die Staats- und Regierungschefs zu einem "inklusiven und von Syrien geführten politischen Prozess" auf. Dieser soll die territoriale Integrität und nationale Einheit des Landes wahren, den Schutz aller religiösen und ethnischen Minderheiten sowie die Achtung der Menschenrechte sicherstellen. Gleichzeitig soll das Wiederaufflammen von sektiererischer Gewalt, Extremismus und Terrorismus verhindert werden.
Die Staats- und Regierungschefs betonten zudem, dass jede Rückkehr der in Europa lebenden syrischen Flüchtlinge angesichts der anhaltenden Instabilität vor Ort "sicher, freiwillig und in Würde" erfolgen müsse.
"Wir haben uns auf die wichtigsten Grundsätze und Ziele unseres Ansatzes zur Reaktion auf den Sturz des Assad-Regimes geeinigt", sagte António Costa, der Präsident des Europäischen Rates, am Ende eines eintägigen Gipfels in Brüssel, bei dem Syrien und die Ukraine im Mittelpunkt standen.
"Zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt können die Menschen in Syrien auf eine bessere Zukunft hoffen", erklärte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, neben Costa.
"Europa ist daran interessiert, dass die Menschen in Syrien wieder Hoffnung schöpfen können, und Europa hat dabei eine Rolle zu spielen", fügte sie hinzu. Sie verwies auf die Rolle der EU als größter Geber für Syrien, die seit 2011 mehr als 33 Milliarden Euro mobilisiert hat und dadurch beim Übergangsprozess großen Einfluss ausüben kann.
Brüssel beobachtet besonders aufmerksam die Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die die überraschende Offensive zum Sturz Assads angeführt hat und derzeit die provisorische Regierung mit einem geschäftsführenden Premierminister leitet. HTS hat versprochen, Syrien von einer staatlich kontrollierten Wirtschaft zu einer freien Marktwirtschaft zu führen, alle Rebellenkräfte aufzulösen und eine integrative Gesellschaft zu fördern.
"Syrien muss geeint bleiben", sagte HTS-Führer Ahmed al-Scharaa, früher bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Jolani. "Es muss einen Gesellschaftsvertrag zwischen dem Staat und allen religiösen Gruppen geben, um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten."
Die HTS wird jedoch weiterhin von den Vereinten Nationen und allen EU-Ländern als terroristische Organisation eingestuft, da sie früher Verbindungen zu Al-Qaida hatte. Der Gruppe werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, darunter angebliche Hinrichtungen wegen Blasphemie und Ehebruch, die im Rahmen einer strikten und teils extremen Auslegung des islamischen Rechts durchgeführt wurden.
Dieser Hintergrund hat Zweifel an ihrer Fähigkeit geweckt, in der Post-Assad-Ära Pluralismus zu gewährleisten. Syrien ist ein äußerst vielfältiges Land, in dem sunnitische Muslime, die über 70 % der Bevölkerung ausmachen, neben schiitischen Muslimen, Alawiten, Christen und ethnischen Minderheiten wie Drusen, Irakern, Armeniern, Assyrern, Kurden und Palästinensern leben.
"Wir alle wissen, dass die Entscheidung noch nicht gefallen ist. Es ist zu früh, um zu sagen, ob die neue Führung ihre Versprechen halten kann", warnte von der Leyen.
Die EU hat Anfang dieser Woche einen hochrangigen Diplomaten entsandt, um direkten Kontakt mit der HTS aufzunehmen – ein erster Schritt zur Normalisierung der Beziehungen. Während einer Reise in die Türkei zeigte von der Leyen die Bereitschaft, die strikten Sanktionen gegen das Assad-Regime möglicherweise zu lockern.
Die Kommissionspräsidentin versprach zudem, die humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit zu verstärken, um Syrien beim Wiederaufbau nach dem verheerenden Bürgerkrieg zu unterstützen, der die Grundversorgung und die zivile Infrastruktur schwer beschädigt hat.
"Diese Bemühungen müssen von der neuen Führung in Damaskus mit konkreten Taten begleitet werden. Deshalb haben wir uns für ein schrittweises Vorgehen entschieden", erklärte sie.
Die am Donnerstag verabschiedeten Schlussfolgerungen spiegeln diese abwartende Haltung klar wider: Trotz der enthaltenen Grundsätze gibt es keinen konkreten Zeitplan für die Aufhebung der Sanktionen oder die Neubewertung der Einstufung von HTS als terroristische Organisation – zwei zentrale Forderungen von al-Scharaa.