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Faktencheck: Kann Al-Assad für seine Verbrechen vor Gericht gebracht werden?

Der syrische Präsident Baschar al-Assad im Jahr 2021
Der syrische Präsident Baschar al-Assad im Jahr 2021 Copyright  Hassan Ammar/Copyright 2021 The AP. All rights reserved
Copyright Hassan Ammar/Copyright 2021 The AP. All rights reserved
Von Mared Gwyn Jones & Heilika Leinus (Übersetzung)
Zuerst veröffentlicht am
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Baschar al-Assad und die Funktionäre seines Regimes haben grausame Verbrechen begangen. Die neue syrische Regierung hat versprochen, sie dafür vor Gericht zu bringen. Wie realistisch ist das tatsächlich?

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In Syrien hat sich der Jubel über den Sturz Baschar al-Assads mit einem Gefühl des Entsetzens vermischt. Denn inzwischen sind grausame Beweise für die Gräueltaten aufgetaucht, die sein Regime begangen hat. 

Unter anderem sind Massengräber und berüchtigte Gefängnisse aufgedeckt worden. Diese waren ein zentraler Bestandteil des brutalen Assad-Regimes und tragen Spuren des von ihm verursachten Leidens. 

In der vergangenen Woche sind Bilder veröffentlicht worden, die zeigen, wie ehemalige Häftlinge, ihre Angehörigen und Journalisten in den Haftanstalten Unterlagen durchforsten. Daher haben viele Regierungen und internationale Organisationen die neuen Machthaber Syriens aufgerufen, sicherzustellen, dass Beweismittel für künftige Strafverfolgungsverfahren aufbewahrt werden. 

Al-Assad und sein Vater Hafez wurden in den vergangenen 54 Jahren einer Vielzahl von Verbrechen beschuldigt, darunter Folter, Vergewaltigungen und Massenhinrichtungen. Viele Menschen sind plötzlich verschwunden, Zivilisten wurden mit chemischen Waffen angegriffen. 

Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (Syrian Network for Human Rights, SNHR) schätzt, dass nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs im Jahr 2011 mindestens 15.000 Syrer zu Tode gefoltert wurden. 

Da sich Al-Assad jedoch im russischen Exil befindet und viele seiner Gefolgsleute vermutlich im Iran sind, gibt es mehrere rechtliche und politische Hindernisse, die einer strafrechtlichen Verfolgung im Wege stehen.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) mit Sitz in Den Haag ist der am besten geeignete internationale Gerichtshof für die Verfolgung von Personen wegen derart schwerer Verbrechen. Der IStGH ist jedoch nicht für Syrien zuständig, da das Land nicht Vertragspartei des Römischen Statuts ist, auf dem der IStGH beruht. 

Der UN-Sicherheitsrat kann grundsätzlich einen Fall an den IStGH verweisen und ihm damit die Zuständigkeit übertragen. Dies würde jedoch wahrscheinlich auf ein Veto Russlands stoßen, das Al-Assad und seiner Familie Zuflucht gewährt hat. Vor zehn Jahren haben Russland und China eine solche Verweisung bereitsblockiert. 

Ein Mann hält zwei Seile, die im berüchtigten Militärgefängnis Saydnaya nördlich von Damaskus gefunden wurden, Montag, 9. Dezember 2024.
Ein Mann hält zwei Seile, die im berüchtigten Militärgefängnis Saydnaya nördlich von Damaskus gefunden wurden, Montag, 9. Dezember 2024. Hussein Malla/Copyright 2024 AP. Alle Rechte vorbehalten.

In einem Gespräch mit Euronews forderte Balkees Jarrah, stellvertretende Direktorin für internationale Justiz bei Human Rights Watch (HRW), die neuen Machthaber in Syrien auf, die Zuständigkeit des IStGH zu prüfen: "Wir glauben, dass Syriens neue Führung sofort ihr Engagement für Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht deutlich machen sollte", sagte sie. "Dazu gehört die Ratifizierung des Römischen Statuts und die rückwirkende Anerkennung der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs, damit der Staatsanwalt Verbrechen untersuchen kann, die in den vergangen Jahren begangen wurden." 

Alle Augen richten sich auf die jetzigen Machthaber Syriens

Eine realistischere Option im derzeitigen politischen Klima ist die Durchführung von Prozessen vor Strafgerichten innerhalb und außerhalb Syriens. 

Nach Ansicht vieler Experten kann man noch nicht sagen, ob die neuen Machthaber sicherstellen können, dass alle Strafverfahren in Syrien im Einklang mit internationalen Standards durchgeführt werden. "Wir wissen nicht, wie der syrische Staat künftig aussehen wird, wie die verschiedenen Institutionen arbeiten werden und wie gut sie miteinander kooperieren werden. Das ist also etwas, was wir nicht vorhersagen können", so Elisabeth Hoffberger-Pippan vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. 

"Die ideale Option ist ein Strafverfahren in Syrien selbst, das den Standards eines fairen Verfahrens entspricht, ohne dass die Todesstrafe angewendet wird”, sagte Vito Todeschini, Rechtsberater von Amnesty International, Euronews. “Und es ist notwendig, die Sicherheit von Zeugen und Opfern zu gewährleisten, damit sie aussagen können."

Die wichtigste Rebellengruppe in der neuen Regierung ist Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die vom UN-Sicherheitsrat wegen seiner früheren Verbindung zu al-Qaida als Terrororganisation eingestuft worden ist. Ihr Anführer Ahmed al-Scharaa, auch als Abu Mohammed al-Dscholani bekannt, hat versprochen, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Außerdem hat er andere Länder aufgefordert, diejenigen Vertreter des Assad-Regimes, die inzwischen aus Syrien geflüchtet sind, auszuliefern. 

Die Rebellen haben auch von einer Amnestie für alle Militärangehörigen gesprochen, die unter al-Assad zum Dienst eingezogen wurden. 

Ein maskierter Oppositionskämpfer trägt am 10. Dezember eine Fahne von Hayat Tahrir al-Scham im Hof der Umayyad-Moschee.
Ein maskierter Oppositionskämpfer trägt am 10. Dezember eine Fahne von Hayat Tahrir al-Scham im Hof der Umayyad-Moschee. Hussein Malla/Copyright 2023 AP. Alle Rechte vorbehalten.

Eine Auslieferung von Baschar al-Assad selbst an ein Gericht innerhalb oder außerhalb Syriens ist derzeit jedoch sehr unwahrscheinlich. Denn für Moskau gibt es weder ein politisches Interesse noch ein Motiv, ihn auszuliefern. Es ist auch unwahrscheinlich, dass der Iran diejenigen Regimevertreter ausliefert, die dorthin geflohen sind. 

Dennoch haben von Euronews befragte Experten die Hoffnung geäußert, dass Al-Assad und die hochrangigen Vertreter des Regimes eines Tages zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sich die geopolitischen Bedingungen ändern. 

"Wenn der plötzliche Sturz des Assad-Regimes uns etwas gezeigt hat, dann, dass sich die Dinge sehr schnell ändern können", sagte Jarrah. "Wir können nicht vorhersagen, was in der Zukunft passiert, und wir können auch nicht ausschließen, dass sich Assad eines Tages vor einem Gericht für seine Verbrechen verantworten muss."

"Wir müssen auch bedenken, wie intensiv und stark das Band zwischen Wladimir Putin und Baschar al-Assad ist", so Hoffberger-Pippan. "Ich denke, es besteht die Möglichkeit, dass Russland in Zukunft nicht mehr so sehr an Al-Assad interessiert ist, weil sich das geopolitische Umfeld in einer Weise verändert, die es für Russland weniger wichtig macht, ihn zu schützen. 

Aufruf zur internationalen Zusammenarbeit und Beweissicherung

Die universelle Gerichtsbarkeit ermöglicht es auch nicht-syrischen Gerichten, Syrer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter anzuklagen. 

Strafverfahren gegen Regimevertreter wurden bereits vor österreichischen, französischen, deutschen, norwegischen, schwedischen und US-amerikanischen Gerichten eingeleitet, von denen viele bereits erfolgreich Anklage erhoben haben. 

Der erste internationale Prozess über Folter in Syrien wurde 2020 vor dem Oberlandesgericht Koblenz in Deutschland verhandelt. Angeklagt waren zwei ehemalige hochrangige Beamte des Assad-Regimes, von denen einer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. 

Im November 2023 erließ ein französisches Gericht internationale Haftbefehle gegen Baschar al-Assad, seinen Bruder und zwei Beamte wegen eines Angriffs auf Zivilisten mit chemischen Waffen im Jahr 2013.

Nach Ansicht des in Berlin ansässigen Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) ist die universelle Gerichtsbarkeit vielversprechend, sollte aber eine "Ausweichoption" sein, wenn Prozesse innerhalb Syriens scheitern. 

Der Vorstoß in Richtung Gerechtigkeit sollte "von Syrern ausgehen", heißt es. 

Eine Frau schaut sich eine Namensliste in einer Unterlage durch, das auf dem Boden des berüchtigten Militärgefängnisses Saydnaya nördlich von Damaskus, Syrien, gefunden wurde.
Eine Frau schaut sich eine Namensliste in einer Unterlage durch, das auf dem Boden des berüchtigten Militärgefängnisses Saydnaya nördlich von Damaskus, Syrien, gefunden wurde. Hussein Malla/Copyright 2024 AP. Alle Rechte vorbehalten.

Für jeden Prozess sind gut erhaltene Beweise von entscheidender Bedeutung. Während der jahrzehntelangen Herrschaft des Regimes wurden die Verbrechen von internationalen Organisationen und der syrischen Zivilgesellschaft mit Hilfe von Whistleblowern dokumentiert.  

Die sogenannten „Caesar“-Fotos, die von einem syrischen Militärpolizisten aufgenommen wurden, der vor einem Jahrzehnt übergelaufen ist, sind vielleicht der bekannteste Beweis für Folter, der zu Strafverfahren vor europäischen Gerichten geführt hat. 

Der Internationale, unparteiische und unabhängige Mechanismus der Vereinten Nationen (IIIM) hat den Auftrag, Beweise zu sammeln, zu sichern und zu analysieren, die in Strafverfahren verwendet werden können, und unterstützt die syrische Zivilgesellschaft bei Gerichtsverfahren.  

Der leitende Ermittler des IIIM, Robert Petit, hat beschrieben, dass in den Zentren des Regimes während der Offensive der Rebellen "Papiere auf dem Boden verstreut waren, Menschen mit Computern abgehauen sind und Festplatten verbrannt und zerschlagen wurden". 

"Diejenigen, die die Kontrolle über diese Gefängnisse haben, müssen das Material in diesen Einrichtungen sichern, damit die Wahrheit gesagt werden kann und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden", erklärte Jarrah. 

Euronews fragte bei den Vereinten Nationen an, ob ihre Ermittler von der syrischen Führung bereits die Erlaubnis erhalten haben, sich vor Ort zu bewegen, erhielt jedoch noch keine Antwort. 

Nach Ansicht des EGMR besteht auch die reale Gefahr, dass Beweise beschlagnahmt werden, "um sie als politisches oder kommerzielles Kapital zu nutzen", oder dass sie von Geheimdienstagenten aus Ländern kompromittiert werden, "die an der Vernichtung von Beweisen und Archiven interessiert sind". 

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