Drohnen gegen Drohnen, glasfaserbasierte Kriegsführung und ein KI-gesteuertes Schlachtfeld - die digitale Kriegsstrategie der Ukraine entwickelt sich schnell weiter. Minister Fedorow sprach mit Euronews darüber, wie Technologie den Kampf der Ukraine gegen Russland prägt.
Innovation und Anpassungsfähigkeit sind für die Ukraine von entscheidender Bedeutung. Seit Russlands groß angelegter Invasion vor über drei Jahren liefern sich beide Seiten ein ständiges Katz-und-Maus-Spiel mit der sich rasch weiterentwickelnden Drohnentechnologie.
Nach Angaben des ukrainischen Ministers für digitale Transformation, Mychajlo Fedorow, werden etwa 95 Prozent der von den ukrainischen Streitkräften eingesetzten Drohnen im Inland hergestellt. Einige Schlüsselkomponenten kommen jedoch nach wie vor aus China, Europa oder den USA.
"Obwohl wir im letzten Jahr und zu Beginn dieses Jahres beachtliche Ergebnisse erzielt haben, sind wir uns bewusst, dass wir noch neue technologische Stufen erreichen müssen", sagt Fedorov, der auch stellvertretender Ministerpräsident des Landes ist, gegenüber Euronews.
Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj werden etwa 30 Prozent des Bedarfs der Armee im Inland produziert - eine Zahl, die er als "nicht genug, aber immer noch bedeutend" bezeichnete.
Und obwohl Drohnen in der modernen Kriegsführung eine entscheidende Rolle spielen, betont Fedorow, dass traditionelle Waffensysteme wie Patriot-Luftabwehrsysteme "das Rückgrat des Schutzes der ukrainischen Städte und der Zivilbevölkerung" bleiben.
Diese Waffen werden jedoch überwiegend von den westlichen Partnern der Ukraine geliefert, wie zum Beispiel den USA, die ihre militärische Unterstützung vor einigen Wochen kurzzeitig eingestellt haben.
Mit Blick auf die Zukunft sieht Fedorow eine Zukunft, in der die Kriegsführung von der Technologie bestimmt wird, "wo Drohnen gegen Drohnen kämpfen werden".
Die europäischen Verbündeten der Ukraine teilen diese Ansicht und erwägen, sich auf die technologische Kriegsführung einzustellen, indem sie im Rahmen ihrer erhöhten Verteidigungsausgaben in relativ kostengünstige Drohnen investieren.
Vision: Enge Kooperation zwischen ukrainischen und europäischen Streitkräften
Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel), sagte im ZDF, die Ostflanke der NATO könne "nicht nur mit Panzern, sondern auch mit einem Wald von Drohnen verteidigt werden", und wies darauf hin, dass kostengünstige Drohnen das Potenzial hätten, millionenschwere Panzer zu zerstören.
Diese Entwicklung erfordert eine engere Zusammenarbeit, und Fjodorow fügte hinzu, dass er sich eine "sehr enge Zusammenarbeit" zwischen der ukrainischen und den europäischen Armeen vorstellt.
"Wir haben gemeinsam mit unseren europäischen Partnern sowohl in der Ukraine als auch in Europa mehrere Projekte auf den Weg gebracht, die im Einklang mit der neuen Strategie, dem EU-White Paper zur Verteidigung und den Aufrüstungsbemühungen sowie der Weiterentwicklung der Militär- und Verteidigungstechnologie zur Stärkung des Verteidigungspotenzials der EU stehen", erklärte Fedorow.
"Natürlich prüfen wir vielfältige Möglichkeiten, unsere Erfahrungen aus einer so langen Frontlinie, die einzigartig ist, zu teilen."
Der Wettlauf um technologische Überlegenheit
Die Front erstreckt sich über rund 2.100 Kilometer und wird in an vielen Punkten von Drohnen beider Seiten überwacht. Da es sich um elektronische Geräte handelt, werden Drohnen häufig gestört, wodurch das Signal zwischen ihnen und ihren Betreibern unterbrochen wird.
Seit kurzem setzt Russland Glasfaserdrohnen ein. Diese Drohnen fliegen im Tiefflug und können - je nach den Fähigkeiten des Bedieners - in Gräben, Fahrzeuge oder Unterstände eindringen. Die Ukraine hat schnell reagiert und setzt nun auch Glasfaserdrohnen ein.
"Wir haben mehr als zehn Unternehmen, die Glasfaserdrohnen herstellen", erklärt Fedorow und fügt hinzu, dass er zwar keine genauen Zahlen nennen kann, aber er bestätigt, dass bereits Tausende produziert wurden.
"Ich glaube, dass diese Kategorie von Glasfaserdrohnen mindestens bis zum Ende dieses Jahres eine entscheidende Rolle auf dem Schlachtfeld spielen wird. Deshalb bieten wir alle notwendigen Anreize, um ihre Produktion zu steigern."
Eine Drohne ist jedoch ohne einen qualifizierten Bediener fast nutzlos. Seit einem Jahr verzeichnet die Ukraine einen erheblichen Rückgang der freiwilligen Rekrutierung von Soldaten. Als Reaktion darauf hat Selenskyj das Wehrpflichtalter von 27 auf 25 Jahre gesenkt und Männer verpflichtet, ihre militärischen Registrierungsdaten in einem Online-Tool namens Reserve+ zu aktualisieren.
Fedorows Ministerium für digitale Transformation hat eine weitere App namens Diia beigesteuert, die Rekrutierung speziell für Drohneneinheiten bietet. "Unsere App ermöglicht es den Rekruten, einen Vertrag mit einem Minimum an Bürokratie zu unterzeichnen", fügt er hinzu.
Viele Ukrainer, die sich nicht angemeldet haben, vertrauen nicht darauf, dass sie in eine bestimmte Einheit rekrutiert werden, da "es von der Laune der Person abhängt, die deine Daten bearbeitet", so ein Ukrainer gegenüber Euronews. Andere, zum Teil aus Drohneneinheiten, wurden - oft ohne den Soldaten eine andere Wahl zu lassen - zu Infanterieeinheiten versetzt.
Dieser Mangel an Vertrauen ist auch Fedorow nicht entgangen, der diese Fälle bestätigt: "Vor etwa sechs Monaten gab es einige öffentlichkeitswirksame Fälle, in denen solche Situationen auftraten." Fedorow unterstreicht, dass jeder, der jetzt einen Vertrag für eine bestimmte militärische Spezialität unterschreibt, auch in dieser Rolle eingesetzt werden wird.
"Es gibt keine Angst mehr, versetzt zu werden. Vor allem Drohnenoperateure haben sich als eine der effektivsten Einsatzkräfte erwiesen. Die Einheiten, die Drohnen einsetzen, sind gut organisiert und modern strukturiert. Es besteht keine Sorge mehr, dass sie für andere Aufgaben eingesetzt werden", erklärt er.
Digitale Infrastruktur unter Druck
Die Ukraine ist in hohem Maße auf das Internet angewiesen, sei es für den Einsatz von Drohnen zur Verteidigung gegen russische Angriffe oder für zivile Zwecke. Zum Schutz der digitalen Infrastruktur wurde ein "einzigartiges Schutzsystem" aufgebaut, erklärte Fedorow.
"Wir speichern keine persönlichen Daten. Stattdessen sammeln wir Informationen aus dezentralen Registern, die von verschiedenen Ministerien und Behörden verwaltet werden.
"Wir sind befugt, auf diese Register zuzugreifen und führen laufend Bug-Bounty-Programme durch - ähnlich denen der NASA und von Tesla -, bei denen ethische Hacker für das Aufspüren von Schwachstellen bezahlt werden", führt er fort.
Eine sichere und zuverlässige Internetverbindung ist von entscheidender Bedeutung. Diese Verbindung - insbesondere für das Militär - war jedoch Gerüchten ausgesetzt, wonach Elon Musk den Starlink-Dienst seines Unternehmens abschalten könnte, der seit Februar 2022 große Teile des ukrainischen Militärs unterstützt.
Fedorov merkt jedoch an, dass es neben diesen Gerüchten auch Erklärungen aus den USA gibt, in denen bekräftigt wird, dass Starlink nicht als Druckmittel gegen die Ukraine eingesetzt werde. "Starlink wird auch von vielen zivilen Organisationen genutzt, darunter die Energieinfrastruktur, das Gesundheitswesen und die Kommunikation."
Unabhängig davon betont der Minister für digitale Transformation, dass ein paralleles, proprietäres System aufgebaut wurde, um sicherzustellen, dass militärische Drohnen mit dem Internet verbunden bleiben. "Diese alternative Infrastruktur wird es der Ukraine ermöglichen, in jeder Situation einsatzfähig und widerstandsfähig zu bleiben", so Fedorov abschließend.