US-Präsident Donald Trump hat wiederholt damit gedroht, im Rahmen seiner "America First"-Politik die US-Streitkräfte aus Europa abzuziehen. Das hätte enorme strategische Konsequenzen und würde wahrscheinlich auf erheblichen innenpolitischen Widerstand stoßen.
Die Geschichte mag sich wiederholen, doch nicht immer mit denselben Folgen.
Als der damalige US-Verteidigungsminister Leon Panetta im Jahr 2012 ankündigte, zwei Kampfbrigaden – rund 8.000 Soldaten – aus Europa abzuziehen, um die Militärausgaben zu senken, nahmen die westeuropäischen Regierungen dies lediglich achselzuckend hin.
Als US-Präsident Donald Trump in diesem Jahr über einen Rückzug der US-Streitkräfte aus Europa nachdachte, ging dagegen ein kaum verhohlener Schock durch die europäischen Regierungssitze.
Der Unterschied: Panetta erklärte damals, die Sicherheitsverpflichtungen der USA gegenüber Europa und der NATO seien "unerschütterlich".
Trump hingegen hat damit gedroht, NATO-Mitglieder, die zu wenig für ihre Verteidigung ausgeben, nicht länger zu schützen.
Und sein eigener Vizepräsident sowie Verteidigungsminister äußerten sich Anfang des Jahres in einem mittlerweile berühmt gewordenen Gruppenchat abfällig über die europäischen Verbündeten. Laut dem Magazin "The Atlantic" sprach Verteidigungsminister Pete Hegseth dabei sogar von seiner "Abscheu gegenüber der europäischen Freizügigkeit".
Doch am Vorabend des NATO-Gipfels, der in dieser Woche in Den Haag stattfindet, ist ein vollständiger Rückzug des US-Militärs aus Europa etwas leiser geworden.
Dennoch befürchten europäische Diplomaten, dass Trump direkt im Anschluss an das Treffen eine entsprechende Ankündigung machen könnte. Das Pentagon reagierte auf eine Anfrage von Euronews zunächst nicht.
Grund genug, hochrangige US-Militärexperten zu fragen, für wie wahrscheinlich sie einen umfassenden Truppenabzug halten – und welche Konsequenzen ein solcher Schritt für die Vereinigten Staaten hätte: logistisch, finanziell und politisch.
Der erste in dieser Reihe ist Matthew Whitaker, US-Botschafter bei der NATO. Der studierte Jurist hat derzeit vor allem eine Aufgabe: die nervösen europäischen Partner zu beruhigen.
"Hören Sie, die Sicherheit Europas hat für mich oberste Priorität", sagte er kürzlich bei einer öffentlichen Veranstaltung in Brüssel. "Amerika braucht Verbündete. Wir können das nicht allein stemmen. Die Berichte über einen Rückbau der US-Truppenpräsenz sind schlicht falsch. Alles Weitere werden wir im Kreis unserer Verbündeten besprechen."
Laut dem US European Command (EUCOM) mit Sitz in Stuttgart sind derzeit fast 84.000 aktive US-Soldaten in Europa stationiert. Die genaue Zahl schwankt je nach geplanten Übungen und der regelmäßigen Rotation von Truppen auf den Kontinent und zurück.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Jahr 2022 wurden beispielsweise rund 20.000 zusätzliche Soldaten in angrenzende Staaten wie Polen, Rumänien oder das Baltikum verlegt – mit dem Ziel, die Ukraine zu unterstützen und den Krieg räumlich einzugrenzen.
Im Verlauf des Krieges bewegte sich die Zahl der US-Truppen in Europa zwischen rund 75.000 und 105.000 – vor allem Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe, des Heeres und der Marine.
Der Großteil dieser Truppen ist in Deutschland (40.000), Polen (14.000), Italien (13.000) und dem Vereinigten Königreich (10.000) stationiert. Der Rest verteilt sich auf zahlreiche Standorte quer über den Kontinent: von Norwegen bis zur Türkei.
Ein Abzug dieser Truppen – sei es zurück in die USA oder an andere Orte – wäre logistisch enorm aufwendig und würde viel Zeit in Anspruch nehmen.
"Würde das planmäßig durchgeführt, bräuchte es viele Monate, wahrscheinlich mindestens ein Jahr", so Mark Cancian, pensionierter Oberst und leitender Berater am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington, im Gespräch mit Euronews.
"Jedes einzelne Ausrüstungsstück, jeder Panzer müsste vorbereitet und verschifft werden. Danach müssten die Familien der Soldaten umziehen – und schließlich die Soldaten selbst", erklärt Cancian. "Insgesamt wären wohl eine Viertelmillion Menschen betroffen, vielleicht sogar mehr."
Die größte Frage sei jedoch, wohin diese Menschen überhaupt gehen könnten. "Die bestehenden US-Stützpunkte könnten vielleicht 5.000, höchstens 10.000 Menschen aufnehmen", so Cancian. "Für den Rest müsste man neue Einrichtungen bauen. Das würde Jahre dauern."
Ob Donald Trump tatsächlich einen strategisch derart weitreichenden Schritt beschließen würde, dessen Auswirkungen mit großer Wahrscheinlichkeit erst nach dem Ende seiner Amtszeit spürbar wären, bezweifelt Ian Lesser, leitender politischer Analyst beim transatlantischen Thinktank German Marshall Fund (GMF).
"Schon während Trumps erster Amtszeit gab es den Versuch, einen größeren Truppenabzug aus Europa umzusetzen. Dieser scheiterte jedoch am erheblichen Widerstand innerhalb der US-Sicherheitskreise und wurde von Präsident Biden schließlich gestoppt", sagt Lesser gegenüber Euronews.
Auch der US-Kongress müsste einem Truppenabzug zustimmen. Das ist angesichts der zahlreichen Verteidigungsbefürworter, vor allem im Senat, keineswegs sicher.
Ein jüngst eingebrachter Gesetzentwurf für verschärfte Sanktionen gegen Russland, unterstützt vom Republikaner Lindsey Graham und dem Demokraten Richard Blumenthal, findet Berichten zufolge die Zustimmung von bis zu 90 der 100 Senatoren.
"Trump möchte nicht schwach wirken. Aber ein drastischer Rückzug der US-Streitkräfte aus Europa würde ihn genau so erscheinen lassen", meint Lesser.
Zudem besteht ein Großteil der US-Truppen in Europa nicht aus Kampfbrigaden – die in der Regel etwa 5.000 Soldaten umfassen –, sondern aus Unterstützungseinheiten, die eine umfassende militärische Infrastruktur betreiben, insbesondere in Deutschland.
Der Luftwaffenstützpunkt Ramstein und das benachbarte Landstuhl Regional Medical Center – das größte amerikanische Militärkrankenhaus außerhalb der USA – spielten in der Vergangenheit eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung militärischer Einsätze, vor allem im Nahen Osten.
"Es ergäbe wenig Sinn, mitten in einem sich zuspitzenden Konflikt zwischen Israel und dem Iran einen Truppenabzug aus Europa zu verkünden", sagte der frühere US-Botschafter William Courtney gegenüber Euronews. "Ein solcher Schritt würde mit großer Wahrscheinlichkeit massive Kritik hervorrufen." Courtney ist heute Senior Fellow bei der globalen Denkfabrik RAND Corporation.
Hinzu kommen Trumps Ambitionen, im Ukrainekrieg zu vermitteln. "Trump verband den Gedanken eines US-Truppenabzugs mit der Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende und bessere Beziehungen zu Moskau", so Courtney. "Inzwischen zeigt sich jedoch, dass dafür jede Grundlage fehlt – die Verhandlungspositionen von Russland und der Ukraine liegen zu weit auseinander."
Laut einer Analyse des Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) müsste Europa im Falle eines US-Abzugs sämtliche militärische Infrastruktur ersetzen, die derzeit von den USA bereitgestellt wird. Das betrifft nicht nur Stützpunkte, Übungsplätze, Waffen und Munition, sondern auch Führungs- und Verwaltungsstrukturen, Nachrichtendienste und logistische Systeme.
Der Preis dafür wäre enorm: Die neun Autorinnen und Autoren der Studie schätzen, dass Europa für die Kompensation des US-Beitrags zur NATO rund eine Billion Dollar – etwa 870 Milliarden Euro – aufbringen müsste.
Welche Kosten ein Truppenabzug für den amerikanischen Steuerzahler verursachen würde, ist unklar.
Keiner der in diesem Artikel zitierten Experten wollte eine konkrete Zahl nennen.
Ein Grund mehr, warum kaum jemand eine solche Entscheidung für wahrscheinlich hält.
"Auf keinen Fall", sagt auch Daniel Runde gegenüber Euronews. Er ist leitender Berater der in Washington ansässigen Beratungsfirma BGR Group und Autor des Buches "The American Imperative: Reclaiming Global Leadership through Soft Power".
"Trump wird das nicht machen. Sein Ziel ist, dass die Europäer fünf Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben. Dann zieht er weiter."