Hightech war gestern: Das ukrainische Unternehmen Sine.Engineering setzt auf robuste, günstige Drohnentechnologie und zeigt, wie moderne Kriegsführung funktioniert. Lernt die Bundeswehr daraus?
Vergangenes Wochenende hat der ukrainische Inlandsgeheimdienst (SBU) einen Drohnenangriff gegen die russische Luftwaffe durchgeführt und einen großen Anteil russischer Kampfflugzeuge zerstört.
Laut dem ukrainischen Technologieunternehmen Sine.Engineering verdeutlichen Operationen dieser Art, "dass kleine FPV-Drohnen die moderne Kriegsführung neu definiert haben und asymmetrische Ergebnisse auf dem Schlachtfeld liefern".
Sine.Engineering ist ein ukrainisches Technologieunternehmen, das sich auf fortschrittliche Kommunikations- und Navigationssysteme für unbemannte Luftfahrzeuge (UAVs) spezialisiert hat.
Ihre Technik ermöglicht es Drohnen, auch ohne GPS und unter starker Störsignalbelastung zu operieren – durch robuste Datenverbindungen und alternative Ortungsverfahren.
Schnelle Handlungsfähigkeit, Flexibilität und Innovation sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen Kriegsführung, an den sich auch europäische Streitkräfte, darunter die Bundeswehr, anpassen müssen.
Vor wenigen Wochen hat der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, "Tempo" bei der Beschaffung von Kamikaze-Drohnen gefordert. Loitering Munition, auch als "Kamikaze"-Drohnen bekannt, sind unbemannte Flugkörper mit Sprengladung, die nach dem Aufspüren eines Ziels gezielt darauf stürzen und explodieren.
In einem schriftlichen Interview gegenüber Euronews erklärte der Sprecher des Amts für Heeresentwicklung der Bundeswehr, dass derzeit unbemannte Systeme (UxS) im Heer in der Domäne Aufklärung eingesetzt werden. "Es geht nun darum, das Portfolio an Aufklärungs-UxS weiter zu diversifizieren und die Quantitäten aus- und aufzubauen sowie in die Domäne Unterstützung einzusteigen." Darüber hinaus sollte besonders auf die Wirksamkeit moderner Waffen geachtet werden, vor allem auf sogenannte Loitering Munitionssysteme (LMS).
"Auslöser war dabei der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung, der ausdrücklich die Bewaffnung von Unmanned Aerial Systems (UAS), also fliegenden Drohnen, erlaubt. Daher müssen UxS und LMS Teil eines leistungsfähigen, hochmodernen und fortschrittlichen Heeres sein.
Diese Systeme eröffnen dem Heer Einsatz-, Effektivitäts- sowie Effizienzvorteile und ermöglichen der Truppe neuartige Optionen auf dem Gefechtsfeld", so der Sprecher.
"Masse ist auch eine Qualität"
Verglichen zu teurem Gerät sind Drohnen in der Produktion einfacher zu beschaffen. Gegenüber Euronews erklären Andriy Chulyk, Mitgründer und Geschäftsführer von Sine.Engineering, sowie der Strategiechef des Unternehmens, Andriy Zvirko, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen teurer Hochtechnologie und kleinen, günstigen – und leicht verfügbaren – Systemen wie FPV-Drohnen oder Loitering Munition eine sinnvolle Anpassung an die moderne Kriegsführung sei.
Im Heer bei der Bundeswehr steht jedoch die Abstandsfähigkeit und die erweiterte Panzerabwehrfähigkeit im Vordergrund.
"Daher liegt der Fokus zunächst auf der Beschaffung von LMS, welche einen hohen Automatisierungsgrad aufweisen", so der Sprecher des Amtes für Heeresentwicklung. Dennoch verliere das Heer den Ansatz der FPV-Systeme nicht aus den Augen: "So gibt es denkbare Einsatzszenarium, in denen durch diese Art der UAS ein Mehrwert für das Heer generiert werden kann. Masse ist auch eine Qualität."
Augen und Ohren auf dem Schlachtfeld
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde schon häufiger ein Drohnenkrieg genannt, weil Russland und die Ukraine bei den Tech-Innovationen Katz und Maus spielen. Sobald eine Seite eine neue Funktion erfunden hat, hinkt die andere Seite hinterher und versucht aufzuholen.
Das heißt, Produzenten und Firmen, die mit Drohnen arbeiten, so wie Sine.Engineering, müssen ihre Augen und Ohren auf dem Schlachtfeld haben, um ihre Systeme und Drohnen konstant auf dem neusten Stand zu halten.
Dafür haben sie zwar keinen direkten Kontakt mit der ukrainischen Regierung, doch arbeitet Sine.Engineering mit vielen privaten Unternehmen zusammen. "Wir verwenden verschiedene Ansätze und haben verschiedene Quellen. Wir haben eine Menge militärischer Führungskräfte, die uns Feedback geben, was passiert – was funktioniert, welche Lösungen verwendet werden", so Chulyk.
"Sie versuchen auch, uns mit anderen Modellen oder Methoden zu überraschen. Wir verfügen also auch über ein tiefes Verständnis des Kommunikationsbereichs außerhalb des Labors, um genau zu wissen, was wir morgen oder übermorgen tun müssen, um auf dem neuesten Stand der Dinge zu bleiben."
Auch im Heer wird auf technologische Innovation gesetzt. "Software Defined Defence (SDD) in Kombination mit Modularität wird im Heer als ein Schlüsselfaktor gesehen, mit dem den kurzen Innovationszyklen in der Drohnenkriegsführung begegnet werden soll", so der Sprecher des Amtes für Heeresentwicklung gegenüber Euronews.
Außerdem wird die Hardware von unbemannten Systemen (UxS) schlussendlich als Massenverbrauchsgut gesehen werden müssen – sie bringt dann nur den Sensor oder die Waffe an den Einsatzort. Deshalb muss sie billig, schnell herstellbar und in großer Menge verfügbar sein. Viel wichtiger ist jedoch die Software: Sie kann ständig verbessert werden und macht die Hardware dadurch leistungsfähiger oder verleiht ihr neue Fähigkeiten.
Unterschiedliche Bedürfnisse, Ziele und Situationen
"Es gibt unterschiedliche Bedürfnisse. Unterschiedliche Ziele. Unterschiedliche Situationen", sagt Chulyk.
"Wenn man von Friedenszeiten spricht, in denen Fähigkeiten erst aufgebaut werden, orientiert sich vieles an bisherigen Erfahrungen. In der Ukraine lag der Fokus vor dem Krieg vor allem auf großen, teuren Maschinen. Und vieles drehte sich darum, wie man mehr verkaufen kann, wie man mit Beschaffung umgeht, wie man teure Drohnen verkauft. Das war das Modell. Aber das ist nicht unbedingt langfristig oder mittelfristig die beste Lösung", erklärt er und ergänzt: "Die Zukunft liegt in der Massenproduktion und in der Kommunikation."
Auch der Sprecher des Amts für Heeresentwicklung erklärt, dass nicht alles, was sich heute in der Ukraine bewährt, auch dazu geeignet ist, einen Beitrag für einen Bundeswehreinsatz im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung zu leisten.
Dafür würde sich das aktuelle Kriegsbild in der Ukraine zu sehr von der Art und Weise unterscheiden, wie die NATO die Bündnisverteidigung erfolgreich meistern will. "Zudem sorgen die schnellen Technologieentwicklungszyklen dafür, dass ein großer Teil der heutigen Technik in wenigen Monaten oder Jahren bereits überholt und damit kaum noch zielgerichtet einsetzbar wäre", meint der Sprecher gegenüber Euronews.
Chulyk stellt sich demnach oft die Frage: "Was tun Sie, wenn Sie eine sehr teure Drohne mit künstlicher Intelligenz, vielen Sensoren und großartigen Fähigkeiten haben, Ihr Gegner aber 1.000 kleine Drohnen besitzt?"
Die teure Drohne sei zwar immer noch nützlich, doch sie kann in dieser Größenordnung nicht mithalten. Die kleineren Drohnen hingegen sind immer noch effektiv und können Daten übermitteln.
Der Knackpunkt sind auch hier die Kosten. Denn ein High-End-System kann bis zu 100.000 € kosten. Für das Geld kann man auch hunderte kleine Drohnen kaufen, meint Chulyk.
"Einige Länder haben das erkannt und versuchen, sich anzupassen und die gleichen Technologien zu übernehmen. Ich glaube, die EU und die NATO sind bereits aufmerksam geworden und kaufen einige dieser Systeme."
Können Drohnen Soldaten ersetzen?
Chulyk und Zvirko sehen Anzeichen für Veränderungen und nennen die Munitionsproduktion als Beispiel. Zwar habe der Neustart der Produktion etwas Zeit gebraucht, doch inzwischen laufe sie auf Hochtouren.
So sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger dem Nachrichtensender n-tv im vergangenen Jahr, die Produktion von Artilleriemunition solle bis 2026 verzwanzigfacht werden.
Trotzdem gebe es noch Probleme, so Chulyk. "Es mangelt an Ausbildung, Munition und Drohnen. Das war eine schlechte Ausgangssituation."
Er nennt zudem die Diskrepanz bei den Ressourcen, wenn es um den Westen und Russland geht.
"Die Menschen in reichen Ländern wollen oft nicht selbst kämpfen. Also muss etwas oder jemand diese Lücke füllen. Drohnen sind eine der möglichen Antworten", erklärt der CEO von Sine.Engineering gegenüber Euronews.
Doch auch wenn Drohnen auch in den Streitkräften Europas eine größere Rolle spielen werden, vollkommen ersetzen werden sie Soldaten nicht können.