Mina wurde online systematisch verfolgt: Anonyme Nutzer sammelten ihre Posts auf einer Secondhand-Verkaufsplattform, legten falsche Profile an und tauschten sich in Foren über sie aus. Ihr Fall zeigt, wie leicht private Bilder zweckentfremdet werden können - über Jahre hinweg.
Die 22-jährige Kölnerin Mina "Camira" (eigenes Pseudonym) erfuhr über einen Freund, dass ihre Vinted-Verkaufsbilder massenweise auf Pornoseiten verbreitet wurden. Im Gespräch mit Euronews erklärt sie, dass es sich ursprünglich um Fotos von Kleidung, die sie auf der Secondhand-Plattform Vinted zum Verkauf eingestellt hatte, handelte.
Ihr Bekannter hatte ihren Instagram-Namen auf Google eingegeben - und fand neben ihrem Social Media Profil zahlreiche Treffer zu Pornoseiten. Ihrer Schätzung nach waren es rund 20 bis 30. Für sie war das ein Schock.
"Ich dachte: Warum sollte mir das passieren? Ich war zu dem Zeitpunkt eine Privatperson, ich hatte auf Instagram nicht mal 500 Follower."
Die Sucheregebnisse hatten Titel wie "nacktes, geleaktes Only-Fans-Model" - dabei habe Mina weder einen OnlyFans-Account noch gebe es Nacktfotos oder geleakte Inhalte von ihr. Die Bilder, die auf den Seiten auftauchten, seien ausschließlich jene, die sie selbst auf Instagram oder der Second-Hand-Plattform Vinted veröffentlicht habe.
Mina erzählt: "Die Fotos wurden missbraucht und in einem anderen Kontext dargestellt. Ich habe mich natürlich auch voll ekelhaft gefühlt" - und das, obwohl sie in diesem Fall eigentlich das Opfer ist, nicht der Täter.
Übergriff mit System
Wie weitreichend der Fall der 22-jährigen Mina tatsächlich war, habe sie selbst erst nach einiger Zeit verstanden. Zunächst habe sie die Dimension unterschätzt: "Ich dachte, okay, da sind da halt ein paar Fotos auf irgendwelchen komischen Seiten. Ich bin ja Gen Z, ich weiß, wenn ich etwas im Internet öffentlich poste, dass es überall landen kann," so Camira.
Doch der Missbrauch ihrer Bilder hatte System: Nach ihren Angaben existierten auf den Plattformen komplette Profile, die mit ihren Fotos angelegt wurden - und das teilweise über Jahre. Sie habe das Gefühl gehabt, dass sie systematisch beobachtet wurde: "Die haben mich wirklich gestalkt. Jedes Mal, wenn ich irgendwo was Neues gepostet habe, haben die einen Screenshot davon gepostet."
Zudem hätten einige dieser Accounts auf den einschlägigen Seiten besondere Statusstufen erreicht, was nahe legt, dass die Täter mit den geklauten Bildern Geld verdienten.
Die Suche nach einer Anlaufstelle
Mina wollte sofort handeln, wusste aber nicht, wie. Zunächst hatte sie über ein Google-Formular versucht, die betroffenen Links zu melden. "Da bekam ich eine KI-Nachricht als Antwort: nichts verstößt gegen die Richtlinien", erzählt sie Euronews.
Auch der direkte Kontakt zu einzelnen Pornoseiten sei gescheitert: Viele davon führen kein Impressum, es gibt also keinerlei Möglichkeit, sich an die Betreiber zu wenden.
Überfordert hat sie schließlich das Hilfetelefon von "Gewalt gegen Frauen" angerufen. Dort sei ihr geraten worden, zur Polizei zu gehen und den Fall aufnehmen zu lassen.
Mina erstattete daraufhin Anzeige gegen Unbekannt. Der erste Kontakt sei jedoch frustrierend gewesen, sagt sie: "Der Polizist hat mich nicht so wirklich ernst genommen. Der hat einfach nur am Anfang direkt gesagt: was du ins Internet stellst, das bleibt halt im Internet."
Der Beamte habe ihr geraten, ihren Namen zu ändern, ihr Profil auf privat zu stellen, alles zu löschen. Für die Kölnerin war das jedoch keine Option: "Ich verstehe nicht, warum ich jetzt meine Bilder löschen soll. Die werden ja weiterhin auf diesen Pornoseiten sein."
Der Fall wurde anschließend an die zuständige Cybercrime-Abteilung weitergeleitet. Die Mitarbeiterin dort habe kompetent gewirkt und sie ernst genommen, erinnert sich Mina. Daraufhin hat sie der Frau weitere Links per E-Mail geschickt.
Rund vier Wochen später kam dann der enttäuschende Bescheid: Das Verfahren wurde eingestellt, weil kein Täter ermittelt werden konnte.
Minas Verzweiflung geht viral
Noch bevor sie sich an die Justiz wandte, suchte Mina Hilfe im Netz - aus Verzweiflung und in der Hoffnung, andere frühzeitig warnen zu können. Sie hatte nicht erwartet, dass ihr Video eine derart große Reichweite erzielt. Für sie war wichtig, dass zumindest einige Menschen aus ihrem Fall lernen. Ihr TikTok-Video wurde schließlich über 4,5 Millionen Mal aufgerufen.
Mit der großen Reichweite kamen zahlreiche Rückmeldungen. Viele Betroffene hätten sich bei ihr gemeldet, sagt Mina. Daraufhin merkte sie, dass sie nicht alleine ist: "Als ich das Video dann gepostet habe, habe ich auch gemerkt, dass ich keine Einzelfallnummer bin, sondern dass es wirklich viele Menschen betrifft."
Sie beschreibt ein Muster dahinter: Privatpersonen würden andere Nutzerinnen systematisch beobachten, Informationen über sie sammeln und sich in entsprechenden Foren anonym darüber austauschen. Der Mechanismus sei vielen Betroffenen nicht bewusst, sagt sie.
In einschlägigen Foren lasse sich etwa ein Hashtag wie "Vinted" eingeben und sofort erschienen massenhaft geteilte Fotos. "Da steht dann zum Beispiel: 'Hier ist ein neues Vinted-Girlie. Da sieht man die Nippel. Was wissen wir über die Frau?'", erzählt Mina. Anschließend würden Nutzer Kommentare hinzufügen, Informationen zusammentragen und Details über die abgebildeten Personen sammeln.
"Und da sind so, so viele Profile angelegt. Ich kann ja gar keine Zahlen nennen. Das ist unzählbar", sagt sie.
Immer mehr Fälle digitaler Gewalt
Fälle wie die von Mina sind längst keine Randphänomene mehr.
Die gemeinnützige Organisation HateAid, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt, spricht in diesen Fällen von "bildbasierter digitaler Gewalt".
Gemeint sind alle Formen der missbräuchlichen Beschaffung, Nutzung oder Verbreitung von Bildern und Videos mithilfe digitaler Technologien.
Insgesamt hat digitale Gewalt gegen Frauen in den vergangenen Jahren eine neue Dimension erreicht. Laut dem im November 2024 veröffentlichten Lagebild "Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" des Bundesinnen- und Bundesfamilienministeriums hat sich die Zahl der weiblichen Opfer digitaler Gewalt zwischen 2018 und 2023 mehr als verdoppelt.
Petition "Unsere Vinted-Fotos sind kein Porno"
Um diesem Negativ-Trend etwas entgegenzusetzen, hat Mina eine Petition mit dem Titel "Unsere Vinted-Fotos sind kein Porno" gestartet.
Darin fordert sie unter anderem eine Screenshotsperre, wie sie etwa WhatsApp bereits nutzt. Damit können Profilbilder und andere Inhalte nicht ohne Weiteres gespeichert werden. Außerdem plädiert sie für eine Verifizierungspflicht, damit Nutzer ihre Identität bestätigen müssen und Betroffene im Fall von Belästigungen die Möglichkeit haben, Anzeige zu erstatten.
Zentral sei für sie auch der Schutz sensibler Daten: Adressen und andere besonders schützenswerte Informationen sollten im Kaufprozess unkenntlich gemacht werden; die Absendeadresse müsse in einem QR-Code verschlüsselt werden, sodass nur der Postdienstleister Zugriff hat.
Schließlich fordert sie eine Optimierung des Wortfilters, damit sexualisierte oder belästigende Nachrichten gar nicht erst verschickt werden können.
Für Mina ist klar: Der Handlungsbedarf liegt bei den Plattformen - nicht bei den betroffenen Frauen. Ihren Appell richtet sie direkt an Thomas Plantenga, den CEO von Vinted.
Selbstbestimmung trotz digitaler Risiken
Dennoch sagt Mina, sie denke mittlerweile viel stärker darüber nach, welche Bilder sie poste. Auf Vinted verzichte sie inzwischen auf neue Tragefotos. Grundsätzlich würde sie empfehlen, auf der Plattform keine solchen Fotos zu veröffentlichen - aus Selbstschutz. Das entspricht auch der Empfehlung von Vinted selbst.
Trotzdem möchte sie ihr Verhalten nicht grundsätzlich ändern. "Mir ist wichtig zu sagen: die Scham muss die Seite wechseln", so Mina. Sie wolle weiterhin öffentlich posten, auch auf Instagram. "Es ist einfach nur ein Frauenkörper. Das ist nichts Schlimmes."
Für Mina liegt das Problem nicht bei den Bildern selbst, sondern in der gesellschaftlichen Sexualisierung weiblicher Körper. "Unsere Gesellschaft muss endlich anfangen, darüber zu sprechen, dass es nicht normal sein kann, dass wir Frauen immer und überall sexualisiert werden und das einfach hingenommen wird."
Die 22-jährige macht weiter, auch wenn sie im Netz viel Gegenwind bekommt. Unter ihrem TikTok-Video seien zahlreiche Hasskommentare erschienen. "Es kommen jeden Tag DMs, Kommentare, wo halt dann drin steht: wenn du so rumläufst, du Hure. Und auch Todeswünsche." Für sie sei diese Reaktion ein weiteres Beispiel dafür, "wie pudelwohl sich die Leute im Internet fühlen".
Zurückziehen will sie sich jedoch nicht. "Ich poste weiterhin meine Sachen, weil ich nicht will, dass sie so eine Macht über mich haben."
Trotz allem sieht sie die Plattform Vinted grundsätzlich positiv. "Ich bin überhaupt nicht gegen Vinted. Ich kaufe seit über sechs Jahren nur Secondhand." Nachhaltigkeit sei ihr wichtig. Gerade deshalb gehe es ihr darum, die Nutzung wieder sicher zu machen - für alle.
In ihrer Petition fordert sie deshalb: "Thomas Plantenga muss die Stimmen von uns Betroffenen endlich ernst nehmen, konsequent gegen Täter vorgehen und Opfer schützen! Damit wir alle sicher und mit Freude Klamotten ein zweites Leben schenken können."
Minas Fazit nach ihrer schockierenden Erfahrung:
"Ihr müsst euer Verhalten ändern, nicht ich."