Der Verfassungsrichter-Streit rückt das Thema AfD-Verbot in den Vordergrund, das die SPD befürwortet. Staatsrechtler Boehme-Neßler meint zu Euronews: "AfDler würden ihr Mandat verlieren. Dann wäre in Parlamenten weitgehend eine linke Mehrheit". Historiker Rödder warnt sogar vor einem "Bürgerkrieg".
In Deutschland wird weiter gestritten um neue Verfassungsrichter. Den zwei Kandidatinnen der SPD wird eine "links aktivistische" Haltung vorgeworfen. Dabei geht es um Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold, letztere soll Vize-Präsidentin in Karlsruhe werden.
Brosius-Gersdorf wird vorgeworfen, sich zu stark politisch zum Thema Abtreibung, Corona-Impfpflicht und einem AfD-Verbot positioniert zu haben. Auch Kaufhold wird kritisiert, auf einen obersten Richterposten zu kommen, obwohl sie im Vorfeld ein AfD-Verbot befürwortet hat.
Die Union steht besonders Brosius-Gersdorf skeptisch gegenüber. SPD und Grüne verteidigen beide Kandidaten und wollen die Richterwahl im Bundestag rasch wiederholen. "Es ist inakzeptabel, dass in rechten Kampagnen Unwahrheiten, Überspitzungen und verzerrte Aussagen über Prof. Brosius-Gersdorf verbreitet werden", meint Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge.
CDU-Historiker Rödder: "Flächendeckende rot-rot-grüne Mehrheiten ist sichere Weg in Bürgerkrieg"
Im Regierungsviertel brodelt es in den Regierungsparteien. Wie Euronews aus Kreisen der SPD-Bundespartei heraushörte, ist allgemein ein "AfD-Verbot" seit Monaten ein zentrales Gesprächsthema unter Abgeordneten – bis in die Parteispitze.
Mehr noch: Einige SPD-Politiker würden die Hoffnung haben, dass das Verfassungsgericht dem schon "Anfang nächstes Jahres zustimmen" könnte. Man möchte so schnell wie möglich ein AfD-Verbotsantrag stellen.
Dadurch stellen sich die Fragen: Was passiert, wenn mutmaßlich "aktivistische" Verfassungsrichter über ein AfD-Verbot entscheiden würden? Und was wären eigentlich generell die Folgen, wenn ein AfD-Verbot von einem Verfassungsgericht bestätigt wird?
Dass das AfD-Verbot fest auf der Agenda der SPD steht, macht auch in der Union die große Runde. Sahen anfangs CDU-Politiker dem noch positiv entgegen – vor allem in der Führungsebene – blicken viele Christdemokraten nun skeptisch auf ihren Koalitionspartner. "Das kann uns als Partei selbst gefährden", hört Euronews heraus.
Die aktuelle Warnung aus der Union lautet: "Das ist eine Falle. Dann sind zu einem großen Teil Parlamente in Deutschland von 0 auf 100 in der Mehrheit links". Und auch bei Neuwahlen sähe es schlecht aus für die CDU, dann könnte "die Zukunft rot-grün-rot" sein, so der Tenor.
Der bekannte Historiker Andreas Rödder (CDU) fordert gegenüber Euronews: "Die Politik muss ihr Verhältnis zur AfD klären." Er gilt als einer der wichtigsten Intellektuellen der CDU. "Ein Verbotsverfahren, das zum Wegfall sämtlicher Stimmen für die AfD und somit flächendeckend zu rot-rot-grünen Parlamentsmehrheiten führt, wäre aber der sichere Weg in den Bürgerkrieg", warnt er.
Der Geschichtsprofessor mahnt direkt in Richtung der Sozialdemokraten und Grünen: "Die deutsche Linke sollte sich gut überlegen, was sie tut und welche Folgen es für die liberale Demokratie hat."
Wie könnte das Verfassungsgericht die AfD verbieten?
Für ein Verbot müsste bewiesen werden, dass die AfD nicht nur verfassungswidrig denkt und spricht, sondern auch kämpferisch-aggressiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht.
"Verfassungswidrigen Mist im Bundestag zu erzählen reicht nicht. Man müsste zum Beispiel wissen, dass die Partei Gewalttaten plant", erklärt der renommierte Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler im Gespräch mit Euronews. "In dem aktuellen Gutachten des Verfassungsschutzes gab es keine Hinweise darauf."
In der Theorie wäre es so: Falls ein Bundesinnenministerium oder der Geheimdienst genug Beweise hat, kann entweder die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag stellen, die AfD als verfassungswidrig zu verbieten. Dafür muss das Beweismaterial vorgelegt werden.
"Wenn wir Aktivisten in Richterrobe haben, haben wir ein Problem"
Entscheiden würde über ein AfD-Verbot der zweite Senat in Karlsruhe. Also genau dort, wo beide SPD-Kandidaten – Brosius-Gersdorf und Kaufhold – einen Stuhl bald haben sollen, wenn es jedenfalls nach den Sozialdemokraten und den Grünen geht.
Der Staatsrechtler Volker Boehme-Neßler meint: "Wenn wir tatsächlich Aktivisten in Richterrobe im Verfassungsgericht haben, dann haben wir ein Problem. Denn die Idee des Systems der Demokratie ist, dass Richter sehr, sehr, sehr genau hinschauen. Ein Verbot ist eine absolute Ausnahme. Ohne aktivistische Richter würde ich Stand jetzt juristisch keine Chance für ein Parteiverbot sehen.“
Brosius-Gersdorf selbst hat zu zahlreichen Vorwürfen Stellung genommen. "Ich vertrete gemäßigte Positionen aus der Mitte", verteidigte sie sich am Dienstag in der Talksendung Markus Lanz (ZDF). Sie räumte dort ein, dass ihre Formulierungen zum Thema AfD-Verbot "nicht glücklich" gewesen wären.
Vor einem Jahr sagte sie in derselben Sendung, dass ein AfD-Verbotsverfahren "ein ganz starkes Zeichen unserer wehrhaften Demokratie ist, dass sie sich gegen Verfassungsfeinde wehrt". Und fügte hinzu: Richtig sei, "dass damit natürlich nicht die Anhängerschaft beseitigt ist".
Auch die Richter-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold warnte letztes Jahr auf einer Veranstaltung, bei einem Antrag auf ein AfD-Verbot zu zögerlich zu sein.
Wörtlich sagte Jura-Professorin Kaufhold: „Die Ängstlichkeit zu sagen, wir halten diese Partei für verfassungsfeindlich (…) Wir glauben auch, dass die Partei das Potential hat, ihre Ideen umzusetzen, aber wir stellen den Antrag nicht, aus Sorge davor, es könnte scheitern, das finde ich nicht überzeugend. Ich denke, das muss man dann auch aushalten. Und das kann der politische Prozess auch aushalten. Wenn man das zu Ende denkt, dann stellt man den Verbotsantrag nie.“
Das passiert, wenn das oberste Gericht dem AfD-Verbot zustimmt:
Ob genug Beweise oder nicht: Was geschieht eigentlich, wenn tatsächlich ein AfD-Verbot vom Verfassungsgericht entschieden wird?
„Dann würde jeder AfDler sein Mandat verlieren – ab der Sekunde, in der sie als verfassungswidrig von Karlsruhe eingestellt wird. Und ab dieser Sekunde hätten wir in Deutschland dann womöglich auch linke Mehrheiten in Parlamenten landesweit", meint Verfassungsexperte Boehme-Neßler.
Ausnahmen wären beispielsweise der Freistaat Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein. Einige Parlamente haben bereits linkspolitische Mehrheitsverhältnisse.
Diese Rechtslage sei sogar ziemlich eindeutig. Der Staatsrechtler erklärt: "Um es ganz klar zu sagen: Die ganz herrschende Meinung in der Rechtssprechung und Rechtswissenschaft – und es gibt auch ein Gesetz dazu – spricht dafür, dass die Mandate weg sind, wenn eine Partei aufgelöst wird."
Das Bundesverfassungsgericht habe dazu in seinen Urteilen aus den 50er Jahren ausdrücklich betont, dass die Mandate wegfallen. "Es gibt im Bundeswahlgesetz eine Regelung, die das klar festlegt: Wenn eine Partei als verfassungswidrig eingestellt wird, dann sind Mandate weg!", sagt der renommierte Jurist.
Inwiefern alle Mandate in Landesparlamenten sofort weg sind, könnte womöglich auch von Landesrechten zusätzlich abhängig sein. Zum Beispiel gäbe es die Möglichkeit, dass in einigen Ländern Abgeordnete erstmal "fraktionslos" werden. Heißt: Em Ende hängt alles davon ab, wie das Urteil des höchsten Gerichts ausfallen würde.
Was passiert mit den weggefallenen Sitzen der AfD?
Die AfD-Abgeordnete würden bei einem Verbot automatisch ihre Sitze in Landesparlamenten oder im Bundestag verlieren. Es gibt bloß einen Unterschied, ob die Abgeordneten über einen Listenplatz oder ein Direktmandat einzogen.
Jurist Volker Boehme-Neßler erklärt: "Wer über die Liste kam, hat sofort kein Mandat mehr. Bei einem Direktmandat wird im Wahlkreis die Wahl wiederholt – er kann als Privatperson nochmal antreten. Doch erstmal ist sein Mandat weg."
Was passiert mit den Sitzen der AfD? Die Plätze, die über die Listen verteilt wurden, "fallen einfach weg", sagt der Verfassungsrechtler. "Die Plätze, die durch Wahlerfolge in den Wahlkreisen direkt errungen wurden, müssen nachgewählt werden."
So sehen derzeit die Parlamente in Deutschland aus:
Bundestag
CDU (208), AfD (151), SPD (120), Grüne (85), Linke (64), Fraktionslos (2).
Berlin
CDU (52), SPD (35), Grüne (34), Linke (20), AfD (16), fraktionslos (2).
Brandenburg
AfD (30), SPD (32), BSW (14), CDU (12).
Hessen
CDU (52), AfD (28), SPD (23), Grüne (22), FDP (8), Fraktionslos (2).
Bayern
CSU (85), FW (37), AfD (32), Grüne (32), SPD (17).
Thüringen
AfD (32), CDU (28), BSW (15), Linke (12), SPD (6).
Sachsen
CDU (41), AfD (40), BSW (15), SPD (10), Grüne (7), Linke (6), FW (1).
Sachsen-Anhalt (nächste Wahl September 2026)
CDU (40), AfD (23), Linke (11), SPD (9), FDP (7), Grüne (6), Linke (11), FW (1).
Rheinland-Pfalz (nächste Wahl März 2026)
SPD, (39), CDU (31), AfD (9), Grüne (10), FDP (6), FW (6).
Baden-Württemberg (nächste Wahl März 2026)
Grüne (57), CDU (43), SPD (19), FDP (18), FDP/DVP (18), AfD (17).
Schleswig-Holstein
CDU (34), Grüne (14), SPD (12), FDP (5), SSW (4).
Mecklenburg-Vorpommern (nächste Wahl Herbst 2026)
SPD (34), AfD (13), CDU (13), Linke (9), Grüne (5), FDP (3), Fraktionslos (2).
Saarland
SPD (29), CDU (19), AfD (3).
Nordrhein-Westfalen
CDU (76), SPD (56), Grüne (39), AfD (12), FDP (12).
Hamburg
SPD (45), Grüne (25), CDU (26), Linke (15), AfD (10).
Bremen
SPD (28), CDU (24), Grüne (10), Linke (10), BD (7), FDP (5), Fraktionslos (3).