Seit Tagen tobt ein Streit um die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin. Die Abgeordneten von CDU/CSU haben sich geweigert, sie zu wählen – obwohl CDU-Kanzler Merz für Brosius-Gersdorf sich aussprach. Union und SPD sagen nun die Richterwahl im Bundestag für heute ab.
Am Freitag kam es zu einem Showdown im Bundestag zur Causa Frauke Brosius-Gersdorf. Sie ist eine SPD-Wunschkandidatin für die Wahl einer neuen Verfassungsrichterin. Doch an der Rechtsprofessorin gibt es zahlreiche Kritik seitens bekannter Verfassungsexperten. Und: vor allem innerhalb der CDU/CSU-Reihen.
Eine Mehrheit der Abgeordneten der Unions-Fraktion ist nach Informationen von Euronews NICHT bereit, im Bundestag für Brosius-Gersdorf zu stimmen.
Wie Euronews am Freitagmorgen (8.30 Uhr) aus der Unionsfraktions hörte, wollte die Union die Wahl von Brosius-Gersdorf von der Tagesordnung nehmen. Dafür musste sie aber erst ein Einverständnis der SPD einholen. Der Bundestag unterbach seine Sitzung.
Nachdem die SPD sich dazu um 10.30 Uhr in einer Sondersitzung beraten hatte, wird nun klar: Union und SPD haben gemeinsam für heute alle drei Wahlen von Verfassungsrichter abgesagt. Die Fraktionen Union, SPD, Gründe und Linke stimmten gemeinsam für das Abblasen der Wahl von der Tagesordnung. Die AfD stimmte dagegen.
So war der eigentliche Wahl-Zeitplan:
Um 10.10 Uhr sollte eigentlich die erste Wahl eines Verfassungsrichters erfolgen – und zwar die von Günther Spinner (Für den Ersten Senat). Der Trick der Union: Nach der als gesichert geltenden Wahl von Spinner hat die CDU den Haushalt dazwischen gequetscht – bevor es zur Wahl von Borius-Gersdorf kommt. Heißt: Noch genug Zeitpuffer.
Spinner gilt zwar als CDU-Kandidat, doch tatsächlich hat die Union keinen eigenen Kandidaten. Der eigentliche CDU-Vorschlag wurde abgelehnt. Die SPD hingegen schlug gleich zwei Kandidaten vor. Spinner selbst ist ein Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts. Innerhalb der Union hört man raus: Deshalb war es ihnen "egal", ob Spinner "mit AfD-Stimmen zum Verfassungsrichter gewählt" wird.
Um 12.00 Uhr sollte eigentlich die Wahl beider SPD-Kandidaten stattfinden. Erst Ann-Katrin Kaufhold, dann Frauke Brosius-Gersdorf (beide für den Zweiten Senat).
Großer Frust in der Union auf Merz und Spahn
Am Mittwochabend nahm Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz nicht am Krisentreffen des Fraktionsvorstandes teil. Viele Abgeordnete der Unionsfraktion waren entsetzt über das "Ja" von Merz während der Generaldebatte.
Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch fragte ihn im Plenum, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren könne, eine Kandidatin zu wählen, „für die die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist“. Daraufhin sagte Merz: „Auf Ihre hier gestellte Frage ist meine ganz einfache Antwort: Ja!"
"Die Stimmung in unserer Fraktion ist danach komplett zusammengebrochen", sagt ein CDU-Politiker zu Euronews. "Ganz ehrlich, seit dem haben viele aus unserer Fraktion Zweifel an Merz als Kanzler für unsere Partei. Denn wenn wir schon jetzt der SPD kampflos das wichtigste Gericht des Landes ein Stück weit übergeben, was man mit solchen ideologischen Verfassungsrichterpersonalien, gleich zwei, natürlich tut – dann sind wir nicht besser als die Grünen", sagt der Abgeordnete weiter.
Spahn drohte Unions-Abgeordneten mit "Koalitionskrise"
Den gesamten Donnerstag über haben die Abgeordneten der Union untereinander über die Causa Brosius-Gersdorf diskutiert. Immernoch war die Mehrheit zu diesem Zeitpunkt GEGEN die Rechtsprofessorin – sowohl im sozialliberalem als auch im konservativen Flügel.
Aber: die führenden Kräfte in der Union versuchten den ganzen Tag über ihre Abgeordneten zu überzeugen FÜR Brosius-Gersdorf zu stimmen. "Sonst droht eine Koalitionskrise", wurde ihnen erzählt. Und zwar von Fraktionschef Jens Spahn. Der vor warnte seine Kollegen davor, dass dies zu einem unüberbrückbaren Streit in der Regierung führen könnte. Er plädierte dafür, einen solchen Schaden zu vermeiden.
Das Krisenmanagement vor der Wahl war am Freitagfrüh im vollem Gange: Erst fand um 7.30 Uhr eine Sondersitzung des Parlamentskreis Mittelstand der Union (PKM) statt. Das sind 166 von 208 Abgeordneten, also Widerständler, die sich vorab abstimmen. Danach folgte um 8.00 die zweite Krisensitzung: nämlich die Fraktionssitzung von CDU und CSU.
Wenn 60 Unionsabgeordnete gegen die SPD-Kandidatin gestimmt hätten, wäre sie gescheitert. Am Donnerstagabend wurde klar: Der Aufstand in der Partei legt sich nicht. Spahn und Merz hielten ein Krisentelefonat ab. Danach folgten Krisentreffen mit Ministerpräsidenten. Mehr als 30 Abweichler wollten ihre Stimme mit "Nein" verweigern. Weitere wollten mit "Enthaltung" stimmen.
Am Freitagmorgen lag die Option auf den Tisch: Die Verfassungsrichter-Wahl zu verschieben. In der CDU nannte man dies "Plan B".
Zudem suchte man in der Unions-Führung ebenfalls einen "Plan B", falls die eigenen Abgeordneten gegen die SPD-Kandidatin oder sogar gegen beide SPD-Kandidatinnen stimmen – wie sie dann noch die Wogen mit ihrem Koalitionspartner glätten können. A
ber: Zugleich hielt man es für einen Vorteil, dass die Wahl geheim stattfinden soll. Die CDU/CSU-Abgeordneten mit ihrem Gewissen es einfacher vereinbaren, für eine Verfassungsrichterin geheim zu stimmen, die sie eigentlich ablehnen. Die Öffentlichkeit erfährt dann nicht, welcher Abgeordnete gegen seine eigenen Positionen stimmt.
Der rote Koalitionspartner war bis zum Freitagvormittag überhaupt nicht kompromissbereit. Wie Euronews erfuhr, weigert sich die SPD vollkommen ihre in der Kritik stehende Kandidatin zurückzuziehen. Wie würde der Partner also erst reagieren, wenn ihr Wunsch nicht erfüllt wird? "Wir sitzen mal wieder in einer Falle", sagt ein CSUler zu Euronews.
SPD behauptet, es sei eine Abmachung mit Gegenleistung
Am frühen Morgen hatte man das Stimmungsbild in der eigenen Fraktion sich angeschaut – der Plan: falls die Mehrheit immer noch gegen Brosius-Gersdorf ist, wäre es die beste Option, die Wahl an diesem Freitag noch von der Tagesordnung schnell zu setzen, hieß es aus der Kanzlerpartei. Das hat die CDU dann tatsächlich umgesetzt.
Auch hieß es aus der Union: Es gäbe noch die Option, die Wahl komplett dem Bundesrat zu überlassen. Dieser könnte neue Kandidaten – oder auch dieselben – vorschlagen, konkret würden dies die Länder Hessen und Bremen tun. Das war allerdings für den CDU-Fraktionschef Jens Spahn bis Donnerstagabend KEINE Option, heißt es aus Kreisen der Partei. Denn Spahn wollte den mit der SPD ausgehandelte Kompromiss erfüllen.
Aus der SPD hieß es noch am frühen Freitagmorgen: Die Sozialdemokraten beharren auf den „Kompromiss“, es sei ein „Deal mit Gegenleistung“, die CDU kriege was dafür, jetzt sei die SPD dran.
Druck in eigenen Reihen zu groß: Für Spahn und Merz gab es nur zwei Optionen:
- Option Eins: Merz und Spahn hätten die Abgeordneten Freitagfrüh noch auf eine „Enthaltung“ statt „Nein“ bei der Wahl trimmen könnent, um noch auf die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit zu kommen, damit die SPD ihren Wunsch bekommen hätte, der fest ausgehandelt war. Dafür plädierte am Morgen sogar noch CDU-Bundestagspräsidentin Julia Klöckner: Sie appellierte die Wahl der Bundesverfassungsrichter, "ohne Beanstandung" durchzuführen.
- Option Zwei: Die beste Option für die CDU-Führung war es, die Wahl von der Tagesordnung zu nehmen und damit Zeit schinden – mit Blick auf eine mögliche Übernahme der Wahl vom Bundesrat (der neue Kandidaten oder dieselben vorschlagen kann, letztere gilt als eher unwahrscheinlich) im September. Praktisch: Durch die Sommerpause des Bundestages haben Union und SPD auch genug Zeit, um die Wogen wieder zu glätten.
Auch ein Problem war: Für eine notwendige Zweidrittelmehrheit sind Stimmen von der Partei die Linke erforderlich – die Union hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der ehemaligen SED-Nachfolgepartei. CDU/CSU müssten also gemeinsam mit der Linke über Frauke Borius-Gersdorf abstimmen.
Falls tatsächlich im Bundestag keine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht worden wäre, hätte man nach Paragraf 7a des Bundesverfassungsgerichtsgesetz im Bundesrat die Verfassungsrichter wählen können. Nach diesem Paragrafen könnte sich aber auch der Bundesrat einschalten, wenn Union und SPD sich nicht auf Kandidaten einigen können und eine Wahl nicht stattfindet. Dieser Mechanismus wurde Ende 2024 ins Leben gerufen, um weniger von Oppositionsparteien wie AfD oder BSW abhängig zu sein. Im Bundesrat wäre dann ebenfalls eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig.
Diese Positionen von Frauke Brosius-Gersdorf werden kritisiert:
- Sie hält eine gesetzliche Frauenquote im Wahlrecht für möglich – das Bundesverfassungsgericht ist dazu bisher skeptisch.
- Die Juristin philosophierte über eine verfassungsrechtliche Verankerung einer Corona-Impfpflicht.
- Sie hält die gerichtliche Entscheidung eines verfassungsgemäßen Kopftuchverbots für muslimische Rechtsreferendarinnen für falsch. Das Kopftuch verstoße „nicht gegen das Neutralitätsgebot des Staates“, meint sie.
- Die Rechtsprofessorin sprach sich dafür aus, Schwangerschaftsabbrüche straffrei zu machen. Sie erklärte gar, dass die volle Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte.
- Auch für Aufsehen erregt Brosius-Gersdorf, weil sie ein AfD-Verbot – also ein Verbot der aktuell größten Oppositionspartei in Deutschland – befürwortet.