Ägyptens schwieriger Interessenkonflikt

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In Kairo demonstrieren Ägypter gegen israelische Luftangriffe auf den Gazastreifen. Da werden israelische Fahnen verbrannt. Ob der eigene Präsident damit in eine Zwickmühle gebracht wird, interessiert die Demonstranten weniger. Für sie ist der Muslimbruder im Präsidentenpalast einer der ihren. Ganz so einfach sieht das Mohammed Morsi selber wohl nicht. Gestern versuchte er seinen Landsleuten zu erklären, wie er gegenüber US-Präsident Obama Position bezieht. Er habe Ägyptens Interesse an guten Beziehungen zu den USA betont, sagte der Präsident. Gleichzeitig habe er aber gegen jede Aggression gegenüber den Palästinensern protestiert. Wobei er nicht explizit von der Hamas sprach, gegen die sich die israelischen Angriffe richten. Die Hamas war 1987 als Zweig der Muslimbrüder gegründet worden.
Für die Hamas, die 2007 gleich hinter der Grenze im Gazastreifen die Macht übernommen hat, war die Wahl von Morsi zum Präsidenten ein Hoffnungszeichen.
Hamas-Chef Ismail Hanija begrüßte die Wahl mit den Worten: “Ägypten kann eine wichtige Rolle spielen, eine historische Rolle im Interesse der palästinenischen Sache.” Die Erwartungen waren auf Seiten der Hamas wirklich groß. Sie setzte auf die langen brüderlichen Beziehungen zu den ägyptischen Muslimbrüdern. Die USA aber haben mit ihrem langjährigen Partner Mubarack im Zuge des “arabischen Frühlings” auch ihren traditionellen Einfluß verloren. Wie hieß es doch einst so treffend? “Er ist ein Schweinehund, aber er ist unser Schweinehund!” So dürften das auch Israels Führer gesehen haben. Jedenfalls haben weder Israel noch USA nach dem “arabaischen Frühling” einen neuen Weg gefunden.

Tokunbo Salako. euronews
Wir sprechen mit Nathan Thrall von der “International Crisis Group”, in der Wissenschaftler und Politiker nach Lösungen suchen. Es gab zu Mubaraks Zeiten einen status quo zwischen Israel und Ägypten. Jetzt ist ein Muslimbruder Präsident in Kairo – was ändert sich?

Nathan Thrall
Ich denke, dass allgemein der Besuch des ägyptischen Ministerpräsidenten sehr aufmerksam verfolgt wird. Ägyptens Verhalten hat sich von Mubarak zu Morsi klar verändert. Der Grenzübergang von Rafah war zeitweise geschlossen und damit war die Verbindung zwischen dem Gazastreifen und Ägypten unterbrochen. Und jetzt sehen wir genau das Gegenteil. Mit dem Besuch seines Ministerpräsidenten setzt Ägypten ein Zeichen dafür, dass es sich auch zum Konflikt zwischen Gaza und Israel anders verhalten will. Ägypten zeigt sich jetzt als Verbündeter der im Gazastreifen Herrschenden.

Tokunbo Salako. euronews
Wie bewerten Sie heute den Besuch des Regierungschefs in Gaza?

Nathan Thrall
Ich denke, die Hamas war darüber hoch erfreut.
Für sie ist das ein Zeichen, dass jemand ihre diplomatische Isolierung aufbricht. Die Hamas hofft nun, dass auch ihre wirtschaftliche Isolierung aufgeweicht werden könnte. Und sie sieht das natürlich auch als Zeichen an die Nachbarstaaten so in der Art. `Schaut her, ignoriert nicht länger die Not im Gazastreifen!

Tokunbo Salako. euronews `
Dabei war Ägypten doch lange Zeit Israels bester, einziger Verbündeter in der Region. Als wie wichtig bewerten Sie die Bewegung, die durch diesen Besuch entsteht?

Nathan Thrall
Ich denke, dass Ägypten unter Präsident Morsi einen trickreichen Balanceakt versucht. Man will in Kairo nämlich sehr wohl die guten Beziehungen zu den USA bewahren, will gute Beziehungen zu Europa haben und man will auch den Friedensvertrag mit Israel nicht aufkündigen.
Gleichzeitig aber sind da die engen Verbindungen zu den in Gaza herrschenden Hamas-Führern und was sich da jetzt entwickeln könnte, möchten beide Seiten mit ihrer Politik verbahren können.

Tokunbo Salako. euronews
Und welche Konsequenzen ergeben sich nach Ihrer Meinung aus den israelischen Aktionen der letzten 48 Stunden?

Nathan Thrall
Ich denke, dass sich diese Eskalationen gegen die bisher stärkste Seite richten, die Zeit vergeht zu Ungunsten von Israel, was sich auch an internationalen Reaktionen zeigt.

Armeesprecher: Hamas wird hohen Preis zahlen

Wir fragen in Jerusalem den israelischen Armeesprecher Avichay Adraee: Warum findet dieser
Militäreinsatz gegen den Gazastreifen gerade jetzt statt?

Adraee: Wir hatten eine Woche, in der aus Gaza 130 Raketen auf Israel abgefeuert wurden; seit Jahresbeginn waren es 750.

Deshalb dieser Einsatz mit zwei Zielen: Erstens die terroristischen Gruppen im Gazastreifen schwer zu treffen und ihnen klarzumachen, dass sie Israel nicht nach Belieben angreifen können.

Das zweite Ziel ist Sicherheit für unsere Bürger im Landessüden.

Euronews: Sie haben angekündigt, dass der Einsatz die militärischen Führer der Palästinenser treffen soll. Jetzt sind aber die meisten Opfer Zivilisten, Frauen und Kinder.

Adraee: Ja, Zivilisten sind getötet und verwundet worden: Das ist im Krieg normal. Wir tun aber alles, um zivile Opfer zu vermeiden.

Euronews: Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren war Tel Aviv Ziel von Raketen aus dem Gazastreifen. Was bedeutet das militärisch?

Adraee: Das zeigt, wie dringend wir handeln müssen: Die terroristischen Gruppen können Israel und Millionen Israelis treffen, wann sie wollen.

Euronews: Aber Israel hat die stärkste Armee im Nahen Osten.

Adraee: Ja, aber Israel als demokratisches Land bedenkt auch immer die weltweiten Reaktionen. Terroristische Gruppen dagegen entscheiden ganz verrückt, wie es ihnen passt.

Euronews: Erwarten sie eine Bodenoffensive in Gaza?

Adraee: Zuerst geht es uns darum, dass sie Israel nicht mehr so treffen können. Wir haben ihre Raketenstartplätze schwer getroffen; aber sie haben immer noch Langstreckenraketen, mit denen sie Tel Aviv beschossen haben - wenn auch ohne Opfer.

Euronews: Bei einer israelischen Bodenoffensive verspricht die Hamas ein paar große Überraschungen.

Adraee: Israels Armee ist bereit, alle Befehle zu befolgen, auch den zu einem Bodenangriff. Die Hamas und andere Gruppen im Gazastreifen werden einen hohen Preis zahlen, höher als schon bisher.

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