IWF-Direktor: "Sparen ist wie Medizin - wer zu viel erwischt, dem geht es schlecht"

IWF-Direktor: "Sparen ist wie Medizin - wer zu viel erwischt, dem geht es schlecht"
Von Euronews
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Als dreispurige Autobahn sieht der Internationale Währungsfonds (IWF) die Weltwirtschaft in diesem Jahr: Insgesamt geht es mit 3,5 Prozent voran. Links rauschen die Schwellenländer dahin mit plus 5,5 Prozent, in der Mitte gleiten die USA und junge Industrieländer Asiens mit zwei bis drei Prozent Plus. Auf der Standspur Euroland, das am Motor orgelt – minus 0,2 Prozent.

Olivier Blanchard, Chefvolkswirt des IWF:

“Das Erholungstempo hat sich von zwei zu drei Geschwindigkeiten auseinanderdividiert. Schwellen- und Entwicklungsländer sind immer noch stark. Unter den fortgeschrittenen Volkswirtschaften scheinen die Vereinigten Staaten den Euroraum abzuhängen.”

Die Zahlen versprechen immerhin im nächsten Jahr mehr Tempo:

Die USA beschleunigen von 1,9 auf 3 Prozent Wachstum. Japan bleibt bei rund 1,5 Prozent Plus. Die Eurozone startet durch von rezessiven minus 0,3 auf plus 1,1 Prozent, die Weltwirtschaft insgesamt auf vier Prozent.

Bis dahin: Sorgen – vor allem sieht der IWF Frankreich mit einem Bein in der Rezession mit 0,3 Prozent Wachstum im Jahr 2013.

Da könne Deutschland ruhig mehr für Europas Konjunktur tun: Seine Wirtschaft wachse im laufenden Jahr um 0,6 Prozent, danach um 1,5 Prozent.

Mit dpa, Reuters

Oleksandra Vakulina, euronews:

“Für die globale Konjunktur sieht es besser aus, dank verringerter Defizite in den reiferen Volkswirtschaften. Die Weltwirtschaft soll sich vor allem in der zweiten Hälfte des laufenden Jahres erholen. Was sind die wichtigsten Herausforderungen und was kommt auf uns zu? Carlo Cottarelli, IWF-Direktor für Öffentliche Finanzen, herzlich willkommen.”

“Nur sehr wenige europäische Länder können glücklich sein mit ihren Haushalts-Defiziten, das Ziel “drei Prozent der Wirtschaftsleistung” scheint in naher Zukunft für viele unerreichbar. Schulden runterfahren bedeutet auch verringertes Wachstum. Wie entkommen die Regierungen diesem Dilemma?”

Carlo Cottarelli, IWF:

“Schwer zu sagen. Sparmaßnahmen sind ein bisschen wie Medizin. Man muss sie nehmen. Aber wenn man zu viel erwischt, ergeht es einem schlecht. Also muss man die richtige Menge nehmen, und das ist der Kampf – welche Sparmedizin ist die richtige für Europa.

Zur Zeit scheint das Anpassungs-Tempo richtig. Nur dass Europa ein bisschen weniger auf die Zahlen starren sollte. Das 3-Prozent-Ziel muss erfüllt werden, aber nicht in einem bestimmten Jahr. Eigentlich macht mir aber die Tatsache Mut, dass die Europäische Union sich in einigen Fällen ziemlich flexibel verhalten hat und Ländern mehr Zeit eingeräumt hat für die Anpassung, wenn nötig.”

euronews:

“Die USA, sagen Sie, haben eine scharfe Kontraktion durch die sogenannte Fiskalklippe abwenden können. Aber die Politiker haben sich immer noch nicht nachhaltig geeinigt. Wie können die USA ihre auf die Dauer untragbare Schuldenlast reduzieren?”

Cottarelli:

“Sie müssen etwas tun – auf der Ausgaben- und auf der Einnahmenseite, mittelfristig. Leider war eine Einigung im Kongress über eine mittelfristige Haushaltskonsolidierung bisher nicht drin. Aber auch ohne Plan wurden schon ziemlich große Einschnitte gemacht. Das US-Defizit ging seit 2009 beträchtlich zurück und zwar um mehr als 6 Prozentpunkte der Wirtschaftsleistung. Man könnte sogar bemängeln, dass das dieses Jahr zu forsch passierte – wenn man die Realwirtschaft in den USA genau ansieht, ist die Erholung noch ziemlich anfällig.”

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euronews:

“Wie viel von Ihrem Optimismus stützt sich auf durchstartende Schwellen- und Entwicklungsländer?”

Cottarelli:

“Die Weltwirtschaft kommt in drei verschiedenen Geschwindigkeiten voran, und die Schwellenländer haben die Nase vorn. Schwellenländer haben auch viel weniger unter der Krise 2008/2009 gelitten als die fortgeschrittenen Volkswirtschaften. So kommt es auch, dass diese Volkswirtschaften munter weiter wachsen. Wir sollten aber im Auge behalten, dass das ein Aufhol-Prozess ist, deshalb wachsen Produktivität und Beschäftigung in diesen Ländern überproportional. Wir meinen, das ist ein laufender Prozess. Die Schwellenländer geben auch mittelfristig weiter Gas.”

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