Weit hinter der Mauer: Kampf um Hoffnung in Nablus

Weit hinter der Mauer: Kampf um Hoffnung in Nablus
Von Kirsten Ripper
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Nach Nablus kommt man von Jerusalem mit dem Bus 19 nach Ramallah – ab dem palästinensischen Busbahnhof hinter dem Damaskus Tor. Der Bus fährt eine ganze Weile an der von Israel errichteten Mauer entlang durch eine Art Sperrzone. Oft werden die Passagiere von den israelischen Soldaten gefilzt und gedemütigt – aber nicht immer, die Waffenruhe hat die Lage entspannt. Von Ramallah geht es mit dem Kleinbus weiter durch die hügelige Landschaft des Westjordanlandes. Auffällig sind die vielen durch Stacheldraht abgesperrten Straßen mit Kontrollposten. Sie führen zu den israelischen Siedlungen.

Mitten in der Altstadt von Nablus im Westjordanland hat der Architekt Naseer Arafat sein Büro. Er empfängt im Haus seiner Tante in einem malerischen Innenhof mit Brunnen, in dem Haus sind sein Büro, ein kleines Museum, eine Bibliothek und mehrere Ateliers untergebracht.
Naseer Arafat will Nablus nachhaltig weiterentwickeln – keine leichtes Unterfangen bei all den Bausünden, die in der Westbank zu beobachten sind. Allüberall gibt es angefangene Baustellen, die nie fertiggestellt werden, überall am Strassenrand liegt Müll herum – und auch in der Altstadt von Nablus nimmt kaum jemand Rücksicht auf die Baudenkmäler – das will Naseer Arafat ändern.

Der 46-Jährige hat ein Buch über das Kulturerbe von Nablus geschrieben:
Nablus – City of Civilisations . 14 Jahre lang hat Naseer Arafat daran gearbeitet.

Er gehöre keiner politischen Partei an, sei weder in der Fatah noch bei der Hamas, er sei unabhängig, unterstreicht Naseer Arafat.

Er führt gerne durch sein Reich. Im Innenhof stehen die HOMELESS DOORS, die häuserlosen Türen. Die Häuser zu den Türen gibt es nicht mehr, weil die israelische Armee sie im Westjordanland zerstört hat. Auf jeder Tür erzählt ein Kind eine Geschichte: Ein Junge hat ein Auge gemalt und eine kaputte Wand, um zu sagen, dass er alles gesehen hat, als das Haus von Bulldozern plattgewalzt wurde. Der Schlüssel zum Haus ist ebenfalls auf dem Bild zu sehen. Der Schlüssel als Symbol für das Haus: viele Palästinenser haben auch die Schlüssel der Häuser aufbewahrt, die heute in Israel liegen. Ein anderes Kind hat einen israelischen Panzer gemalt und eine Landkarte – von Blut rot gefärbt, Grenzen gibt es keine auf dieser Karte, Israel existiert nicht. Ein Mädchen hat eine blonde Puppe gemalt: Barbie – erklärt Naseer Arafat und lacht.

Im kleinen Museum geht es um die Überlieferung palästinensicher Traditionen, früher war hier eine Seifenfabrik, deren Arbeitsweise jetzt nachgestellt ist. In der Nähe wird weiter Olivenölseife produziert, die Arafat auch ins Ausland verkauft – aber weil es in den Palästinensergebieten keine funktionierende Post gibt, muss er die Produktion über Jerusalem verschicken.

Arafats Frau Nisreen trägt einen Schleier wie fast alle Frauen in Nablus, sie hat Kunst studiert. Jetzt baut sie im Töpfer-Atelier des Altstadt-Hauses die historischen Gebäude von Nablus im Kleinformat detailgetreu nach. Das Ehepaar hat vier Kinder: drei Jungs und ein Mädchen. Auch die Bildung der Kinder der anderen liegt Naseer Arafat am Herzen. Neben einer Bibliothek mit vielen Kinderbüchern und einem Kunstatelier gibt es viele Fahrräder. Die Kinder dürfen in der Altstadt damit fahren, wenn sie ein Buch gelesen haben.
Jedes Jahr im November nimmt Arafat zehn junge Leute mit nach Stavanger, der norwegischen Partnerstadt von Nablus, fünf Frauen und fünf Männer im Alter zwischen 18 und 22 Jahren, die sich zuvor ehrenamtlich engagiert haben.

In diesem Jahr darf die deutsche Dozentin Manuela Römer eine oder einen ihrer Journalismus-Studenten von der An Najah University in Nablus aussuchen. Sie unterrichtet seit einem Jahr in der Westbank – zuvor hat Manuela Römer in Syrien gelebt und im Südsudan gearbeitet. Sie berichtet von der Frustration ihrer Studierenden: “Bei schönem Wetter können sie das Meer sehen, aber sie können nicht hinfahren.”
Der Strand ist in Nethanja oder in Tel Aviv – aber nach Israel dürfen die Palästinenser nicht. Viele der jungen Leute in der Westbank glauben nicht mehr an eine Zwei-Staaten-Lösung – seit sie geboren sind, wird um eine Zwei-Staaten-Lösung gerungen. Aber es gibt immer mehr israelische Siedlungen innerhalb der Westbank, die durch hohe Zäune und Armeeposten abgeschirmt sind, Die Siedler, die dort leben, führen sich zum Teil auf wie Sheriffs, sie joggen mit geschultertem Maschinengewehr – auch außerhalb der Siedlungen. Bei Protesten gegen die Siedlungen und gegen die israelische Armee werden immer wieder junge Palästinenser von Soldaten getötet – wie zuletzt der 19-jährige Fußballspieler Mohammad Al-Qatari, der bei einer Pro-Gaza-Demonstration erschossen wurde. Viele Studierende in Nablus fordern einen gemeinsamen Staat mit Israel, in dem Palästinenser und Israelis dieselben Rechte haben.

Und was ist die Vision von Naseer Arafat? Welchen Plan sieht der Architekt für die Zukunft? Naseer Arafat sagt, er wolle seine Träume auf das beschränken, das erreicht werden kann. Er gibt zu, dass die Lage deprimierend ist. Doch Naseer Arafat will seinen Optimismus nicht aufgeben – und er glaubt an die Kraft der Begegnung.
Naseer Arafats erste Reise hat ihn nach Belfast geführt, auch eine Stadt im Konflikt. Noch heute erinnert er sich gerne daran, er erhält den Kontakt zu den Iren, die er damals kennengelernt hat aufrecht. Solche Erlebnisse wünscht er sich für viele junge Studenten. Naseer Arafat sieht sich ganz unten im Staub oder als den Sand der Fugen, der die Steine einer Pyramide zusammenhält. Bei einer Pyramide müsse man ganz unten anfangen – und bis der letzte Stein ganz oben die Pyramide fertigstellt, bis dahin sei der Weg für die Palästinenser noch sehr weit.

Der einzige Weg aus der Westbank heraus für die Palästinenser führt über Jordanien. Nach Jerusalem und in die anderen Gebiete jenseits der Mauer dürfen nur Palästinenser, die dort leben und einen israelischen Pass haben – sogenannte “arabische Israelis”.

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