Abgasaffäre: "Erdbeben" in der Autoindustrie

Abgasaffäre: "Erdbeben" in der Autoindustrie
Von Euronews
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Nach den Abgas-Enthüllungen hat im Volkswagen Konzern das große Räumen begonnen – inklusive personeller Konsequenzen. In elf Millionen Fahrzeugen

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Nach den Abgas-Enthüllungen hat im Volkswagen Konzern das große Räumen begonnen – inklusive personeller Konsequenzen.

In elf Millionen Fahrzeugen weltweit ist die betreffende Software eingebaut. Der Konzern will rund 6,5 Milliarden Euro zurückstellen: Unter anderem “zur Abdeckung notwendiger Service-Maßnahmen”, wie es in einer Meldung des Unternehmens heißt.

Nach den Enthüllungen machen sich Autofahrer Sorgen: Die Software beeinflusse “weder Fahrverhalten, Verbrauch noch Emissionen”, versucht der Konzern zu beruhigen.

VW bereitet unter Hochdruck eine Liste der von der Abgas-Affäre betroffenen Dieselwagen vor. http://t.co/paVt5qgDaipic.twitter.com/bJFLdwFdeN

— Berliner Morgenpost (@morgenpost) September 24, 2015

Auch die Testverfahren an sich, die mit der betreffenden Software ausgetrickst werden sollten, werden nun kritisch beäugt.

Nach Angaben der US-Umweltschutzbehörde EPA ist der Ausstoß von Stickoxiden bei den betroffenen Dieselmotoren im Straßenverkehr bis zu 40 Mal höher als auf dem Prüfstand. Stickoxide entstehen beim Verbrennen von Treibstoffen und sind dem Schweizer Bundesamt für Umwelt zufolge “Vorläuferschadstoffe von Ozon und Feinstaub” und können beim Menschen zu Atemwegserkrankungen führen.

Volkswagens Anteil am PKW-Weltmarkt beträgt eigenen Angaben nach 12,9 Prozent. Im vergangenen Jahr haben die Wolfsburger weltweit 9,5 Millionen Autos verkauft. Der Volkswagen-Konzern als größter Autobauer Europas erwirtschaftete 2014 einen Umsatz von 202 Milliarden Euro.

Die Verbindung des Autoriesen zur Politik ist unmittelbar: Das Land Niedersachsen hält einen VW-Aktienanteil von 20 Prozent, zudem sitzen Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies im Aufsichtsrat des Unternehmens.

“Unglaubliches Erdbeben”

euronews-Reporter Fabien Farge sprach mit Pascal Pennec, dem stellvertretenden Chefredakteur des französischen Magazins Auto Plus, und fragte unter anderem nach Auswirkungen für die gesamte Autoindustrie.

euronews:
Auf Volkswagen, das Symbol der Qualität und Zuverlässigkeit, wird nun mit dem Finger gezeigt. Dass der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn seinen Posten räumen musste, zeigt das Ausmaß der Krise…

Pascal Pennec:
Ein solches Erdbeben ist völlig unglaublich. In der Geschichte des Automobils ist es sehr selten vorgekommen, dass ein Skandal solch ein Ausmaß annahm. Es wurde geschummelt, und die Schummelei wurde eingeräumt, da war der Vorstandsvorsitzende fast gezwungen, seinen Hut zu nehmen. So sind die Regeln.

euronews:
Handelt es sich wirklich um einen Einzelfall oder kann man bei anderen Herstellern jetzt weitere Enthüllungen erwarten? Der Fall ist riesig!

Pennec:
Der Fall ist in der Tat beachtlich, denn vor allem in Europa werden sehr viele Dieselwagen verkauft, nicht zuletzt in Frankreich: Hier sind es 60 Prozent der Verkäufe. Bisher betrifft das ganze Ausmaß dieser Affäre natürlich die Vereinigten Staaten, in dem Sinne, dass es anscheinend nur dort nötig war zu schummeln, weil die amerikanischen Umweltnormen sehr viel strikter sind als die europäischen. Das scheint nahezulegen, dass man in Europa nicht schummeln muss, aber natürlich wurden überall Untersuchungen eingeleitet, die man abwarten muss. Andererseits richtet sich das Misstrauen jetzt auch gegen andere Hersteller, die Dieselwagen in den USA verkaufen, wie BMW und Mercedes.

euronews:
Volkswagens Image als Prunkstück der deutschen Autoindustrie wurde ernsthaft erschüttert. Ist Ihrer Meinung nach die gesamte deutsche Autoindustrie in Gefahr?

Pennec:
Nicht nur die deutsche Industrie ist in Gefahr. Es ist vorstellbar, dass alle Hersteller, die Dieselwagen verkaufen, dieser Gefahr ausgesetzt sind. Die Frage ist: Gibt es jetzt Regressforderungen von staatlicher Seite oder von Seiten der Käufer? Diese Gefahr besteht in jedem Fall. Jeder fragt sich, ob alle schummeln. Noch einmal: Für Europa scheint das unwahrscheinlich, weil es in Europa nicht so schwer ist, die Umweltnormen zu erfüllen. Das wird bei den nächsten Umweltnormen sehr viel schwieriger sein. Werden die Autobauer diese Normen dann in einem vernünftigen Kostenrahmen erfüllen oder nicht? Man muss dermaßen viele Anti-Abgas-Vorrichtungen einbauen, sodass das zu teuer werden könnte.

euronews:
Gibt es ein echtes Vertrauensproblem? Können die Käufer noch Vertrauen haben?

Pennec:
Wenn es ein Sicherheitsproblem wäre, wären die Käufer wirklich verärgert und misstrauisch. Die Umweltverschmutzung betrifft ja immer die anderen, nicht wahr? Es gibt eine Form von Egoismus unter den Autofahrern, die sich sagen: Wenn man die Umwelt nicht verschmutzt, dann umso besser. Und wenn man die Umwelt verschmutzt, dann ist das nicht mein Fehler, sondern der Fehler des Herstellers. Das dürfte keine großen Konsequenzen haben – es sei denn, es wird eine allumfassende Täuschung aufgedeckt – so dass gar kein Auto mehr fährt. Aber das ist Fiktion.

euronews:
Dieselmotoren stehen jetzt wieder im Fokus. Ist das nicht der Zeitpunkt, um Elektromotoren Platz zu machen?

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Pennec:
Darüber sprechen wir noch mal, wenn Elektroautos die gleiche Leistung bringen wie ein Dieselwagen. Im Moment ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Stellen Sie sich vor, dass sie volltanken und dann mit einer Tankfüllung 1000 Kilometer fahren können. Das wäre unglaublich. Derzeit sind Elektroautos noch teuer und ihre Reichweite ist sehr dürftig. Man kann das nicht vergleichen. Bislang kommt man an Diesel nicht vorbei, es bestehen noch keine ausreichenden technischen Lösungen.

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