Skandal in Ungarn: Tricksereien bei der Landreform

Skandal in Ungarn: Tricksereien bei der Landreform
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Von Hans von der BrelieSabine Sans, Gábor Kiss, Daniel Németh
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Verteilen Politiker wertvolles Ackerland an Freunde und Familienmitglieder?

Es geht um Vetternwirtschaft. Dichter Nebel wabert über den schmutzigen Geheimnissen Ungarns. Alles dreht sich um Ministerpräsident Viktor Orban und die Frage, ob ungarische Oligarchen ihre Macht dazu missbrauchen, im großen Stil Land an sich zu reißen, um sich an europäischen Agrarsubventionen zu bereichern. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und sagt, dass die Landumverteilung vollkommen legal war und dass es wichtig ist, große Agrar-Unternehmen aufzubauen, um mit Westeuropa konkurrenzfähig zu sein.

"Das skandalgeschüttelte Ungarn macht wieder mal Schlagzeilen", erklärt euronews-Reporter Hans von der Brelie. "Es geht um Tricksereien bei der Landreform. Ich bin unterwegs mit Gabi Horn, sie ermittelt im Auftrag der investigativen Internetplattform Atlatszo. Verteilen Politiker wertvolles Ackerland an Freunde und Familienmitglieder?"

Die Investigativ-Journalistin Gabi Horn von der ungarischen Investigativ-Plattform Átlátszó sagt: "Genau das passiert. Wir können uns das mal mit der Drohne anschauen."

Eintauchen in den Skandal-Nebel

Das Land unter der Kameralinse wird von den Kumpeln des Regierungs-Chefs gemanagt. Wir sind im Heimatlandkreis von Viktor Orban unterwegs, etwa eine Stunde Fahrtzeit von Budapest entfernt auf dem flachen Land. Gut ausgebaute Straßen, Rauhreif, dichter Nebel... Unsere Drohne entdeckt ein 200 Jahre altes Gehöft aus der Zeit der österreich-ungarischen Doppelmonarchie. Heute gehört das Gehöft, an dem Arbeiter fleißig werkeln, dem Orban-Klan. Entsteht hier ein Luxus-Komplex?

"Hatvanpuszta ist Eigentum des Vaters von Regierungschef Orban. Einige Gebäude stehen unter Denkmalschutz", erzählt Gabi Horn. "Viele Leute fragen sich: Woher kommt das Geld für so ein Riesenprojekt? Und wieso sind es Freunde der Regierung und Orban-Verwandte, die die Aufträge bekommen?"

Die Journalistin zeigt uns gleich in der Nähe Land, das Lőrinc Mészáros gehört. Manche Ungarn mit Insider-Wissen vermuten in ihm Viktor Orbans "Strohmann", der mögicherweise Teile dessen Vermögen verwaltet. Zahlreiche Geschäfte verbinden die beiden Männer. Das von euronews angefragte Interview lehnte Mészáros ab.

Gabi Horn erklärt: "Fast die ganze Gegend hier ist in Besitz von Viktor Orbans Freund aus Kindertagen, Lőrinc Mészáros. Oder das Land gehört direkt der Familie des Regierungs-Chefs, beziehungsweise dessen Geschäftsfreunden. Auch bei den Pachtverträgen bekamen Leute mit guten Verbindungen zur Regierungspartei Fidesz den Zuschlag."

Was ist faul im Staate Orbans?

Und je größer die gepachtete oder gekaufte Fläche, umso mehr Geld fließt aus Brüssel: Die Direktzahlungen der EU werden per Hektar berechnet - so wie anderswo in der EU auch.

80 Prozent des Nettoeinkommens ungarischer Landwirte stammt aus Subventionen, erklärt uns der frühere Agrar-Staatssekretär György Rasko:

"Vetternwirtschaft ist ein Fakt in Ungarn und es gibt Freunde des Regierungschefs, die - nun ich würde sagen - positiv diskriminiert wurden. Die nun Zugang zu diversen Geldquellen haben."

Ungarns Regierungschef Orban schimpft oft auf die schwarzen Schafe in Brüssel - und doch ist Ungarn einer der Hauptsubventionsempfänger. Umgerechnet auf die Größe der Bevölkerung erhält kaum ein anderes Land der Europäischen Union so viel Geld aus dem EU-Agrartopf.

Fake-Bauern werden bevorzugt

Im wilden Osten, nahe der Grenze zu Rumänien: Spekulanten aus der Stadt melden sich mit Fake-Adressen in den Dörfern an - ein Trick, um an die begehrten Pachtverträge zu kommen.

"Wer sich bei der Regierungspartei Fidesz einschleimt, der bekommt das Land", meint Schäfer Zsigmond Mavranyi aus Berettyóújfalu. "Und dann natürlich die Fake-Landwirte. Die echten Bauern, so wie wir, gehen leer aus."

Der Bauer Roland Karácson bekräftigt: "Diese Fake-Bauern haben keine Ahnung von Landwirtschaft. Die kommen noch nicht mal her, um sich das Weideland mal anzusehen. 90 Prozent von denen hat kein Vieh. Und wir dürfen unsere Tiere nicht dort weiden lassen."

Bei jedem vierten neuen Pachtvertrag stimmt was nicht. Im Dorf erzählt man sich von Bestechung, zwei Millionen Forint, sechstausend Euro, soll man angeblich zahlen müssen. Gyula Buj hatte nicht soviel übrig. Als er zusammen mit zwei erfahrenen Schafhirten ein Gemeinschaftsgebot abgab, ging er leer aus:

"Diejenigen, die das Land bekamen, hatten eben Beziehungen, die saßen näher am Feuer, wie man bei uns sagt. Ich hatte 600 Schafe, denen war das völlig egal", schimpft er. "Jemand sagte uns, das Problem habe wohl darin bestanden, dass wir keine Bündel Geldscheine dabei gehabt hätten. Deshalb haben wir kein Weideland bekommen."

Das Land geht an die Reichen

Átlátszó-Ermittlerin Gabi Horn wärmt sich in Erika Bajkor Tóths Küche auf. Die beiden kennen sich seit Jahren. In den Neunzigern gründete die Familie Tóth einen modernen Milchbauernhof. 2008 und 2014 half die Europäische Union, den Hof wettbewerbsfähig zu machen. Trotz neuer Maschinen und Ställe wurde der Pachtvertrag der Bauernfamilie nicht verlängert:

"Hier, das ist unser sechs Hektar großes Hofgelände", zeigt die Landwirtin aus Hortobágy ihren Bauernhof. "Wir sind umgeben von 170 Hektar Pachtland, dort haben wir früher unsere Kühe grasen lassen. Doch das wurde uns weggenommen, jetzt können wir unser Vieh nicht mehr auf die Weide treiben."

Früher hatte Erika Bajkor Tóth 500 Kühe. Heute sind es nur noch 300. Ohne Weideland muss sie teures Heu zufüttern - selbst im Sommer - denn die Kühe müssen nun das ganze Jahr im Stall stehen. Sie werde bedroht, sagt sie, man wolle sie zur Aufgabe des Hofes treiben:

"Wir hatten drei Gatter, hier und dann auf beiden Seiten des Hofgeländes, da drüben und dort hinten. Die Kühe konnten problemlos auf die Weide. Unser Hof war schon immer von Weideflächen umgeben. Das ist jetzt vorbei." Jetzt versucht sie, ihre angestammten Weiden vor Gericht zurückzubekommen. "Auch meine Familie wurde schrecklich von dieser Tragödie mitgenommen. Mein Vater wurde depressiv und starb kurze Zeit später."

Viele Landreform-Skandale endeten vor Gericht

Etliche Skandale rund um die ungarische Landreform landeten vor Gericht. Vor einem Budapester Justizgebäude treffen wir Katalin Rodics, sie arbeitet für Greenpeace Ungarn.

"Sehr viel Land ging an die Freunde von Viktor Orban - oder an Anhänger seiner Regierungspartei. Ungarn ist heute ein Land der Oligarchen."

Greenpeace-Kampagnenleiterin für Mittel- und Osteuropa Katalin Rodics und Journalistin Gabi Horn treffen sich mit Eva Acs vor einer wichtigen Gerichtsverhandlung. Eva Acs leitet den Biobauernhof Kishantos. Der Fall wird nicht nur hier in Budapest, sondern nunmehr auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt.

Heute werden auf den Riesenfeldern rings um Kishantos Chemikalien verwendet. Früher galt Kishantos europaweit als Vorzeige-Bio-Betrieb, exportierte in die Schweiz, Richtung Westeuropa, verkaufte auch in Ungarn gut. Doch die örtliche Kooperative verlor ihren Pachtvertrag. Aus politische Gründen, glaubt Eva Acs:

"Wir wurden hier von einer Gruppe von Sicherheitsleuten überfallen, auf unserem eigenen Hof. Die Regierung hat die geschickt. Und unser 452 Hektar großer Bio-Vorzeigebetrieb wurde zerstört an diesem schrecklichen Tag."

Zurück in Budapest. Gabi Horn zeigt dem euronews-Reporter das Átlátszó-Hauptquartier. Das Gebäude teilen sich mehrere Vereine, unlängst wurde es von Rechtsextremen angegriffen.

Die Journalistin erklärt uns die dreckigen Tricks, wie man in Ungarn "halblegal" an sehr viel Land kommt:

„Nun, es gibt doch ein gesetzliches Limit, wie viel Land eine Person kaufen kann, in Ungarn", meint der euronews-Reporter.

“Klar, es gibt ein Gesetz, in dem das geregelt ist", so Gabi Horn. "Doch das kann umgangen werden, wenn alle Familienmitglieder jeweils ein Stück Land erwerben. Und schauen wir uns die nächste Grafik an, hier sehen wir diverse Interessengruppen rund um die Oligarchen, die dank öffentlicher Aufträge reich wurden, wegen ihrer guten Beziehungen zur regierenden Fidesz-Partei oder zum Regierungschef selbst."

Gabi Horn und ihre Whistleblower-Kollegen haben bereits zahlreiche Auszeichnungen gewonnen. Die unbequeme Suche nach der Wahrheit geht weiter - auch auf schwierigem Terrain.

Journalist • Hans von der Brelie

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