Ausgangssperre: Jetzt kommen die Wildtiere

Ausgangssperre: Jetzt kommen die Wildtiere
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Von Andrea BüringVincent Coste
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Seitdem der Mensch zu Hause bleibt, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, trauen sich mehr und mehr Tiere in unsere Städte.

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Ist dies der Soundtrack zur Ausgangssperre?

In Frankreich, Italien und Spanien, wo die Menschen seit etwa zwei Wochen zu Hause bleiben müssen, liegt Frühling in der Luft. Ein Eindruck, der sich nicht nur beim Anblick der zarten Blütenknospen und Blätter aufdrängt, sondern auch wegen des Gesangs der Vögel.

Selten war er so laut.

Während es laut zwitschert, wagen sich mehr und mehr Wildtiere aus dem Unterholz in die Städte. Dafür fand Euronews-Journalist Vincent Coste einige Beweise. Während er kurz einkaufen war, entdeckte er einen Dachs auf dem Parkplatz unweit seines Hauses. Beide tauschten erstaunte Blicke, und dann flüchtete das Säugetier ins Gehölz.

Vincent Coste
Hierhin flüchtete der Dachs.Vincent Coste

Nachbarn erzählten, sie haben mitten am Tag eine Ricke (weibliches Reh) und ihr Junges im Garten gesehen. Eine Szene, die sie noch nie zuvor erlebt hätten, obwohl sie schon lange in ihrem Haus leben.

Ist die Ausgangssperre für Menschen wie ein roter Teppich für Wildtiere in unsere Städte? Das fragte Euronews die Biologin des Labors für Biometrie und Evolutionsbiologie (LBBE) der Universität Lyon, Blandine Doligez. Die Spezialistin für Vogelkunde erklärt, dass der menschliche Rückzug von den Straßen und Plätzen tatsächlich dazu beiträgt, dass Tiere ihre Gewohnheiten ändern.

"In Zeiten, in denen sich aus der Sicht von Tieren bestimmte Stör- oder Verschmutzungsfaktoren ändern, wie es derzeit der Fall ist, passen sich diese sich im Gegenzug an die neue Situation an," sagt sie.

Die Wissenschaftlerin verweist auf Studien, die belegen, dass Vögel in städtischen Gebieten wegen der großen Nähe von Menschen zu Nestern das Fortpflanzungsverhalten änderten.

Covid-19: Weniger menschliche Aktivitäten kommen der Umwelt zugute

Blandine Doligez fügt hinzu, dass es an Wochenenden normalerweise weniger Störfaktoren als unter der Woche gibt. "Deshalb singen Vögel samstags und sonntags lauter sowie länger und statten ihren Nestern mehr Besuche ab. Aber," so die Biologin, "nicht nur die Anwesenheit des Menschen ist für die Vögel ein Störfaktor, "das Gleiche gilt auch für Lärm, Chemikalien und bestimmte Lichtquellen."

Jean-Michel Gaillard, Direktor am nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung, ergänzt, "es besteht kein Zweifel, dass es eine tierische Reaktion auf diese Ausgangssperre gibt. Ganz einfach, weil der Raum, der früher vom Menschen und seinen Aktivitäten eingenommen wurde, frei geworden ist. Und dort ist nun Platz für Tiere. Diese empfinden die Anwesenheit von Menschen normalerweise als etwas Negatives und Bedrohliches und entfernen sich deshalb, um im Notfall eine größere Fluchtdistanz zu haben."

KTTV FOX 11 via AP

"Sobald sich die sogenannte "Landscape of fear" ändert - also alle Bedrohungen, die an einem bestimmten Ort existieren können - macht sich das Tier umgehend ein Bild davon. Die meisten Säugetierarten sind sehr gut in der Lage, sich an diese Veränderungen anzupassen. Dies wird als plastisches Verhalten bezeichnet. Und natürlich realisieren die Tiere sehr, sehr schnell, dass niemand in der Nähe ist und sie stören wird. Dann wagen sie sich weiter vor und erobern neue Räume."

Dauert die Ausgangssperre bis in den April, werden wir viele Rehe beobachten können. Denn das entspricht der Phase, in der die jungen Kitze selbstständig werden und erste Erkundungen machen.
Jean Michel Gaillard
Forschungsdirektor, CNRS

"Natürlich sind nicht alle Tiere gleich. Sie brauchen nicht die gleiche Fluchtdistanz. Es gibt Tiere, die sehr, sehr ängstlich sind. Andere hingegen fühlen sich in der Nähe von Menschen vollkommen wohl. Einige nutzen diese sogar aus. Wie die Füchse in Oxford. Sehr schnell wussten sie, wie sie dank der Mülltonnen neue Ressourcen erschließen konnten. Dasselbe gilt für Rehe, die regelmäßig in Gärten vordringen, das ist nichts Neues. Aber jetzt, wo keine Menschen mehr den Raum besetzen, kommen sie viel häufiger und in viel größerer Zahl. Sobald wir zur Normalität zurückkehren, wird sich das wieder umgehend ändern."

Forscher im Home Office

Viele Forscher erhoffen sich von dieser Situation neue Einblicke. Allerdings gibt Blandine Doligez zu bedenken: "Viele Kollegen bedauern es sehr, dass sie ihre Beobachtungen wegen der Ausgangssperre nicht fortsetzen können. Es handelt sich um ein einzigartiges Experiment von außergewöhnlichem Ausmaß, über ein ganzes Land oder sogar einen Kontinent hinweg. Daraus könnte man viele Schlüsse über die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Wildvogelpopulationen in städtischen Gebieten ziehen."

Den Hobby-Ornithologen sei gesagt: Vergessen Sie nicht, auf Ihren Balkonen und an Ihren Fenstern ein Fernglas bereit zu halten. Es könnte sich lohnen!

AP Photo/Jae C. Hong
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