König Leopold II.: Wer war Belgiens Monarch, dessen Statuen viele entfernen wollen?

"Mörder" steht an dieser Statue von König Leopold II. in Brüssel.
"Mörder" steht an dieser Statue von König Leopold II. in Brüssel. Copyright AP Photo/Olivier Matthys
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Von Luke Hurst
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Von 1865 bis 1909 war Leopold II König der Belgier. Dass im ganzen Land Statuen des Mannes stehen, der im Kongo Millionen Einheimische misshandeln ließ, finden viele heutzutage untragbar.

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Im Zuge der weltweiten Proteste gegen Rassismus nach dem Tod von George Floyd in den Vereinigten Staaten, fordern viele Aktivisten, dass sich die Länder sowohl ihrer Vergangenheit als auch den Problemen der Gegenwart stellen.

Die Stimmen, die die koloniale Vergangenheit der europäischen Länder thematisieren, werden immer lauter. In Großbritannien wurde in Bristol eine Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in einen Fluss geworfen und löste damit eine nationale Debatte über Denkmäler für Rassisten aus.

In Belgien ist eine ähnliche Debatte, die jahrelang im Hintergrund lief, plötzlich in den Mittelpunkt gerückt.

Dabei geht es um die vielen Statuen von König Leopold II. in belgischen Städte, sowie um die nach ihm benannten Straßen und Plätze.

Wer war Leopold II.?

Leopold II. war von 1865 bis 1909 König von Belgien - der am längsten regierende Monarch in der Geschichte des Landes. Heute ist er berüchtigt für seine Herrschaft über den Freistaat Kongo, in dem Schätzungen zufolge Millionen Kongolesen unter seinem Regime von Gewalt und Ausbeutung starben. Ziel Leopolds war es, den Reichtum des Landes zu seinem persönlichen Vorteil auszubeuten.

1885 gründete Leopold II. den Freistaat Kongo - die heutige Demokratische Republik Kongo - und übernahm die direkte Kontrolle über die Region. Er ließ Reichtümer, vor allem Kautschuk und Elfenbein exportieren und bediente sich eines brutalen Systems der Zwangsarbeit. Der Congo Reform Association zufolge, soll seine Herrschaft und deren unmittelbare Nachwirkungen zum Tod von bis zu 10 Millionen Menschen geführt. Seine Truppen waren für bösartige Strafen wie das Abschneiden der Hände für alles, was sie als Verbrechen betrachteten, bekannt.

Gewalt und Ausbeutung waren ein grundlegendes Charakteristikum aller kolonialen Systeme.
Gillian Mathys
Historikerin, Uni Gent

"Das System, das im Freistaat Kongo installiert wurde, war ein System, das auf Ausbeutung abzielte", sagt Gillian Mathys, eine Historikerin an der Universität Gent.

"Ein großer Teil des Geldes, das nicht nur Leopold II., sondern auch viele Unternehmen während des Kongo-Freihandelsstaates sammelte, ist immer noch in der Öffentlichkeit sichtbar.

Mathys verweist auf das Beispiel von Städten wie Ostende und Brüssel, wo viele Gebäude von Leopold II. in Auftrag gegeben und bezahlt wurden. Seine vielen Bauprojekte, die durch den Reichtum finanziert wurden, den er aus dem Kongo mitnahm, brachten ihm den Spitznamen "Baukönig" ein.

Er besuchte den Kongo nie, sondern regierte ihn von Belgien aus, bis er ihn unter dem Druck der Reformer an den belgischen Staat verkaufte. Von da an war es eine Kolonie des belgischen Staates, bekannt als Belgisch-Kongo. Als am längsten regierender Monarch wurden ihm zu Ehren in Belgien eine Reihe von Statuen errichtet.

Olivier Matthys/AP
Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in Brüssel, 7. Juni 2020.Olivier Matthys/AP

Wechselnde Erzählung

"Wenn wir uns die Archive, die historische Analyse der kolonialen Vergangenheit Belgiens ansehen, sehen wir eine Verschiebung: Zuerst wurde er als Held gesehen, dann gab es immer mehr Kritik, und es gab eine sehr klare Trennung zwischen dem von Leopold II. geführten Freistaat Kongo und dem belgischen Kongo in den Händen des belgischen Staates", sagt Emma-Lee Amponsah, eine Mitbegründerin der belgisch-niederländischen Organisation Black Speaks Back.

Doch diese "klare Trennung" sei problematisch, so Amponsah, denn sie legitimiere die Vorstellung, dass der belgische Kongo "viel besser" sei als der Kongo-Freistaat. "Wegen dieser Idee gab es nicht viel Raum, um den Kolonialismus insgesamt zu verurteilen", meint sie.

Mathys erklärte, dass "ein Großteil der Gewalt des Freistaats Kongo in die Zeit des kolonialen Belgisch-Kongo übergegangen ist".

Menschen kämpften jetzt dafür, die Statuen von Leopold II. zu entfernen, und zwar nicht nur wegen seiner eigenen Handlungen, sondern auch, weil er "ein Symbol der kolonialen Vergangenheit" ist.

"Die Statuen stellen die Geschichte Belgiens sehr deutlich dar", sagt sie. "Sie repräsentieren, wer als Held wahrgenommen werden sollte, wer für die kollektiven Erinnerungen der Vergangenheit verantwortlich ist... das ist das Greifbarste, was man anfechten kann. Deshalb sprechen wir über seine Statuen".

Deonstranten in Gent beschmieren eine Büste Leopolds II.

Ein wahrer Visionär seiner Zeit?

Nicht alle Belgier sind sich über die Entfernung der Statuen einig. Mireille-Tsheusi Robert, eine belgische Autorin und Präsidentin von BAMKO, einer Anti-Rassismus-NGO, sagte gegenüber Euronews, dass es Gruppen ehemaliger Kolonisten gibt, Familien, die vom Kolonialismus profitiert haben, "die mit der Arbeit von Leopold II. zufrieden sind und wollen, dass die Statuen von Leopold II. erhalten bleiben".

Die politische Klasse sei in der Frage, sagt sie, gespalten, wobei die rechten Parteien weniger geneigt seien, der Entfernung der Statuen zuzustimmen.

Im Jahr 2010 sagte der belgische Politiker Louis Michel gegenüber einer Zeitschrift: "Leopold II. war ein wahrer Visionär für seine Zeit, ein Held".

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Louis Michel ist der Vater des ehemaligen belgischen Premierministers und derzeitigen Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel.

Emma-Lee Amponsah sagte, ihre Organisation erhalte oft Botschaften von Menschen, die sagen: "Die Statuen sollen bleiben, das ist Geschichte".

"Aber das ist definitiv nicht die populärste Meinung", fügt sie hinzu.

Die Belgier lieben die Kultur der Kompromisse.
Mireille-Tsheusi Robert
Autorin und Präsidentin der Anti-Rassismus-NGO BAMKO

Werden die Demonstranten die Dinge selbst in die Hand nehmen, wie es in Bristol der Fall war? Eine Online-Petition zur Entfernung der Statuen Leopolds II. nimmt an Zuspruch zu. Demonstranten in Gent haben letzte Woche eine Büste Leopolds II. verunstaltet und die letzten Worte von George Floyd darauf gekritzelt: "Bitte, ich kann nicht atmen".

"Wissen Sie, die Belgier sind sehr wählerisch", sagt Mireille-Tsheusi Robert.

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"Sie lieben die Kultur der Kompromisse. Und deshalb weiß ich nicht, ob sie [die Politiker] dieses Mal tatsächlich reagieren werden, aber wenn sie nicht reagieren, ist es sehr gut möglich, dass die Bevölkerung selbst handelt."

Mit der Zerstörung der Edward-Colston-Statue in Großbritannien an diesem Wochenende wird deutlich, dass Bewegungen zur Aufarbeitung der Vergangenheit innerhalb anderer ehemaliger Kolonialländer wichtiger werden. Gillian Mathys sagte, es sei wichtig, das Regime von Leopold II. im Kongo nicht als etwas Außergewöhnliches zu betrachten.

"Die Briten scheinen zu denken, dass ihr Kolonialismus irgendwie wohlwollender war, ich glaube nicht, dass das wirklich wahr ist. Alle Kolonialreiche waren von Natur aus gewalttätig und zielten auf Ausbeutung ab. Es ist wichtig, das Regime von Leopold II. nicht als anders darzustellen. Gewalt und Ausbeutung waren ein grundlegendes Charakteristikum aller kolonialen Systeme".

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Passanten fotografieren zerschmetterte Scheiben eines Gucci-Ladens in Brüssel nach Black Live Matter Protesten und Ausschreitungen, 7. Juni 2020.Olivier Matthys/AP
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