Wird der Krieg in der Ukraine mit Kadyrows Kämpfern noch brutaler?

Ramzan Kadyrow
Ramzan Kadyrow Copyright  Screenshot via EBU
Von Euronews mit AP, AFP
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Seinen Kämpfern werden Morde und Folter vorgeworfen. Auf seinem Telegram-Kanal verbreitet Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow seine Sicht der Dinge.

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Auf seinem Telegram-Kanal teilt der Präsident von Tschetschenien Ramsan Kadyrow Videos, die seine Kämpfer beim Einsatz in der Ukraine zeigen. In den Aufnahmen - die die Nachrichtenagentur AP am 18. März zur Verfügung stellt - schießen die Männer in die Luft und wild um sich - und dann holen die Militärs oder Paramilitärs Frauen und Kinder aus einem Keller. Dazu schreibt der Tschetschenen-Chef auf Russisch: "Mariupol wird bald von Banderiten und Teufelsanbetern gereinigt." Mit Banderiten (engl: "banderites") sind rechtsextreme Anhänger des NS-Kollobarateurs Stepan Banderas (1909-1959) gemeint.

Laut Kadyrow, der sich selbst auch als "Putins Fußsoldat" bezeichnet, waren seine tschetschenischen Kämpfer an vorderster Front in Mariupol im Einsatz. Die Gefechte in der seit Tagen eingekesselten Hafenstadt dauerten laut dem Bürgermeister von Mariupol auch an diesem Samstag an.

"Hätte Kiew längst eingenommen"

Dabei hatte Tschetscheniens Präsident in seinem Weihnachtsinterview Ende 2021 geprahlt, dass er schon nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 auch Kiew längst eingenommen hätte. Seit 2014 steht Ramsan Kadyrow auch persönlich auf der Sanktionsliste der EU.

Inzwischen sagt das Oberhaupt von Tschetschenien, seine Einheiten hätten die ukrainische Hauptstadt schnell erobern können, doch es gelte, menschliche Verluste zu vermeiden. In seinen Worten klingt das auf Telegram so: "Liebes ukrainisches Volk! Kommt raus! Sagt den Teufeln, die das nicht verstehen, sie sollen verstehen und ihre Waffen niederlegen oder die Ukraine verlassen. Die Einnahme von Kiew, Charkiw und anderen Städten ist jetzt ohne Probleme möglich. Es gibt eine Aufgabe, eine Aufgabe, die ohne Verluste erfüllt werden muss. Jedes Menschenleben ist unbezahlbar. Deshalb werden besondere Maßnahmen ergriffen, die sich genau gegen die militärischen Operationen dieser Teufel richten."

Dabei präsentiert sich Kadyrow gern als harter Kerl, ihm und seinen Getreuen werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, einige nennen den gläubigen Muslim - der nach dem Tod seines Vaters in Grosny an die Macht kam, als er das Mindestalter von 30 Jahren erreichte - "Putins Bluthund".

War Kadyrow selbst in der Ukraine?

Ramsan Kadyrow - ein enger Verbündeter von Russlands Präsident Wladimir Putin - hatte nach dem Einmarsch Russlands auch gesagt, er sei selbst in die Ukraine gereist. Doch auf den Videos ist der 45-Jährige nicht zu sehen. Und die ukrainische Internet-Plattform "Ukrajinska Prawda" schreibt, sie könne mithilfe seiner Handy-Daten beweisen, dass sich Kadyrow in Grosny und nicht in Kiew aufgehalten habe.

AP Screenshot von Kayrows Telegram Video
Tschetschenische Kämpfer in der UkraineAP Screenshot von Kayrows Telegram Video

Neben den offiziellen Truppen aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien unterstehen dem Oberhaupt die sogenannten Kadyrowzy - eine paramilitärische Einheit von etwa 80.000 Mann. Wieviele genau in die Ukraine geschickt wurden, ist nicht unabhängig nachprüfbar.

Die tschetschenische Sondereinheit gab es schon unter Ramsan Kadyrows Vater Achmat, der sich im ersten Tschetschenien-Krieg ab 1999 auf die Seite Russlands gegen die Separatisten gestellt hatte. Der Vater wurde 2004 ermordet.

Seit der Machtübernahme des Sohnes 2007 werden die Kadyrowzy von Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Morde von politischen Gegnern sowie für Folter verantwortlich gemacht.

Tschetschenen gegen Tschetschenen in der Ukraine

Schon seit 2014 sollen tschetschenische Kämpfer im Donbas im Einsatz gewesen sein. Mittlerweile gibt es Berichte, dass im Osten der Ukraine Tschetschenen gegen Tschetschenen kämpfen, weil sich ausgewanderte Tschetschenen der ukrainischen Seite angeschlossen haben.

Einer der Freiwilligen, die auf der Seite der Ukraine kämpfen, sagt im Interview mit New Lines Magazine über die Tschetschenen auf der Gegenseite: "Das sind Verräter. Kein echter Tschetschene könnte jemals für Russland kämpfen, für dieses Land, das uns 300 Jahre lang ermordet hat. Die meisten [der Kadyrowsky] werden geschlagen, ihre Familien bedroht, damit sie dienen müssen. Russland zu dienen ist gegen alles, was in der nokhchalla [dem traditionellen tschetschenischen Verhaltenskodex] steht".

"Kadyrow ist ein Psychopath"

"Kadyrow ist ein Psychopath, der politische Gefangene persönlich foltert", erklärte der Russland-Experte Michael Weiss im Interview mit Yahoo News. Weiss und andere sind der Meinung, dass die offensichtliche Präsenz von Kadyrows Soldaten in der Ukraine ein Zeichen für eine neue Phase der Kämpfe sein könnte. In dieser neuen Phase könnten die Regeln der konventionellen Kriegsführung über Bord geworfen werden.

Laut dem Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, Oleksij Danilow, hatten tschetschenische Söldner einen Anschlagsversuch auf Präsident Wolodymyr Selenskyj gepant. Danilow erklärte im ukrainischen Fernsehen: "Sie sind gescheitert, wir haben sie eliminiert."

Kadyrov Telegram Kanal via EBU
Kadyrows Truppen in Grosny am 26.02.2022Kadyrov Telegram Kanal via EBU

Psychologische Kriegsführung: die Angst vor den Tschetschenen

Laut dem Kaukasus- und Russland-Experten Jean-François Ratelle gehört der Einsatz der als brutal geltenden Tschetschenen zur psychologischen Kriegsführung. Er sagt in "Foreign Policy": "Bei der [psychologischen Operation] geht es darum, die Menschen glauben zu machen, dass das, was in Tschetschenien passiert ist, auch in der Ukraine passieren wird - dass sie in der Stadt randalieren, plündern, vergewaltigen und töten werden". Dass das wirklich in der Ukraine geschehen wird, glaubt Ratelle nicht.

Der Professor ging zu Beginn des Krieges davon aus, dass das tschetschenische Kontingent trotz des ganzen Spektakels weitaus weniger wichtig sein könnte, als der Kreml weismachen wolle.

Wenn sich der Krieg jedoch in die Länge zieht und es um die Städte geht, könnten sich die Dinge ändern. "Die Tschetschenen sind dafür bekannt, dass sie bei der Aufstandsbekämpfung äußerst brutal vorgehen und sich nicht an das Völkerrecht halten", sagte Ratelle. "Sogar noch mehr als der russische Auftragnehmer."

Ramsan Kadyrow widersprach auf seinem Telegram-Kanal Mitte März den ukrainischen Meldungen von getöteten tschetschenischen Soldaten: "Manche sagen, dass viele unserer Kämpfer getötet wurden, aber ich erkläre offiziell, dass wir an diesem Tag, in genau diesem Moment, keinen einzigen Verlust, keinen einzigen Verwundeten, keinen einzigen Kratzer haben. Nicht eine einzige Person hat sich erkältet."

Weitere Quellen • Foreign Policy, New Lines Mag

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