Verschleppte Kira (12), tote Katya (11) - Mariupol in der Ukraine ist "jetzt ein Massengrab"

Ausgebrannter Bus in einem Vorort von Mariupol in der Ukraine
Ausgebrannter Bus in einem Vorort von Mariupol in der Ukraine Copyright Alexei Alexandrov/Copyright 2022 The Associated Press. All rights reserved.
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Von Kirsten RipperEuronews mit AFP, AP, Twitter
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Laut ukrainischen Behörden sind etwa 5.000 Menschen bei den Angriffen auf Mariupol getötet worden. Die Geschichten hinter den Zahlen sind herzzerreißend.

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Laut ukrainischen Behörden sind in Mariupol mehr als 5.000 Menschen durch die Angriffe der russischen Truppen getötet worden. Die Schicksale vieler Menschen - besonders der Kinder - sind herzzerreißend.

Unter den Toten von Mariupol ist auch der Vater von drei Kindern und ehemalige Kapitän der Wasserball-Nationalmannschaft der Ukraine Yevhen Obedinsky. Wie sein Vater in ukrainischen Medien berichtet, wurde sein Sohn am 17. März getötet und die Enkeltochter Kira nach Donezk verschleppt.

Laut Großvater Oleksandr Obedinsky wird seine 12 Jahre alte Enkelin Kira in einem Krankenhaus in Donezk behandelt. Der ehemalige Wasserball-Nationaltrainer Oleksandr Obedinsky hat per Skype mit Kira gesprochen. Der Opa sagt: "Sie vermisst uns sehr und möchte uns sehen. Und wir hoffen wirklich, dass sie zurückkommt und wir zusammen sein werden, wir lieben uns sehr. Zu Beginn des Krieges lebte sie bei uns, dann holte ihr Vater sie nur drei oder vier Tage vor unserer Abreise weg und sie lebte bei ihm in Mariupol. Als mein Sohn starb, wurde sie nach Donezk gebracht." Offenbar wurde Kira zusammen mit den Menschen, die im selben Schutzraum in Mariupol waren, in das von pro-russischen Separatisten kontrollierte Donezk verschleppt.

Kira ist jetzt Vollwaise, denn ihre Mutter ist gestorben, als die Jugendliche ein Baby war.

Trauer um Sportgymnastin Katya Dyachenko (11)

Schon am 10. März wurde Katya (Kateryna) Dyachenko bei einem Bombenangriff auf Mariupol getötet. Sie war ein international bekanntes Talent in rhythmischer Sportgymnastik. Ein Foto des Mädchens zusammen mit ihrer Trainerin geht um die Welt und hat bei vielen Entsetzen und Trauer ausgelöst.

Auch Katyas Vater und der Bruder kamen um, die Mutter überlebte.

Katya Dyachenkos Trainerin Anastasia Meshchanenkova schrieb auf Instagram: "Auf das Haus, in dem ihre Familie lebte, wurde eine Bombe abgeworfen, und die Decken der Stockwerke 9 bis 6 stürzten ein. Vor den Augen ihrer Mutter stürzte eine Mauer auf Katya. Ich kann nicht zur Vernunft kommen, ich kann nicht begreifen, dass dies kein Traum ist, kein Fehler, und dass es unumkehrbar ist. Kann mir jemand erklären, wie ich damit leben kann?Bei der letzten Trainingseinheit haben wir ein neues Programm mit dem Reifen aufgestellt - wir haben uns auf den Deryugin Cup vorbereitet. Das Letzte, was Katya zu mir sagte, war: "Danke für das Training..." Wir wollten uns am nächsten Tag wiedersehen, beim Training... Ich kann nicht glauben, dass das passiert ist. Warum ist meine Katya gestorben, das reinste und aufrichtigste Kind, ein Kind, das sein Leben noch vor sich hatte!!! Und es wurde weggenommen!!! Ein Loch in ihrem Herzen, Schmerz, Hass, Wut, das Gefühl eines unwiederbringlichen Verlustes... Sie haben Hunderten von Kindern das Leben genommen, und sie töten weiter..."

Mariupol hat für Russland eine strategische Bedeutung, weil die Stadt in der Nähe des Donbas liegt.

"Horror" im Theater von Mariupol

Mehr als zwei Wochen nach dem Angriff auf das Theater von Mariupol berichten Überlebende im Gespräch mit einer AFP-Korrespondentin vom "Horror", den sie erlebt haben. Als die russische Armee am 16. März das Theater bombardierte, stürzte das Gebäude auf mehrere hundert Menschen, die darin Zuflucht gesucht hatten.

Viktoria Dubovytskij befand sich im Inneren des Theaters der belagerten Stadt Mariupol. Sie ist inzwischen in Lwiw und berichtet, was passiert ist.

Um dem Hunger, der Kälte und vor allem den Bombenangriffen zu entgehen, hatte sich Viktoria am 5. März in das dramatische Theater geflüchtet, da sie dachte, dass sie von dort eher einen Platz in einem Evakuierungskonvoi für ihre zweijährige Tochter Anastassia und ihren sechsjährigen Sohn Artiom finden würde.

Als die Bombe einschlug, wurde Viktoria gegen eine Wand geschleudert und im Gesicht verletzt, sie hörte sofort ihren Sohn schreien, nicht aber ihre Tochter. "Das war der beängstigendste Moment, wenn du denkst, dass sie nicht mehr da ist. Du hoffst, dass sie ohne Arme oder Beine ist, aber dass sie lebt", berichtet die 24-jährige Mutter mit ihrer unverletzten Tochter auf dem Arm in einem Schutzraum in Lwiw im Westen der Ukraine.

Auf Satellitenbildern ist zu sehen, dass das Wort "deti" (russisch für "Kinder") in großen weißen Buchstaben vor und hinter dem Theater auf den Asphalt geschrieben stand.

Nach Angaben der Behörden befanden sich zum Zeitpunkt des Anschlags etwa 1.000 Menschen im Inneren des Theaters, hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Zahl der Todesopfer ist weiterhin unklar, doch laut der Stadtverwaltung, die sich auf Augenzeugen berief, kamen bei der Bombardierung 300 Menschen ums Leben.

Russland behauptet, dass sich Soldaten des nationalistischen Asow-Bataillons in dem Gebäude befanden. Doch Zeuginnen versicherten der AFP, dass zum Zeitpunkt des Angriffs keine Soldaten in dem Theater waren.

"Militärs kamen einmal am Tag, um zu verkünden, ob es einen humanitären Korridor geben würde, und gingen dann sofort wieder weg", berichtet Viktoria. Nur einmal hätten vier ukrainische Soldaten nach einem Bombenangriff in der Nähe die Nacht vor Ort verbracht.

Als Viktoria Mariupol verließ, wurde ihr das Ausmaß der Zerstörung bewusst. Leichen lagen inmitten der Trümmer, die Stellen einiger Toter waren durch kleine Holzkreuze markiert.

Schon am 9. März war die Geburtsklinik von Mariupol von einem Luftschlag getroffen worden. Dabei wurden mindestens 17 Menschen verletzt.

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Mariupol ist jetzt "ein Massengrab"

Anfang April hielten sich nach ukrainischen Angaben noch etwa 160.000 Menschen in Mariupol auf. Die vor allem russischsprachige Stadt am Asowschen Meer zählte vor dem Krieg rund 440.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Viktoria Dubovytskij sagt, dass die Menschen ihre toten Angehörigen einfach beerdigt haben, wo sie konnten. "Manchmal dort, wo vorher Rosen geblüht haben. Jetzt ist die Stadt ein Massengrab".

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