Nicht nur Fußball und WM 2022: Was Sie über Katar wissen sollten

Skyline von Doha in Katar im November 2022
Skyline von Doha in Katar im November 2022 Copyright Lee Jin-man/Copyright 2022 The AP. All rights reserved
Von Joshua AskewOlivier Peguy mit AFP, AP
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Wie ergeht es Arbeitsmigranten und -migrantinnen in #Katar, wie steht es um die Menschenrechte, wie umweltschädlich ist die WM. Ein Blick auf das Softpower-Emirat über den Sport hinaus.

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Zur Fußballweltmeisterschaft in Katar werfen wir einen Blick auf dieses Emirat im Nahen Osten - über den Sport hinaus: Geschichte, Wirtschaft, politische Macht und Kontroversen rund um die Weltmeisterschaft.

Katar im Steckbrief

- Katar ist ein Land auf der Arabischen Halbinsel. Seine Fläche beträgt 11.500 km².

- Es hat 2,6 Millionen Einwohner, von denen drei Viertel in der Hauptstadt Doha leben. Die Katarer machen nur 10-15% der Bevölkerung aus. Der Rest besteht aus Einwanderern.

- Der Islam ist die Hauptreligion mit dem Titel Staatsreligion. Wie in Saudi-Arabien ist der Wahabismus die vorherrschende Glaubensrichtung des Islam, der allgemein als fundamentaler und konservativer als andere angesehen wird.

- Katar ist eine ehemalige britische Kolonie, die 1971 ihre Unabhängigkeit erlangte.

- Die Wirtschaft basiert hauptsächlich auf Gas. Das Land verfügt über die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt.

Bevölkerung: Einige Katarer:innen, viele Einwanderte, "struktureller Rassismus"

Fast 90 % der Bevölkerung sind eingewandert - hauptsächlich aus Südasien, aber auch aus Ostafrika.

Die meisten dieser Arbeitsmigranten und -migrantinnen sind alleinstehende Männer, die in Branchen wie dem Bau, dem Hotel- und Gaststättengewerbe und dem Sicherheitssektor arbeiten.

Frauen, die nach Katar auswandern, kommen häufig für Jobs im Haushalt und als Kinderbetreuerinnen.

Pete Pattisson ist ein britischer Journalist, der über die Behandlung von Niedriglohnarbeitern in dem Land recherchiert hat. "Katar ist eine sehr hierarchische, stratifizierte Gesellschaft", erklärte er Euronews. "Menschen aus Südasien und Ostafrika stehen ganz unten auf der Skala. Diese Menschen leben im Wesentlichen ein Leben parallel zu dem aller anderen in Katar, insbesondere der aus dem Westen, die gemeinhin als 'Expats' bezeichnet werden."

Nariman El-Mofty/Copyright 2022 The AP. All rights reserved.
Arbeitsmigranten aus Pakistan in KatarNariman El-Mofty/Copyright 2022 The AP. All rights reserved.

In einem Bericht aus dem Jahr 2020 hatten die Vereinten Nationen "ernsthafte Bedenken hinsichtlich von strukturellem Rassismus und der Diskriminierung von Nicht-Staatsbürgern" geäußert und festgestellt, dass in dem Land "de facto ein Kastensystem" existiert.

Geschichte: Von der britischen Vorherrschaft zur Macht der al-Thanis

Bevor der kleine Golfstaat 1971 seine Unabhängigkeit erlangte, war er ein Protektorat Großbritanniens, wobei London seine auswärtigen Angelegenheiten kontrollierte und für seine Sicherheit sorgte.

Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Kolonien sagt Allen James Fromherz, Autor von "Qatar: Rise to Power and Influence", dass "es keinen wirklichen Druck [seitens der katarischen Führung] gab, die Briten zum Abzug zu bewegen... [sie] genossen militärischen Schutz".

Die Unabhängigkeit des Emirats wurde am 3. September 1971 verkündet. An seiner Spitze stand der damals 51-jährige Ahmad bin Ali al-Thani. Er ist ein Mitglied der al-Thani-Dynastie, die seit dem 19. Jahrhundert in Katar herrscht.

Sein Cousin Khalifa bin Hamad al-Thani stürzte ihn einige Monate später, im Februar 1972, und nahm seinen Platz ein. Er regierte etwa 20 Jahre lang, bevor er am 27. Juni 1995 von seinem Sohn Hamad ben Khalifa al-Thani abgesetzt wurde.

Hamad regierte (und modernisierte) das Land zwei Jahrzehnte lang, bevor er 2013 zugunsten seines Sohnes Tamim abdankte. Scheich Tamim bin Hamad al-Thani ist heute 42 Jahre alt.

Vyacheslav Prokofyev/Sputnik
Sheikh Tamim bin Hamad Al ThaniVyacheslav Prokofyev/Sputnik

Der Emir von Katar ernennt persönlich die Minister - in der Regel Mitglieder seiner Familie - und ein Drittel des Schura-Rates, eines gesetzgebenden Rates, während die anderen gewählt werden.

Obwohl viele Konsultationen hinter verschlossenen Türen stattfinden, liegt die Macht weitgehend in den Händen des Emirs, der letztlich die Kontrolle über politische Entscheidungen, die Ausarbeitung von Gesetzen und das Justizsystem hat.

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Politische Parteien sind verboten.

"Das Problem [in Katar]", erklärt Rothna Begum, Forscherin bei Human Rights Watch, "ist, dass ihre Gesetze die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit einschränken, was es wirklich schwierig für jeden macht, der über Frauenrechte oder etwas Ähnliches arbeiten will".

Freedom House, eine NGO, die die politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten überwacht, stuft Katar als "unfrei" ein.

Petrodollar und Soft Power

Gemessen am Pro-Kopf-BIP ist Katar das drittreichste Land der Welt.

Dieser Reichtum ist größtenteils auf die riesigen Öl- und Gasreserven zurückzuführen.

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Katar ist weltweit führend auf dem Markt für verflüssigtes Erdgas. Seine wirtschaftliche Position wurde durch den Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland (einen anderen großen Gasproduzenten) gestärkt. Dies betonte Allen James Fromherz.

AP/Copyright 2005 The AP. All rights reserved
LNG-Schiff vor KatarAP/Copyright 2005 The AP. All rights reserved

"Zusammen mit den USA ist Katar einer der größten Lieferanten der Welt und stellt eine Alternative zu Russland dar", sagte er Euronews. "Es hat sich strategisch gegenüber Europa positioniert, das dafür sorgen muss, dass Gas und Öl weiterhin fließen".

Die Macht Katars geht jedoch über diese rein wirtschaftliche Dimension hinaus.

Das Emirat hat sich durch "seinen" Fernsehsender Al Jazeera, der 1996 startete, einen Namen in der Welt der internationalen Medien gemacht.

Kamran Jebreili/Copyright 2017 The AP. All rights reserved.
Der TV-Sender Al-Jazeera sendet auch auf EnglischKamran Jebreili/Copyright 2017 The AP. All rights reserved.

"Katar hat ein enormes Gewicht in Sachen Soft Power, mehr als jede andere Nation in der gesamten Region", sagt Allen James Fromherz.

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Im Gegensatz zur "hard power", bei der man Gewalt anwendet, um seine Ziele zu erreichen, ist "soft power" die Fähigkeit, andere durch Kultur und Werte zu beeinflussen.

Die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft ist ein Teil dieser Soft Power. Als das Emirat den Zuschlag für die Ausrichtung des Turniers erhielt, wurde es zum ersten Land im Nahen Osten, das dieses Ereignis ausrichten durfte.

"Katar versucht, sich der Welt als ernsthafter internationaler Akteur zu präsentieren", erklärt Rothna Begum von Human Rights Watch.

"Menschliche Tragödien": Weltmeisterschaft und Kontroversen

Der Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2022 wird als große Chance für das Land gesehen. Doch dieses weltweite Rampenlicht hat nicht nur positive Aspekte.

Laut dem investigativen Journalisten Pete Pattisson wurden rund 30.000 Arbeiter nach Katar gebracht, um die Stadien und die Infrastruktur für die Weltmeisterschaft zu bauen. Seiner Meinung nach war die Lage der Emigranten in Katar bereits vor der Vergabe des Wettbewerbs katastrophal.

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"Die Weltmeisterschaft hat die Lage nur noch verschlimmert, da sie mehr Menschen anfällig für Missbrauch gemacht hat", kommentiert er.

Niedrige Löhne, gefährliche Arbeitsbedingungen, Zwangsarbeit, Passbeschlagnahmungen sowie eine große Anzahl unerklärlicher Todesfälle wurden von Menschenrechtsorganisationen und Journalisten in Katar umfassend dokumentiert, was Pete Pattisson als die "menschliche Tragödie" hinter der WM bezeichnete.

Hassan Ammar/Copyright 2019 The AP. All rights reserved.
Arbeiter vor dem Lusail-Stadion in Katar 2019Hassan Ammar/Copyright 2019 The AP. All rights reserved.

An der Basis all dessen, so erklärt Pete Pattisson, steht das Kafala-System. Dabei handelt es sich um eine Form von Sponsoring, die legal ist und es Arbeitnehmern verbietet, ohne die Erlaubnis ihres Arbeitgebers den Arbeitsplatz zu wechseln.

"Wenn Sie den Arbeitsplatz nicht wechseln können, dann gibt es für den Arbeitgeber keinen Anreiz, sich um Sie zu kümmern", sagt er. "Sie haben eine kontrollierte Arbeitskraft".

Bis vor Kurzem gab es in Katar keinen Mindestlohn.

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Als Reaktion auf diese Forderungen haben die katarischen Behörden das Kafala-System abgeschafft und einen Mindestlohn (umgerechnet 1,15 Euro pro Stunde) eingeführt, obwohl Kritiker sagen, dass die Regeln nicht durchgesetzt werden.

Die WM und die Umwelt

Die Organisatoren haben versprochen, die WM 2022 zu einer CO2-neutralen Veranstaltung zu machen, aber es sieht so aus, als würde das Turnier das Klima viel stärker schädigen als erwartet.

"Wir haben uns verpflichtet, eine vollständig klimaneutrale Fußballweltmeisterschaft zu gewährleisten. Wir werden dies erreichen, indem wir alle mit dem Turnier verbundenen Treibhausgasemissionen messen, reduzieren und ausgleichen", versprach Hassan Al-Thawadi, der Generalsekretär des WM-Organisationskomitees.

Diese Verpflichtung ist jedoch kaum überzeugend und einige Prominente haben angekündigt, die Weltmeisterschaft aufgrund ihrer ökologischen und menschlichen Bilanz boykottieren zu wollen. Der ehemalige Star von Manchester United Eric Cantona prangerte einen "ökologischen Irrsinn mit all diesen klimatisierten Stadien" sowie einen "menschlichen Horror" an, während mehrere französische Großstädte auf die Installation von Public Viewing der WM-Spiele verzichteten.

Das Versprechen der CO2-Neutralität ist "Augenwischerei", meint Julien Jreissati, Programmdirektor von Greenpeace im Nahen Osten. Es "ist keine Antwort auf die Klimadringlichkeit und kann als Greenwashing/Sportswashing angesehen werden", so Jissari.

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Laut einem von der Fifa in Auftrag gegebenen Bericht wird das Turnier voraussichtlich 3,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent verursachen, verglichen mit 2,1 Millionen Tonnen bei der vorherigen Austragung in Russland 2018. Die überwiegende Mehrheit (95%) stammt aus indirekten Emissionen, die vor allem mit dem Transport, dem Bau der Infrastruktur und dem Wohnungsbau zusammenhängen.

LGBTQ in Katar

Auch wie es Mitgliedern der LGBT+-Community während der WM in Katar ergeht, wird in diesem konservativen muslimischen Staat, in dem gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen gesetzlich verboten sind, unter die Lupe genommen.

"Während der Weltmeisterschaft werden hier im Land viele Dinge passieren. Lassen Sie uns über Homosexuelle sprechen (...). Das Wichtigste ist, dass alle akzeptieren, dass sie hierher kommen, aber sie müssen unsere Regeln akzeptieren", sagte der ehemalige katarische Nationalspieler und WM-Werbebeauftragte Khalid Salman kürzlich in einem Interview mit dem ZDF. Homosexualität "ist 'haram' ('unerlaubt', Anm. d. Red.), weil es ein geistiger Schaden ist", fügte der 60-Jährige hinzu, bevor er von einem Pressesprecher unterbrochen wurde.

Er habe dann "bedauert", dass seine Äußerung "aus dem Zusammenhang gerissen" worden sei, aber gemeint, dass sich die konservative Kultur in Katar "für den Wettbewerb nicht ändern" werde.

Katar versichert, dass alle Fans während des Wettbewerbs "ohne Diskriminierung" willkommen geheißen werden.

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Der Weltfußballverband Fifa bekräftigt seinerseits, dass Regenbogenflaggen, die Symbole der LGBT+-Gemeinschaft, in den Stadien erlaubt sind.

Doha prangert "Verleumdungen" an

Einen Monat vor Beginn des Turniers geißelte der Emir von Katar eine "beispiellose" Kampagne gegen die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft.

In einer Rede vor dem Legislativrat in Doha am 25. Oktober brachte er öffentlich und unmissverständlich seinen Unmut über die Kritik zum Ausdruck und prangerte "Verleumdungen" an.

"Seit uns die Ehre zuteil wurde, die Weltmeisterschaft auszurichten, ist Katar Ziel einer beispiellosen Kampagne geworden, die kein anderes Gastgeberland erlebt hat", sagte er.

"Anfangs haben wir [die Themen der Kritik] in gutem Glauben behandelt, und wir haben sogar einige Kritikpunkte als positiv und hilfreich angesehen, die uns dabei geholfen haben, Aspekte zu entwickeln, die entwickelt werden mussten", räumte der Emir ein.

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"Aber es wurde uns schnell klar, dass die Kampagne anhält, sich ausweitet, dass es Verleumdungen und Doppelstandards gibt und ein Niveau der Verbissenheit erreicht, das viele Menschen dazu gebracht hat, sich leider nach den wahren Gründen und Motivationen dieser Kampagne zu fragen", kritisierte er.

Fifa-Chef Gianni Infantino verteidigte Katar und wiederholte, dass die Weltmeisterschaft "die beste aller Zeiten sein wird, auf und neben dem Spielfeld".

Die WM dauert noch bis Mitte Dezember.

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