Russland hält "Wahlen" in den besetzten ukrainischen Gebieten ab - trotz Kriegsrecht

Vorgezogene Wahlen in den von Russland besetzten ukrainischen Regionen begannen Ende August
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Von Euronews
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Russisch

Trotz des Kriegsrechts, das in vier annektierten Regionen der Ukraine verhängt wurde, hält Russland "Wahlen" zu lokalen Versammlungen ab. Kiew betrachtet die aktive Teilnahme an diesen Wahlen als Verrat. Die EU und die USA bezeichnen das Vorgehen als "eine weitere grobe Verletzung des Völkerrechts".

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Am 20. Oktober 2022 verhängte der russische Präsident Wladimir Putin das Kriegsrecht in den vier von Rusland besetzten ukrainischen Gebieten das Kriegsrecht.

Im Mai dieses Jahres unterzeichnete Putin ein Gesetz, dass die Abhaltung von Wahlen in Gebieten ermöglicht, in denen das Kriegsrecht gilt. Zuvor waren nach russischem Recht Wahlkämpfe und Abstimmungen in solchen Gebieten verboten.

Schon eine Woche vor dem einheitlichen russischen Wahltag konnte ab dem 2. September in den Regionen Luhansk und Cherson gewählt werden. In den Gebieten Donezk und Saporischschja öffneten die Wahllokale bereits am 31. August ihre Türen. Die russischen Behörden erklärten, dass die vorzeitige Stimmabgabe für Wähler:innen "in schwer zugänglichen Gebieten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie" organisiert wurde.

"Wahlen" mit Besonderheiten

Die vom Kreml in den besetzten Gebieten durchgeführten "Wahlen" weisen eine Reihe von Besonderheiten auf.

Insbesondere wurde vom ersten bis zum vierten September in extraterritorialen Wahllokalen, d.h. außerhalb der annektierten Gebiete, in Russland gewählt. Zu diesem Zweck wurden mehr als 300 solcher Wahllokale in den betroffenen Gebieten der Russischen Föderation eingerichtet.

Darüber hinaus werden die Einwohner der vier besetzten ukrainischen Regionen keine eigenen regionalen Vetreter wählen. 

Sie werden von den Abgeordneten der lokalen "Parlamente" auf Vorschlag des russischen Präsidenten Putin ernannt. Experten gehen davon aus, dass alle derzeitigen, vom Kreml eingesetzten "Interims"-Führer im Amt bleiben werden. Sie alle sind Mitglieder der Regierungspartei "Einiges Russland".

An den "Wahlen" zu den lokalen Behörden nehmen nur die in der Staatsduma der Russischen Föderation vertretenen Parlamentsparteien teil. Die Abstimmung erfolgt nur über Parteilisten, es ist nicht möglich, für einen bestimmten Kandidaten zu stimmen. Die "Wahlkommissionen" der annektierten Gebiete hatten nicht einmal die Absicht, die Namen der Kandidaten zu veröffentlichen und begründeten dies mit "physischen Sicherheitsbedenken".

Grigory Sysoev/Sputnik
Первые выборы в аннексированном РФ Крыму состоялись в сентябре 2014 годаGrigory Sysoev/Sputnik

Russische unabhängige Journalisten erinnern daran, dass die ersten Kommunalwahlen auf der annektierten Krim im Jahr 2014 auf diese Weise abgehalten wurden.

Sie fanden heraus, dass mehr als die Hälfte der Kandidaten bei diesen "Wahlen" Anwohner waren (in den Regionen Saporischschja und Cherson 71 Prozent), wobei ein Drittel der Kandidaten in den Regionen Saporischschja und Cherson Hausfrauen, Rentner, Studenten oder Arbeitslose waren.

Kiew: Teilnahme an "Wahlen" ist Kollaboration

Die Ukraine betrachtet die aktive Teilnahme an den russischen "Wahlen" in den besetzten Gebieten als Ausdruck von Kollaboration und Verrat. "Kandidaten" und "Mitglieder von Wahlkommissionen" würden strafrechtlich verfolgt.

Der Sicherheitsdienst der Ukraine hat bereits Strafverfahren gegen mehrere Personen in der Region Luhansk eingeleitet, die an der Organisation der "Wahlen" beteiligt waren.

Ihre Namen sind in den ukrainischen Medien veröffentlicht worden.

"Für uns gibt es diese Wahlen nicht. Und auch für die gesamte internationale Gemeinschaft ist dies eine Propagandashow."
Oleksiy Garan
Professor für Politikwissenschaft

"Die Genfer Konventionen, denen auch Russland formell beigetreten ist, verbieten die Abhaltung von Wahlen durch den Aggressor in den besetzten Gebieten. Für uns gibt es diese Wahlen nicht. Und auch für die gesamte internationale Gemeinschaft ist dies eine Propagandashow", sagt Oleksiy Garan, Professor für Politikwissenschaft an der Kiew-Mohyla-Akademie, gegenüber Euronews.

Die ukrainischen Behörden haben nicht vor, Menschen für die Teilnahme an den von Moskau organisierten Pseudowahlen zu bestrafen. Kiew weiß, dass der Kreml mit allen Mitteln eine maximale Wahlbeteiligung erreichen will. Während der vorgezogenen Stimmabgabe gingen Beamte der Wahlkommission in Begleitung von russischen Militärangehörigen von Tür zu Tür.

"Wir differenzieren hier. Viele ukrainische Bürger befinden sich nicht freiwillig in den besetzten Gebieten. Gegen sie werden Terrormethoden und Repressionen eingesetzt. Wenn es sich um normale Menschen handelt, die wählen gehen müssen, weil es sonst Repressionen gegen sie gibt, wird hier nichts unternommen. Die Kollaborateure erwartet eine strafrechtliche Verfolgung", sagte Garany.

Internationale Reaktionen

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten erklärten, die von Moskau in den besetzten ukrainischen Gebieten abgehaltenen "Wahlen" seien "ein weiterer grober Verstoß gegen das Völkerrecht".

"Russland hat mit der vorzeitigen Stimmabgabe bei den sogenannten "Wahlen" in den vorübergehend besetzten ukrainischen Gebieten begonnen. Dies ist ein weiterer Verstoß gegen das Völkerrecht und die Souveränität der Ukraine", schrieb der außenpolitische Sprecher der EU , Peter Stano, im sozialen Netzwerk X (früher Twitter).

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Das US-Außenministerium nannte die Abstimmung in den besetzten Gebieten eine "Pseudowahl" und eine "Propagandaübung" und wies darauf hin, dass die Vereinigten Staaten den Anspruch Russlands auf ukrainische Gebiete niemals anerkennen würden.

Außenminister Anthony Blinken warnte, dass Personen, die die Abstimmung unterstützen, mit Sanktionen und Visabeschränkungen rechnen müssten. Die Rede ist insbesondere von den so genannten "internationalen Beobachtern".

Blinken betonte, dass die USA die Ergebnisse dieser "Wahlen" nicht anerkennen und die Ukraine weiterhin unterstützen werden.

"Dies ist keine Wahl, sondern ein Hundezirkus."

Die russischen Behörden halten den einheitlichen Wahltag in diesem Jahr am 10. September ab, obwohl, wie oben erwähnt, die ersten "Willensbekundungen" schon viel früher begannen.

Golos, eine gesamtrussische öffentliche Bewegung zur Verteidigung der Wählerrechte, stellt fest, dass der Wahlkampf 2023 unter Bedingungen stattfand, "die einen ständigen und wachsenden Druck auf alle Teilnehmer am Wahlprozess ausüben".

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"Golos" ist der Ansicht, dass die diesjährigen Wahlen in keiner der russischen Regionen als gleichberechtigt und frei bezeichnet werden können.

"Die Leute wissen, dass dies keine Wahl ist, sondern ein Hundezirkus, aber sie können nichts tun. Das ist nur ein Wahlritual."
Dmitri Oreschkin
Russischer Politikwissenschaftler

Der russische Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin erinnert daran, dass Wahlen in Russland schon lange nicht mehr als Mechanismus für einen Machtwechsel dienen.

"Im_Allgemeinen sind Wahlen in Putins Russland ein ritualisiertes Verfahren. Ihre Bedeutung lässt sich auf drei Hauptaspekte zurückführen. 

Der erste ist die Propaganda, wenn es darum geht, zu zeigen, dass die Situation unter Kontrolle ist und es eine landesweite Massenunterstützung gibt. Der zweite ist die rituelle Bedeutung. Für einen großen Teil der Wählerschaft Putins ist es wichtig, sich ein Bild davon zu machen, dass alles funktioniert, dass seit der Durchführung der Wahlen alles nach den Regeln läuft. Und der dritte Punkt ist ein Test.

Ein_Test für die Effektivität der regionalen Bosse: ob sie die Situation kontrollieren können, ob sie die richtige Figur 'zeichnen' können und die Leute dazu bringen, sie zu akzeptieren und nicht zu protestieren", sagt Dmitri Oreschkin.

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Seiner Meinung nach haben "diese Verfahren" nichts mit Demokratie zu tun.

"Die Leute wissen, dass dies keine Wahl ist, sondern ein Hundezirkus, aber sie können nichts tun. Das ist nur ein Wahlritual", fasst der Experte zusammen.

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