Euroviews. Städte sind die Vorreiter einer Fahrradrevolution. Wird die EU ihrem Beispiel folgen?

Ein Radfahrer fährt auf einem Lastenrad mit Kindern vor der Königlichen Leibgarde am Schloss Amalienborg in Kopenhagen, Juni 2023
Ein Radfahrer fährt auf einem Lastenrad mit Kindern vor der Königlichen Leibgarde am Schloss Amalienborg in Kopenhagen, Juni 2023 Copyright AFP/Euronews
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Von Line Barfod, Bürgermeisterin für technische und Umweltangelegenheiten in Kopenhagen.
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Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen sind die der Autoren und stellen in keiner Weise die redaktionelle Position von Euronews dar.
Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

"Meine Kolleg:innen und ich sind überzeugt, dass dem Fahrrad die Zukunft gehört. Wir brauchen die EU und ihre Mitgliedstaaten, um die Herausforderung anzunehmen und das Fahrrad als phänomenales Instrument mit immenser Transformationskraft zu erkennen", schreibt Line Barfod.

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Im vergangenen Jahr waren Kopenhagen und Dänemark Gastgeber des Grand Départ der Tour de France, des Starts des berühmten Radrennens.

Es war ein großes Fest für den Radsport und für die jahrzehntelange Alltagskultur in Kopenhagen und Dänemark.

Die dänische Hauptstadt zeigt, was wir erreichen können, wenn wir uns die Kraft des Radfahrens zunutze machen.

Jeden Morgen, wenn die Autos im Stau stehen, sausen in Kopenhagen Tausende von Radfahrer:innen auf ihrem Weg zur Arbeit und zur Schule über Radwege, Fahrradstraßen, Fahrradautobahnen, Abkürzungen und Fahrradbrücken durch die Stadt.

Mit dem Aufkommen von E-Bikes und Lastenrädern sind wir überzeugt, dass der Anteil der Radfahrer:innen in den kommenden Jahren weiter steigen wird.

In Kopenhagen findet eine regelrechte Lastenrad-Revolution statt: In weniger als drei Jahren stieg die Zahl der Lastenräder von 20 000 im Jahr 2020 auf mehr als 40 000 in diesem Jahr.

Eltern nutzen Lastenräder für den Transport ihrer Kinder, Lieferfirmen setzen sie für den Transport von Lebensmitteln und Paketen in der Stadt ein, und immer mehr Bauunternehmen nutzen sie für den Transport von Werkzeugen und Materialien.

In Kopenhagen erreicht ein Pannendienstunternehmen seine Kund:innen sogar auf einem Lastenfahrrad, wenn deren Autos eine Panne haben.

Die Liebe zum Fahrrad nimmt in anderen europäischen Ländern stark zu

Seit 2020 hat die Fahrradnutzung auf dem gesamten Kontinent stark zugenommen. Während der Coronavirus-Pandemie bot das Fahrrad auf dem gesamten Kontinent eine sichere, effiziente und gesunde Transportlösung, die den Druck auf die öffentlichen Verkehrsmittel verringerte und Pendlern eine sichere Distanz bot.

Doch trotz der erneuten Popularität des Fahrrads und seines enormen Potenzials werden in der EU-27 im Durchschnitt nur 7,4 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Da 75 Prozent der Europäerinnen und Europäer in Städten leben, kommt den Städten eine entscheidende Rolle zu, und sie sind bereit, die Ziele der EU im Bereich des Radverkehrs zu unterstützen.
Gian Mattia D'Alberto/LaPresse
Ein Lebensmittellieferant schiebt sein Fahrrad in der Einkaufspassage Vittorio Emanuele in Mailand, November 2020Gian Mattia D'Alberto/LaPresse

Dieser geringe Anteil ist paradox, denn das Fahrrad ist ein hervorragender Verbündeter im Kampf gegen die Umweltverschmutzung und auf dem Weg zu lebenswerteren Städten.

Kein Wunder also, dass der bevorstehenden Radverkehrserklärung der Europäischen Kommission mit Spannung entgegengesehen wird. Das für Oktober vorgesehene Dokument soll Regeln, Leitlinien und Finanzierungsinstrumente festlegen, um die Zahl der mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometer bis 2030 zu verdoppeln.

Die Erklärung wird das Radfahren endlich als wesentliches Element unseres gemeinsamen europäischen Verkehrssystems anerkennen und die langjährigen Bemühungen der Städte unterstützen.

Task Force für Radverkehrsstrategie in Arbeit

Immer mehr Kommunalverwaltungen in Europa räumen dem Radverkehr Vorrang ein, um sich von der autozentrierten Mentalität zu lösen, die unsere Städte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt hat.

Da 75 Prozent der Europäer:innen in städtischen Gebieten leben, kommt den Städten eine entscheidende Rolle zu, und sie sind bereit, die Ambitionen der EU im Bereich des Radverkehrs zu unterstützen.

In den letzten Monaten haben Kopenhagen und andere Städte des Eurocities-Netzwerks ihre Kräfte gebündelt, und eine Arbeitsgruppe für eine Radverkehrsstrategie gebildet.

Eine unserer obersten Prioritäten ist, dass die EU eine weitreichende, ehrgeizige Erklärung zum Radverkehr verabschiedet.
AP Photo/Francisco Seco
Ein Mann schiebt ein Fahrrad vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, September 2019AP Photo/Francisco Seco

Ziel ist es, Empfehlungen zu erarbeiten, die in den endgültigen Text der Radverkehrserklärung der Europäischen Kommission einfließen sollen. Wir sind überzeugt, dass unser Know-how über das Radfahren für die politischen Entscheidungsträger der EU von großem Wert sein kann.

Unsere Empfehlungen werden auch durch eine Eurocities Pulse-Umfrage in 29 Kommunen unterstützt, um die Herausforderungen und Erwartungen der Städte in Bezug auf den Radverkehr zu verstehen.

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Eine unserer obersten Prioritäten ist, dass die EU eine weitreichende, ehrgeizige Erklärung zum Radverkehr verabschiedet.

Das Dokument sollte den Weg für die Entwicklung einer hochwertigen Fahrradinfrastruktur ebnen, einen mutigen Ansatz verfolgen und gemeinsame Leitlinien für die Fahrradinfrastruktur und Mindestqualitätsniveaus in ganz Europa festlegen.

Verkehrsregeln in ganz Europa erschweren das Radfahren

Ein Mangel an Verkehrssicherheit hält viele Menschen davon ab, das Radfahren überhaupt in Betracht zu ziehen. Daher sollte der Schutz von Radfahrern auch in der neuen Gesetzgebung an erster Stelle stehen.

Die aktuellen nationalen Verkehrsgesetze in vielen EU-Ländern behindern den Radverkehr. Die Erklärung bietet nun die Gelegenheit, die nationalen Verkehrsregeln zu aktualisieren und die Zusammenarbeit zwischen lokalen und nationalen Behörden zu fördern.

Die Europäische Kommission sollte auch Überlegungen darüber anstellen, ob die nationalen Verkehrsvorschriften für den Radverkehr geeignet sind, und die Einführung einer generellen Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in städtischen Gebieten in Betracht ziehen.

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Der Mangel an Produkten und Dienstleistungen sollte der Fahrradindustrie in der EU nicht länger im Wege stehen. Durch verstärkte Kooperationsmechanismen kann eine starke Fahrradindustrie in Europa geschaffen werden und ein Fahrradmangel verhindert werden.
AP Photo/Geert Vanden Wijngaert
Menschen fahren mit ihren Fahrrädern auf einem Hauptboulevard während des jährlichen autofreien Tages in Brüssel, September 2016AP Photo/Geert Vanden Wijngaert

Darüber hinaus würde die Standardisierung von Instrumenten zur Erhebung von Radverkehrsdaten vielen Städten dabei helfen, besser informierte Entscheidungen über ihre eigene Radverkehrspolitik zu treffen.

Gleichzeitig sollte ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, das Radfahren für alle Stadtbewohner so zugänglich wie möglich zu machen, insbesondere für diejenigen, die sich kein Fahrrad leisten können oder deren Behinderung sie daran hindert, ein normales Zweirad zu benutzen.

Darüber hinaus sollte das Fehlen von Produkten und Dienstleistungen der Fahrradindustrie in der EU nicht länger im Wege stehen. Durch verstärkte Kooperationsmechanismen kann eine starke Fahrradindustrie in Europa geschaffen werden und einen Fahrradmangel verhindert werden.

Radfahren ist die Zukunft

Da die EU-Politik die Verbindungen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten stärken will, plädieren wir dafür, diese Verbindungen durch das Fahrrad zu verbessern.

Im Großraum Kopenhagen hat ein umfangreiches Netz hochwertiger Radschnellwege das Pendeln mit dem Fahrrad über weite Strecken zu einer praktikablen Option gemacht, und an vielen Orten in Europa sind ähnliche Projekte im Gange.

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Um diese Bemühungen zu unterstützen, sollten fahrradfreundliche Bedingungen für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit dem Fahrrad, die Fahrt zum und vom Bahnhof oder die Nutzung des Fahrrads in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln geschaffen werden.

Meine Kolleg:innen und ich sind überzeugt, dass dem Fahrrad die Zukunft gehört. Wir brauchen die EU und ihre Mitgliedstaaten, um die Herausforderung anzunehmen und das Fahrrad als ein phänomenales Instrument mit immenser Transformationskraft zu erkennen.

Man kann gar nicht genug betonen, wie sehr das Radfahren unsere öffentliche Gesundheit, die Luftqualität, den öffentlichen Raum und den Lebensstandard verbessern kann.

Die Städte sind Vorreiter einer Fahrradrevolution; wird die EU ihrem Beispiel folgen?

Line Barfod ist die Bürgermeisterin für technische und Umweltangelegenheiten in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen.

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