Nach Inkrafttreten der Waffenruhe mit Israel hat die Hamas drei Frauen aus der Geiselhaft freigelassen. Die drei seien von ihren Müttern in Israel abgeholt worden, teilte das Militär am Sonntag mit.
Der in Katar ansässige Fernsehsender Al Jazeera zeigte live, wie die drei Frauen zwischen Fahrzeugen entlanggingen, während sich ihr Konvoi einen Weg durch Gaza-Stadt bahnte, umringt von einer riesigen Menschenmenge, in der viele Menschen mit ihren Telefonen die Szene filmten. Die Fahrzeuge wurden von bewaffneten Männern begleitet, die grüne Hamas-Stirnbänder trugen und sich bemühten, die Fahrzeuge vor der wogenden Menge tausender Schaulustiger zu schützen.
Danach wurde kein weiteres Erscheinen der drei in der Öffentlichkeit erwartet, da sie zu einer medizinischen Untersuchung gebracht werden sollen. "Sie scheinen bei guter Gesundheit zu sein", erklärte US-Präsident Joe Biden in einer kurzen Ansprache bei ihrer Ankunft in Israel.
Unterdessen brachen in Tel Aviv Tausende von Menschen, die die Nachrichten auf großen Bildschirmen verfolgten, in Jubel aus. Seit Monaten hatten sich viele Menschen auf dem Platz versammelt, um ein Waffenstillstandsabkommen zu fordern.
Eine der Geiseln, Romi Gonen, war am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Musikfestival im Süden Israels entführt worden. An jenem Morgen sprachen Gonens Mutter Merav und ihre älteste Tochter gut fünf Stunden mit Romi am Telefon, während die Kämpfer durch das Festivalgelände marodierten. Gonen erklärte ihrer Familie, dass die mit verlassenen Autos verstopften Straßen eine Flucht unmöglich machten und dass sie in einem Gebüsch Schutz suchen würde.
Dann sagte sie die Worte, die ihrer Mutter bis heute im Ohr nachklingen: "Mama, ich wurde begeschossen, das Auto wurde beschossen, alle wurden beschossen. ... Ich bin verwundet und blute. Mami, ich glaube, ich werde sterben", wie die Mutter einige Wochen nach der Entführung auf einer Pressekonferenz erzählte.
Merav Gonen versuchte, ihre Tochter zu beruhigen, dass sie nicht sterben würde, dass sie atmen und sich um ihre verletzten Freunde kümmern solle. Merav Gonen zufolge war das letzte Wort, das sie während des Anrufs hörte, ein schriller Schrei: "Mama!", und dann übertönten die herannahenden Schüsse und die Schreie der Männer alles.
Dann schaltete sich das Telefon aus. Die israelischen Behörden ermittelten den Standort des Telefons später in Gaza.
In den vergangenen 15 Monaten war Merav Gonen eine der bekanntesten Personen, die sich für die Rückkehr der Geiseln einsetzte. Sie trat fast täglich in israelischen Nachrichtensendungen auf und reiste in Missionen ins Ausland.
"Wir tun alles, was wir können, damit die Welt nicht vergisst", sagte Merav am sechs Monate nach dem Hamas-Angriff gegenüber The Associated Press. "Jeden Tag wachen wir auf und atmen tief durch und gehen weiter, tun weiter die Dinge, die sie zurückbringen werden."
Die zweite freigelassene Geisel ist Emily Damari, britisch-israelische Staatsbürgerin, die aus ihrer Wohnung im Kibbutz Kfar Aza entführt wurde, einem kommunalen Bauerndorf, das von dem Angriff der Hamas schwer getroffen wurde. Sie lebte in einer kleinen Wohnung in einem Viertel für junge Erwachsene, dem Teil des Kibbuz, der dem Gazastreifen am nächsten liegt. Die Militanten durchbrachen den Grenzzaun des Kibbuz und plünderten das Viertel.
Im Kibbuz Kfar Aza hieß es, Damari sei oft der "Klebstoff, der ihre enge Freundesgruppe zusammenhielt", und sie habe immer wieder Treffen von Freunden an der besten Grillecke im ganzen Kibbuz organisiert.
"Ich klammere mich an den Funken Hoffnung, den ich immer noch in meinem Herzen trage, dass sie trotz ihres Leidens überlebt", sagte Emilys Mutter vor Damaris verbrannter Wohnung im vergangenen Januar. "Ich bin verzweifelt, wütend und habe Angst um ihr Leben."
Die dritte freigelassene Geisel, Doron Steinbrecher, ist israelisch-rumänische Tierärztin und Nachbarin von Damari im Kibbuz Kfar Aza. Um 10:20 Uhr am 7. Oktober 2023 rief sie ihre Mutter an: "Mama, ich habe Angst. Ich verstecke mich unter dem Bett und höre, wie sie versuchen, in meine Wohnung einzudringen", erinnert sich ihr Bruder Dor. Es gelang ihr, während der Entführung eine Sprachnachricht an ihre Freunde zu senden: "Sie haben mich! Sie haben mich erwischt! Sie haben mich!"
Steinbrecher war in einem Video zu sehen, das die Hamas am 26. Januar 2024 zusammen mit zwei israelischen Soldatinnen veröffentlichte. Ihr Bruder sagte, das Video habe ihnen Hoffnung gegeben, dass sie noch am Leben sei, aber es habe auch Besorgnis ausgelöst, weil sie müde, schwach und abgemagert aussah.
Insgesamt töteten Militante am 7. Oktober 2023 64 Menschen und 22 Soldaten und entführten 19 Menschen aus dem Kibbuz Kfar Aza. Mit der Rückkehr von Steinbrecher und Damari befinden sich noch drei Mitglieder des Kibbuz in Gaza in Haft: Ein amerikanisch-israelischer 65-Jähriger und zwei 27-jährige Zwillinge.
Israel will 90 palästinensische Gefangene freilassen
Im Gegenzug für die Übergabe der Geiseln wird Israel insgesamt fast 2.000 palästinensische Häftlinge und Palästinenser aus dem Gazastreifen freilassen, die gefangengenommen wurden. Familien und Freunde einiger dieser palästinensischen Gefangenen versammelten sich in Ramallah, Autos hupten und einige Teilnehmer schwenkten die palästinensische Flagge.
Etwa 90 palästinensische Gefangene aus dem Westjordanland und Jerusalem sollten am Sonntag freigelassen werden, darunter 69 Frauen.
Fadia Barghouti wurde im April in Ramallah verhaftet und verbrachte drei Monate im Gefängnis, ohne dass ihr ein Grund genannt wurde, sagt sie. An diesem Sonntagabend hofft sie, Freunde zu sehen, mit denen sie inhaftiert war. Der Krieg in Gaza sei ein Beweis dafür, dass niemand im Nahen Osten in Frieden leben könne, solange die Palästinenser nicht ihre Rechte hätten, betont sie.
Der jüngste Gefangene, der freigelassen werden soll, ist Mahmoud Aliowat, 15 Jahre alt.
Zu den weiteren Gefangenen gehört Khalida Jarrar, 62, ein führendes Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas, einer linken Gruppierung mit einer bewaffneten Gruppe, die Anschläge auf Israelis verübt hat. Die in New York ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erklärte, die wiederholten Verhaftungen seien Teil eines umfassenderen Vorgehens Israels gegen gewaltlose politische Opposition.
Zu den freizulassenden Gefangenen, die die Hamas aufgelistet hat, gehört auch Abla Abdelrasoul, 68, die Ehefrau des inhaftierten PFLP-Führers Ahmad Saadat, der 2001 einen israelischen Kabinettsminister tötete und eine 30-jährige Haftstrafe verbüßt.