Hunderte wurden getötet und Tausende flohen aus ihren Dörfern und Städten um Tartus und Latakia.
Zwei Wochen sind seit der blutigen Welle der Gewalt vergangen, die am 6. März von Dschabala nach Zusammenstößen zwischen verblieben Anhängern des gestürzten Präsidenten Assad und den Sicherheitsorganen der neuen Regierung aus über die Küstenregion rollte.
Hunderte von Menschen wurden getötet und Tausende sind aus ihren Dörfern und Städten in der ländlichen Umgebung von Tartus und Latakia geflohen.
Bewaffnete Männer mit langen Bärten und einer Sprache, die den Einheimischen fremd ist
Eine Überlebende des Massakers im Stadtteil al-Qusour von Banias, die ihre Identität aus Angst vor Strafverfolgung nicht preisgeben wollte und den Namen Samar wählte, berichtet: "Die Militäroperationen begannen am Donnerstagnachmittag, die Zusammenstöße nahmen zu, und wir hörten ständig beängstigende Explosionen, meine Mutter und ich konnten nicht schlafen. Wir warteten bis zum Morgen, als Leute in Uniformen der Allgemeinen Sicherheit in den südlichen Teil des Viertels Al-Qusour eindrangen, um es zu durchsuchen, und mit dem Töten begannen, wobei sie es auf zwei alawitische Familien abgesehen hatten, die in diesem Viertel lebten."
Samar fährt fort: "Danach begannen willkürliche Tötungen, begleitet von Plünderungen von Restaurants, Geschäften und Häusern der Bewohner. Jeder, der versuchte, sich zu wehren, wurde auf der Stelle getötet. Die Straße war voll von Leichen. Den Anblick der Leichen und den Geruch von Blut kann ich bis heute nicht vergessen."
Die Augenzeugin berichtet weiter: "Nach diesen Ereignissen wurde uns versichert, dass die Operationen beendet seien. Doch am Samstagmorgen kam eine andere bewaffnete Gruppe in das Gebiet. Sie hatten lange Haare und sprachen mit einem arabischen Akzent, der in der Gegend fremd ist. Sie klopften an die Türen und drohten den Bewohnern, falls sie ihre Türen nicht öffnen. Dann plünderten sie die Häuser, wobei sie es auf Goldschmuck, Geld und Kommunikationsgeräte abgesehen hatten. Sogar Ladegeräte für Telefone wurden gestohlen."
Einschüchterung, Plünderung und Mord
Die Ereignisse arteten zu systematischen Tötungen aus. Die Bewaffneten kannten die Konfessionszugehörigkeit der Hausbesitzer. Die Tötungen fanden in den Häusern und auf den Dächern der Wohnhäuser statt. Diejenigen, die versuchten zu fliehen und in den Häusern ihrer sunnitischen Nachbarn Zuflucht zu suchen, wurden zusammen mit denjenigen, die ihnen Schutz gewährten, getötet. Wenn der Sunnit nicht erschossen wurde, wurde er brutal zusammengeschlagen.
"Stunden später zogen sich diese Gruppierungen zurück, nach Einheiten der Sicherheitsorgane der neuen syrischen Regierung eingetroffen waren und eine sichere Zone um uns herum sgeschaffen hatten. Daher beschlossen meine Mutter und ich, das Viertel zu verlassen und in das Dorf Barmaia zu gehen. Wir hatten jedoch Angst, dort zu bleiben, weil wir den Menschen, in deren Häusern wir Zuflucht gefunden hatten, zur Last fallen würden. Also beschlossen wir, in Richtung unseres Dorfes weiterzugehen.
Doch nur eine Stunde, nachdem wir aufgebrochen waren, wurde das Dorf niedergemetzelt. Alle wurden getötet, die Leichen wurden verstümmelt und die Häuser geplündert, bevor sie niedergebrannt wurden.
Offizielle Verurteilung
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte hat 56 Massaker dokumentiert, bei denen mehr als 1.514 alawitische Zivilisten getötet wurden.
Die neue syrische Regierung verurteilte die Gewalt an der Küste und kündigte die Einsetzung einer siebenköpfigen unabhängigen nationalen Untersuchungskommission an, die die Umstände der Ereignisse untersuchen und die Verantwortlichen ermitteln soll.
Interimspräsident Ahmed al-Scharaa betonte "die Bedeutung von Transparenz und der Zusammenarbeit der offiziellen Stellen mit dem Ausschuss", der seinen Abschlussbericht innerhalb von 30 Tagen vorlegen soll.
Angriff auf Dschabala mit Flugzeugen und Artillerie
Said, ein Einwohner von Dschabala, berichtet über die ersten Stunden der Zusammenstöße in seiner Stadt. Die Ereignisse begannen, als Mitglieder der Allgemeinen Sicherheitskräfte eine Verhaftungskampagne im Dorf Ad Dali begannen und den Ort abriegelten. Später gerieten sie in einen Hinterhalt und starteten einen Großangriff auf das Dorf, bei dem sie eine Reihe von Waffen einsetzten, darunter Kampfflugzeuge und schwere Artillerie.
Assad-Anhänger nutzen die Situation aus
In der Zwischenzeit nutzten Militärs, die der gestürzten Regierung nahestanden, darunter Miqdad Fatiha und Brigadegeneral Ghiyath Dalla, die Situation aus. Sie versuchten, eine große Anzahl von Soldaten zur Rückkehr zum Militär zu bewegen. Viele lehnten diese Aufrufe ab, andere schlossen sich an und kämpften, bis eine größere Zahl von Kämpfern eintrafen, die durch dschihadistische Motive und Fatwas aus Moscheen motiviert waren.
Die Kämpfe endeten damit, dass die Assadanhänger in die Berge flohen. Einige von ihnen wurden bei den Kämpfen getötet.
Ausländische Kämpfer
Ausländische Gruppierungen nutzten diese Entwicklungen und drangen in die Dörfer al-Shir, al-Mukhtariyah, Snobar und andere Ortschaften in der Umgebung von Dschabala ein. Diese Gruppen töteten zahlreiche Einwohner. Einigen Zivilisten gelang es in die Wälder zu fliehen, wo sie fünf Tage lang auf Friedhöfen schlafen mussten, aus Angst, getötet zu werden.
Abu Jaafar, der in Damaskus lebt, berichtet von der tragischen Ermordung dreier seiner Brüder mit ihren Frauen und Kindern in der al-Shir. Sie wurden erschossen, obwohl es sich um Zivilisten handelte, die weder vorher noch jetzt militärisch aktiv waren. Der Vater, der Bruder und die beiden Kinder seiner Frau wurden ebenfalls getötet, und ihrer Schwester wurde in den Fuß geschossen. Ihre Mutter, eine ältere Frau, flehte die ausländischen Kämpfer und die sie begleitenden Syrer an, sie nicht zu töten. Doch einer von ihnen sagte zu ihr: Du bist eine Ungläubige, und du musst die Dschizya, die Schutzsteuer, zahlen oder sterben. Nachdem sie ihm alles gegeben hatte, was sie besaß, liessen sie sie zwischen den Leichen ihres Mannes, ihres Sohnes, seiner Kinder und ihrer verletzten Tochter zurück.
Auf dem Militärflugplatz Hmeimim versammelten sich Hunderte von Familien, die vor der Brutalität der Truppen der Syrischen Befreiungsfront und ausländischer Kämpfer geflohen waren. Abu Fadi, ein Hafenarbeiter und Bewohner eines Dorfes bei Dschabala berichtet, er sei mit seiner Familie nach der Säuberung einer Stadt in der Nähe seines Dorfes durch diese Gruppierungen geflohen und habe am Flughafen Zuflucht gesucht. Abu Fadi will im Flughafen bleiben, bis alle bewaffneten Gruppierungen die Küstenregion verlassen haben und unmaskierter staatliche Sicherheitskräfte eingertroffen seien, denn maskierte Männer stellten eine Bedrohung dar, weil ihre Identität unbekannt sei.
Zum Ausschusses, den Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa gebildet hat, sagt er, dass es diesem an Ernsthaftigkeit fehle, wenn es darum gehe, die Verantwortlichen für die Massaker an Aleviten zur Rechenschaft zu ziehen. Er führt dies auf die Zusammensetzung des Ausschusses zurück, dem nicht einmal als Beobachter eine Persönlichkeit aus den Küstenstädten angehört.
Wie die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet, haben die Behörden in Damaskus Busse geschickt, um Familien vom früheren russischen Militärflugplatz Hmeimim in Latakia nach Hause zu bringen. Doch weigerten sich diese, den Stützpunkt zu verlassen, weil sie nach den Morden, die sie in verschiedenen Teilen der syrischen Küste miterlebten, kein Vertrauen in die derzeitigen Behörden haben.
Untersuchungskommission
Das Unabhängige Nationale Komitee zur Untersuchung der Ereignisse an der syrischen Küste kündigte am 11. März an, dass diejenigen, die an den Übergriffen in den Provinzen Latakia und Tartus beteiligt waren, zur Rechenschaft gezogen werden und betonte, dass "niemand über dem Gesetz steht".
Der Sprecher des Ausschusses, Yasser al-Farhan, erklärte, der Ausschuss werde die Ergebnisse seiner Untersuchungen nicht veröffentlichen. Er verpflichte sich, die Privatsphäre der Zeugen zu wahren. Die Ergebnisse sollen der Justiz und den zuständigen Gerichten vorgelegt werden. Die Kommission sei offen für eine internationale Zusammenarbeit, ziehe es aber vor, die nationalen Möglichkeiten zu nutzen.
Sektierertum zeigt sein hässliches Gesicht
Einige Sunniten sind von der Brutalität der Kämpfer in der Küstenregion nicht verschont geblieben. Bayan, eine sunnitische Bewohnerin der Stadt Latakia, sagte, sie habe seit dem 8. März ihre alevitische Freundin und deren Familie bei sich zu Hause aufgenommen. Am folgenden Sonntag wurden sie und ihre Mutter von unbekannten Bewaffneten angegriffen, die, wie sie sagte, maskiert waren und lange Haare hatten.
Bayan fügt hinzu, dass jemand sie an die unbekannten Bewaffneten verpfiffen habe. Sie fasst zusammen: Gestern fehlte uns die Freiheit, heute fehlt uns die Liebe. Meine größte Angst ist, dass wir irgendwann die Menschlichkeit verlieren und im Meer des Sektierertums ertrinken werden.