Irlands Ministerpräsident Micheál Martin sagt im Gespäch mit Euronews, dass Israel Kriegsverbrechen begeht und kritisiert die mangelnde Reaktion der EU. Seit fast 60 Tagen gelangen keine Lebensmittel und Medikamente mehr in das belagerte Gebiet.
Micheál Martin verurteilt Israels Blockade des Gazastreifens. In der Sendung The Europe Conversation sagte er, dass das für die Europäische Union und die Menschenrechtsgesetze, die für die Existenz der EU von zentraler Bedeutung sind, sehr wichtige Fragen aufwirft.
Seit fast zwei Monaten beschränkt Israel die Einfuhren von Lebensmitteln und Hilfsgütern in den Gazastreifen. "Meiner Ansicht nach handelt es sich um ein Kriegsverbrechen", sagte der irische Ministerpräsident, der der Partei Fianna Fáil angehört. "Und das sage ich nicht einfach so."
Er sprach sich für eine Lösung aus und forderte die Freilassung der Geiseln. Es sei schockierend, Menschen als Geiseln zu nehmen. Im November 2023 besuchte Martin einen Kibbuz, in dem während des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober etwa 10 % der Bevölkerung angegriffen wurden.
Der Krieg hat den moralischen Kompass verloren
"Ich war dort, um aus erster Hand die Auswirkungen des schrecklichen Hamas-Angriffs auf Israel zu sehen. Ich habe ihn von Anfang an verurteilt, als ich dorthin fuhr, um den Menschen, die angegriffen wurden, mein Mitgefühl zu zeigen", sagte er. "Die Geiseln hätten schon vor langer Zeit freigelassen werden sollen."
Aber der Krieg, der als Reaktion darauf geführt wurde, habe "jeglichen moralischen Kompass verloren, was seine inakzeptablen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und auf Kinder angeht", so Martin.
"Und in Irland herrscht jetzt diese Traurigkeit und dieses Entsetzen und ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts dessen, was wir auf unseren Fernsehbildschirmen sehen: kleine Kinder auf Bahren und in Krankenhäusern, sehr schwer verletzt. Viele Familien wurden ausgelöscht, Kinder wurden zu Waisen. Vom Standpunkt der Menschlichkeit aus gesehen, ist das unbegreiflich.
Der Taoiseach verurteilte Israels Intensivierung des Krieges. "Ich weiß, dass Israel sagen würde, na ja, die Hamas ist in den Krankenhäusern und so weiter. Aber Kinder brauchen grundlegenden Zugang zu Medizin."
Die Hölle auf Erden
Martin traf sich am Donnerstag mit Ursula von der Leyen in Brüssel, um über Themen wie Handel, Unterstützung für die Ukraine und den Nahen Osten zu sprechen. Während dieses Treffens teilte der Taoiseach seine Besorgnis über die anhaltende humanitäre Krise in Gaza mit.
"Ich denke, die Präsidentin hat meine Sicht der Dinge deutlich gehört. Und ich denke, sie versteht, was ich meine und was andere meinen", so Martin.
"Ich gehe davon aus, dass es in ganz Europa viele Überlegungen zu diesem Thema geben wird". Er begrüßte zwar die Ankündigung der Europäischen Union, die Palästinenser mit 1,6 Milliarden Euro finanziell zu unterstützen, merkte jedoch an, dass er nicht glaube, dass es innerhalb der Europäischen Union einen Konsens gebe, wenn es um eine Antwort gehe.
"Ich erkenne und verstehe die unterschiedlichen Hintergründe der Mitgliedsstaaten und den historischen Hintergrund, der die Herangehensweise der Mitgliedsstaaten an den Nahen Osten geprägt hat", sagte er.
"Aber das Ausmaß an Tod, Zerstörung und Vertreibung [in Gaza] ist nicht hinnehmbar. Viele Menschen haben bereits 2011 gesagt, dass es die Hölle auf Erden ist."
Er wies darauf hin, dass die EU ihre Bedenken gegenüber anderen Ländern auf der ganzen Welt schnell geäußert habe, wenn diese territoriale Integrität verletzen. Das sei für die die Europäische Union und das, wofür sie stehe, grundlegend.
Israel hat in der Vergangenheit argumentiert, dass die Beschränkung der Hilfe rechtmäßig sei und dass der Gazastreifen immer noch über genügend Vorräte verfüge.
Der israelische Außenminister Gideon Sa'ar kündigte im Dezember vergangenen Jahres die Schließung der israelischen Botschaft in Dublin an, weil die irische Regierung eine "extrem israelfeindliche Politik" betreibe, die er als "Antisemitismus" bezeichne.
Im vergangenen Monat bestätigte Fine Gael - in Koalition mit Martins Fianna Fáil - dass ihre Delegierten sich auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei in Valencia geweigert haben, einen Antrag zu unterschreiben, der die Anschläge der Hamas vom 7. Oktober 2023 in Israel verurteilt und die Freilassung der verbleibenden Geiseln forderte.
Euronews hat die israelische Botschaft in Brüssel und die Vertretung Israels bei der EU und der NATO um eine Antwort gebeten.