Eurogruppenchef: Bedingungen für Vergabe der Wiederaufbau-Mittel

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Von Isabel Marques da SilvaSabine Sans
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Eine Troika wie während der Finanzkrise vor einem Jahrzehnt werde es nicht geben.

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Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union kommen zusammen, um den langfristigen EU-Haushalt zu diskutieren, der von der Europäischen Kommission verwaltet wird. Er umfasst den Wiederaufbaufonds zur Bekämpfung der durch die Covid-19-Pandemie verursachten Rezession. Gast bei The Global Conversation ist Mário Centeno, Präsident der informellen Eurogruppe, in deren Rahmen sich die Finanzminister der 19 Länder der Eurozone treffen.

Euronews-Reporterin Isabel da Silva:
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie unser Gast sind.

Mário Centeno, Präsident der Eurogruppe:
Vielen Dank für die Einladung Isabel.

Euronews:
Vor Kurzem sind Sie als Finanzminister Portugals zurückgetreten, und Sie streben kein zweites Mandat als Präsident der Eurogruppe an - die Wahl steht Anfang Juli an. Warum wollen Sie keine Rolle mehr bei der Bekämpfung der Coronakrise spielen?

Mário Centeno:
Dafür gibt es keinen besonderen politischen Grund. Für mich ist es einfach das Ende eines Zyklus sowohl als Präsident der Eurogruppe als auch als portugiesischer Finanzminister. Ich denke, wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren viel erreicht. Im April dieses Jahres konnten wir zeigen, dass sich die Gruppe gut und sehr stark auf die Bekämpfung der Krise konzentriert. Es war der natürliche Lauf der Dinge.

Fehlt der Eurogruppe Macht?

Euronews:
Aber liegt es nicht auch daran, dass die Reform der Eurozone nicht vorankommt, dass es der Eurogruppe an Macht fehlt, um konkretere Ergebnisse zu erzielen?

**
Mário Centeno:**
Wir haben in Bezug auf Griechenland und die Reform des Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus viel erreicht. Wir haben im vergangenen Oktober auch den Keim des Haushalts der Eurozone gebilligt, der jetzt die Grundlage für die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Aufbau- und Resilienzfazilität bildet. Wir haben bewiesen, dass die Eurogruppe sehr wichtig für Europa ist. Ich bin sehr glücklich und zufrieden mit den Ergebnissen, die wir erreicht haben.

Euronews:
Die Eurogruppe bewilligte drei Darlehensinstrumente im Wert von 540 Milliarden Euro, um die Auswirkungen von Covid-19 zu bewältigen, aber sie riefen keine große Begeisterung hervor. Gibt es Mitgliedstaaten, die auf diese Instrumente zurückgreifen?

Mário Centeno:
Die Europäische Investitionsbank (EIB) bietet Unternehmen vorsorgliche Kreditlinien (Backstop), das ist fast umgesetzt. Und ich bin ziemlich sicher, dass die EIB-Garantien im Wert von 200 Milliarden Euro voll ausgeschöpft werden. Es gibt das SURE-(Notfall)-Instrument für Arbeitnehmer und die Länder haben die Europäische Kommission bereits über ihre Absicht informiert, diese Darlehen zur Finanzierung von Beschäftigungsförderungs-Programmen zu verwenden. Drittens greift der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Er ist ein Backstop für staatliche Verschuldung. Wir stellen in dieser Phase fest, dass die Märkte sehr, sehr gut auf alle Entscheidungen reagieren, die die Länder und die Europäische Union treffen. Es gibt reichlich Liquidität, keine Schwierigkeiten beim Marktzugang.

Euronews:
Die Europäische Zentralbank erhöhte ihr Programm zum Ankauf von Staatsschulden um 600 Milliarden Euro. Sie sind also zuversichtlich, dass die Märkte nicht von Turbulenzen von diesem Teil der Welt ausgehen?

Mário Centeno:
Die Antwort der Europäischen Zentralbank ist Teil unserer gemeinsamen Antwort. Seit Beginn der Krise belaufen sich die EZB-Programme auf fast 1,5 Billionen Euro. Das ist eine sehr starke Reaktion, und sie ist dringend notwendig, um eine Fragmentierung zu verhindern. Deshalb sage ich jedem, dass Europa wieder da ist und dass Europa auf der Grundlage eines echten europäischen Plans zurück ist.

Wiederaufbaumittel müssen an Bedingungen geknüpft werden

Euronews:
In Bezug auf den von der Europäischen Kommission vorgelegten Wiederaufbauplan sagten Sie, ich zitiere: "der Schwerpunkt sollte auf die Qualität der Ausgaben gelegt werden". Aber es gibt eine hitzige Debatte über das Gleichgewicht zwischen Zuschüssen und Darlehen. Was wird am Ende machbar sein, um die Mitgliedstaaten, die bekannten Sparsamen und die Ausgabefreudigeren zu überzeugen?

**
Mário Centeno:**
Die Verhandlungen werden hart geführt werden. Das steht fest. Aber es gibt eine mögliche gemeinsame Grundlage für das Gelingen der Verhandlungen. Es wird mit Sicherheit eine Mischung aus Darlehen und Zuschüssen sein. Das ist jedenfalls der Vorschlag der Kommission. Aber wir müssen uns auf zwei Dinge konzentrieren. Erstens: Es gibt eine Konditionalität. Es geht nicht um die Finanzierung vergangener Ausgaben oder laufender permanenter Transfers. Mit dem Wiederaufbau-Progamm soll ein ökologischer und digitaler Strukturwandel in Europa finanziert werden. Das ist sehr wichtig, und darauf müssen wir uns konzentrieren. Und die zweite Idee ist, dass es keine Troika-ähnliche Konditionalität gibt. Wir sind also stärker, weil wir flexibel und geeint sind.

Euronews:
Wir stehen am Anfang: Wie kann man sicherstellen, dass die EU-Länder in ihren nationalen Programmen auch noch in ein oder zwei Jahren an diesen Bedingungen festhalten, wenn sich die politischen Verhältnisse ändern, es wird Wahlen geben?

Mário Centeno:
Ich wiederhole es immer wieder, damit die Menschen es nicht vergessen: Wir hatten in der Zeit vor Covid-19 die am besten abgestimmten Finanzpolitiken in ganz Europa. Verpflichtungen wurden umgesetzt und eingehalten. Risikominderung ist für uns bereits seit mehr als fünf Jahren Realität. Die Koordinierung dieser Konjunkturprogramme ist Sache der Europäischen Kommission, aber ich bin auch ziemlich zuversichtlich, dass die Eurogruppe auch weiterhin eine sehr wichtige Rolle bei der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euroraum spielen wird.

Werden EU-Bürger europäische Schulden akzeptieren?

Euronews:
Werden die EU-Mitgliedstaaten in ein paar Jahren gemeinsame europäische Steuern zur Rückzahlung der gemeinsamen Schulden akzeptieren?

Mário Centeno:
Wir haben jetzt eine historische Möglichkeit, vorübergehend gemeinsame Schulden über die Europäische Kommission aufzunehmen. Diese müssen natürlich in einer noch zu definierenden längeren Laufzeit vollständig zurückgezahlt werden - vielleicht in 20 Jahren, vielleicht in 30 Jahren. Aus wirtschaftlicher und politischer Sicht ist es durchaus sinnvoll, diese Schuldtitel mit eigenen europäischen Finanzierungsmitteln zu versehen. Wir müssen also gemeinsam nach neuen Einnahmequellen für die gesamte Union suchen. Und es gibt eine sehr interessante Idee, nämlich diese Ressourcen mit den Pfeilern des Wiederaufbauprozesses zu verbinden, also mit der Digitalisierung und der grünen Wirtschaft. Wenn wir also diese beiden Aspekte verbinden, ist es viel einfacher, sie den europäischen Bürgern verständlich zu machen.

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