Eine Reform der Schuldenbremse wird laut Wirtschaftsexperten schwer sein. Die Märkte achten derweil auf politische Veränderungen.
Die CDU hat die Bundestagswahl gewonnen, aber mit nur 28,5 % der Stimmen auch ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis erzielt. Es wird wohl zu der schwächsten "Großen Koalition" aller Zeiten kommen, da das Zweierbündnis mit der SPD gerade so für eine Mehrheit reicht.
Nach einer langen Wahlnacht am 23. Februar konnte sich die politische Mitte in Deutschland behaupten, wenn auch nur knapp. Die CDU/CSU gewann 208 Sitze, gefolgt von der AfD mit 152 Sitzen.
Die SPD, die seit 2021 unter Scholz regiert, musste starke Verluste hinnehmen und fiel auf 120 Sitze zurück. Auch die Grünen, die Teil der Ampel-Koalition waren, mussten Einbußen hinnehmen, während die Linke als einer der überraschenden Wahlsieger auf 64 Sitze kommt.
Die FDP erlitt wiederum ein katastrophales Wahlergebnis und verlor alle 91 Sitze, die sie bei der Wahl 2021 gewonnen hatte. Sie scheiterte an der 5 %-Hürde. Der Vorsitzende Christian Lindner trat zurück.
"Die politische Landschaft in Deutschland ist zersplitterter denn je", erklärte Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei ING.
"Obwohl die Christdemokraten den ersten Platz belegten, haben sie das umfassende Reformmandat, das sich ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz erhofft hatte, bei weitem nicht erreicht", so die DWS am Montag in einer Mitteilung.
Trotz des Sieges von Merz war das Ergebnis der CDU/CSU alles andere als überwältigend und zwang die Partei zu Koalitionsgesprächen mit der SPD.
Markus Söder, der Vorsitzende der CSU, der bayerischen Schwesterpartei der CDU, hat eine Zusammenarbeit mit den Grünen bereits ausgeschlossen, sodass eine erneute "Große Koalition" die einzige realistische Option ist.
CDU/CSU und SPD haben bereits mehrfach gemeinsam regiert: 1966-1969, 2005-2009, 2013-2018 und 2018-2021 bildeten sie Große Koalitionen.
Das Dilemma der Schuldenbremse
Eine der größten Herausforderungen für die nächste Regierung ist die Frage, ob sie die Schuldenbremse reformieren kann, die die staatliche Kreditaufnahme streng begrenzt.
Goldman Sachs stellt fest, dass die Herausforderung darin besteht, dass AfD und Die Linke zusammen 216 Sitze - mehr als ein Drittel des Bundestages - halten, was ihnen die Möglichkeit gibt, ein Veto gegen jegliche Verfassungsänderungen einzulegen.
"Die AfD ist gegen eine Reform der Schuldenbremse. Die Linke ist gegen eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, auch wenn sie eine Reform der Schuldenbremse unterstützen könnte, um die Investitionen zu erhöhen", erklärt Niklas Garnadt, Ökonom bei Goldman Sachs.
Trotz dieser Hindernisse gibt es alternative Möglichkeiten, den fiskalischen Spielraum zu vergrößern.
Ein Ansatz könnte die gemeinsame europäische Finanzierung von Militärausgaben sein, da EU-Schulden nicht auf die deutsche Schuldenbremse angerechnet würden.
Eine andere Möglichkeit ist eine Reform der Schuldenbremse, die Die Linke unterstützen könnte, wenn sie an höhere Investitionsausgaben geknüpft ist.
Schließlich könnte die Regierung als Reaktion auf eine externe Krise die Ausweichklausel in Anspruch nehmen und die Verschuldungsgrenzen vorübergehend lockern. "Dies würde einen gewissen fiskalischen Spielraum über die Grenzen der Schuldenbremse hinaus in dem Haushaltsjahr schaffen, in dem die Ausweichklausel ausgelöst wird", so Garnadt.
Philip Bokeloh, leitender Ökonom bei ABN Amro, ist optimistischer, was die Reform der Schuldenbremse angeht.
"Eine Lockerung der Schuldenbremse öffnet auch die Tür für die Umsetzung der Vorschläge aus dem Draghi-Bericht, der eine weitere europäische Integration und höhere Investitionen in Energiewende, Innovation und Verteidigung fordert", so Bokeloh.
Begrenzter Spielraum für große Wirtschaftsreformen, aber Überraschungen sind möglich
Jenseits der Schuldenbremse sind Ökonomen skeptisch, dass eine CDU/CSU-SPD-Regierung größere Strukturreformen durchsetzen wird.
"Die Sehnsucht vieler Deutscher und Europäer nach politischer und wirtschaftlicher Stabilität in Deutschland wird heute nicht enden, und es ist schwer vorstellbar, dass die nächste Regierung in der Lage sein wird, viel mehr für die Wirtschaft zu erreichen als eine kurzzeitige positive Wirkung einiger Steuersenkungen, kleiner Reformen und etwas mehr Investitionen", so Brzeski von ING.
"Eine Reform des Rentensystems scheint höchst unwahrscheinlich", fügte er hinzu.
Nach Ansicht der DWS wird dies "kurzfristig etwas enttäuschend für die Aktienmärkte sein. Mittelfristig werden jedoch die tatsächlichen politischen Auswirkungen wichtiger sein als das Wahlergebnis".
Trotz der politischen Ungewissheit gebe es nun "ein spürbares Gefühl der Dringlichkeit bei den wichtigsten politischen Entscheidungsträgern, nicht zuletzt angesichts des internationalen Drucks", so die DWS-Analysten. "Dies könnte den Weg für eine relativ reibungslose Koalitionsbildung ebnen, was für die Märkte eine leicht positive Überraschung sein könnte."
Am Montag kletterte der Deutsche Aktienindex (DAX) bis 11 Uhr MEZ nach den Wahlergebnissen um 1,6 % und war damit auf dem Weg zu seinem besten Ergebnis seit Mitte Januar. Vonovia SE und Rheinmetall AG führten die Kursgewinne mit einem Plus von 4,1 % bzw. 3,9 % an.