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Stellenabbau spitzt sich zu: Das fordert die Autobranche jetzt von der Regierung

Die deutsche Autoindustrie droht Verluste zu machen. Wie kann Deutschland die Branche retten?
Die deutsche Autoindustrie droht Verluste zu machen. Wie kann Deutschland die Branche retten? Copyright  AP Photo
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Von Franziska Müller
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50.000 Stellen hat die Automobilbranche in Deutschland vergangenes Jahr verloren, doch auch Gewinne und Verkäufe gehen zurück. Diese Forderungen stellt die Branche an die Bundesregierung, um wieder auf die richtige Spur zu kommen.

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5.000 bei Daimler, 3.000 bei Volvo in der Verwaltung, 35.000 bei VW und 13.000 bei Bosch. Die Nachrichten über Stellenabbau bei den größten Playern der Automobilbranche reißen nicht ab, die Industrie befindet sich in Deutschland weiter im freien Fall.

Zwar konnten die Entlassungen bei VW vorerst aufgrund von Verhandlungen mit der IG Metall abgewandt werden, doch zwei Werke werden ihre Produktion einstellen. Laut Volkswagen-Konzernchef Oliver Blume fällt der Standort Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit weiter zurück.

Blume hatte dem Wolfsburger Autobauer daher ein milliardenschweres Sparprogramm verordnet und selbst Werksschließungen nicht mehr ausgeschlossen. Die Produktion im Dresdner Werk wird Ende 2025 eingestellt, das Werk in Osnabrück soll im Spätsommer 2027 folgen. Dadurch soll Platz für neue Funktionen entstehen.

Daimler Truck hingegen verkündete im Juli des laufenden Jahres, dass rund 5.000 Arbeitnehmer in Deutschland um ihre Stellen bis 2030 fürchten müssen. Der Nutzfahrzeughersteller - der insbesondere die Mercedes-Benz-Gruppe beliefert, peilt damit an, profitabler zu werden und seine Gewinnmarge zu vergrößern.

50.000 Stellen weniger in der deutschen Automobilindustrie

Die Zahl der Jobs in der deutschen Automobilindustrie sank im Jahresvergleich um 6,7 Prozent, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung EY. Der Stellenabbau ist die Reaktion auf eine weiterhin schwache Umsatzentwicklung.

Das bedeutet in absoluten Zahlen: Innerhalb eines Jahres fielen in der Autoindustrie etwa 51.500 Stellen weg, seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 sank die Zahl der Jobs sogar um gut 112.000. Keine andere Industriebranche hat einen derart starken Beschäftigungsabbau zu verzeichnen.

"Die deutschen Autokonzerne und Zulieferer reagieren mit einem konsequenten Sparkurs auf die schwierige Lage der Branche", beobachtet Jan Brorhilker, Managing Partner des Geschäftsbereichs Assurance von EY in Deutschland.

2024 hat die deutsche Automobilindustrie fast vier Prozent weniger als noch im Vorjahr produziert. Die Gewinne schwinden sowohl bei Volkswagen als auch BMW, zwei der größten deutschen Autobauer. Auch die Verkaufszahlen sinken.

Experte: Bürokratie abbauen, Innovationen bringen

"Wir brauchen Produktivitätsfortschritte und zwar massiv, damit wir uns unseren Standort überhaupt leisten können", so Achim Kampker, Ingenieur und Professor für Produktionsmanagement an der RTWH Aachen, zu Euronews. Unter dem ehemaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck war er Mitglied des Expertenkreises Transformation der Automobilwirtschaft und plädiert für neue Rahmenbedingungen.

"Wir müssen uns jetzt beeilen, sowohl Rahmenbedingungen auf staatlicher Seite zu schaffen - nicht nur darüber zu reden, dass wir Bürokratie abbauen, sondern das auch wirklich zu tun - aber auch auf Unternehmerseite, wirklich wieder Unternehmer sein und Innovationen als erste bringen."

Diese Position habe Deutschland beispielsweise bei der Erfindung und Umsetzung des Airbags gehabt. "Damit sind wir dann auch wieder im Wettbewerb". Denn neue Themen, die "jetzt nicht in Europa  aufgebaut werden, sind erstmal weg für das nächste Jahrzehnt oder für die nächsten zwei Jahrzehnte und dann wird es halt mühsam, mitzuhalten."

Transformationsprozess durch Politik moderieren

Eine Studie, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) in Auftrag gegeben wurde, stellte fest: Der Transformationsprozess der Automobilwirtschaft muss durch Politik moderiert werden.

Die Autoren stellen in Aussicht, dass die Zahl der Arbeitsplätze durch die Umstellung auf Elektromobilität zunächst zurückgehen werde. Sowohl in der Automobilindustrie als auch im Automobilhandel und Aftermarket seien bis 2040 jeweils bis zu 300.000 Arbeitsplätze gefährdet, schätzen die Experten. Dies entspricht etwa jeweils einem Drittel bzw. der Hälfte der Beschäftigten im Jahr 2017.

Diese Effekte ließen sich abmildern, wenn "vorausschauende Maßnahmen" ergriffen würden. "Durch gezielte, planvoll aufeinander abgestimmte Maßnahmen kann die Politik im Zusammenspiel mit den Unternehmen und Sozialpartnern die Voraussetzungen dafür schaffen", heißt es in der Analyse. Der Automobilwirtschaft in Deutschland könne in diesem Fall auch künftig eine wichtige Rolle als Innovationstreiber und Arbeitsplatzgarant zukommen.

Kfz-Steuerbefreiung soll bis 2035 gelten

Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) gibt ein erstes Zeichen einer Erleichterung: Mit der Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos bis 2035 soll die Branche gestützt werden.

Er sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Damit wir in den nächsten Jahren sehr viel mehr Elektroautos auf die Straße bringen, müssen wir jetzt die richtigen Anreize setzen. Deshalb werden wir E-Autos weiterhin von der Kfz-Steuer befreien."

Geplant ist ein Gesetzesentwurf. Die bisherige Steuerbefreiung wäre zu Beginn des Jahres 2026 ausgelaufen, was neue zugelassene reine E-Autos betrifft. Eine Begrenzung des Mechanismus auf maximal zehn Jahre soll Anreiz für eine frühzeitige Anschaffung eines reinen Elektrofahrzeuges geben, heißt es aus dem Finanzministerium. Die Automobilindustrie hatte die Fristverlängerung konkret gefordert.

Eine Maßnahme im Sinne der Verbraucher?

Mehr Elektroautos neu zugelassen

Nach neuesten Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts wurden im September rund 45.500 Elektroautos zugelassen, knapp jeder fünfte Neuwagen. Insgesamt pendelt der Marktanteil von Elektro-Autos jedoch weiterhin bei etwa 19 Prozent.

Die Zulassungszahlen des ersten Halbjahres 2025 übertreffen alle bisher dagewesenen Werte. Der neue Höchstwert beläuft sich auf knapp 250.000 Neuzulassungen von Elektro-Fahrzeugen.

Allerdings reiche eine Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung nicht aus, um die Automobilindustrie zu stabilisieren und Arbeitsplätze zu sichern, so IG-Metall-Chefin Christiane Benner. Sie forderte weitere Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität. Als Beispiel nannte sie steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten auch für Privatpersonen, ein sozial ausgestaltetes Leasingmodell und eine Förderung beim Kauf von gebrauchten Elektroautos.

Das fordert die Automobilbranche selbst

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) forderte Ende September 2025 "ein starkes Aufbruchs- und Wachstumssignal" für die Branche im kommenden Haushalt. "Dazu gilt es, klare Prioritäten zugunsten der generellen Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts zu setzen: bei den Energiepreisen, bei der E-Mobilität, der Lade- und Tankinfrastruktur und bei Schlüsseltechnologien", kommentierte VDA-Präsidentin Hildegard Müller.

"Die hohen Strompreise bringen den Industriestandort im internationalen Wettbewerb nach wie vor in Bedrängnis", heißt es in der Pressemitteilung weiter. Im Jahr 2022 hat der Strompreis in der Industrie auf ein Vielfaches erhöht - unter anderem aufgrund des Transfers von Energiequellen außerhalb der russischen Erzeuger als Konsequenz auf den Krieg in der Ukraine.

Seither hat sich der Preis zwar wieder zurückentwickelt, ist aber nach Berechnungen der BDEW-Strompreisanalyse auf einem höheren Niveau verblieben.

Neben einer Stabilisierung des Industriestrompreises wird auch die konkrete Anwendung von Fördermitteln empfohlen, so etwa für die Batterieforschung. Technologisch soll Deutschland durch die "rasche Umsetzung der 'Hightech Agenda Deutschland'" wieder aufholen.

"Daneben braucht die Infrastruktur in ganz Deutschland dringend einen Modernisierungsschub", heißt es weiter. Dafür sind Mittel aus dem jüngst beschlossenen Sondervermögen vorgesehen, doch diese müssen "auch an den richtigen Stellen ankommen, effizient und effektiv genutzt werden, um so auch Privatinvestitionen auszulösen", warnt Verbandschefin Müller.

Wirtschaftsministerin Reiche: "Deutschland braucht Wachstum"

Letztendlich geht es um die Neuverteilung finanzieller Mittel, um sowohl Wertschöpfung als auch Arbeitsplätze in der deutschen Industrie langfristig zu sichern. Deutschland könne durchaus Innovations- und Industriestandort bleiben.

Soeben hat Wirtschaftsministerin Katherina Reiche eine "Wachstumsagenda für Deutschland", ein Gutachten des wissenschaftlichen Beraterkreises beim Bundesministerium, vorgestellt. "Die Botschaft ist eindeutig: Deutschland muss seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Deutschland braucht Wachstum", sagte Reiche auf X.

Am Donnerstag will Bundeskanzler Merz bei einem Automobiltreffen mit Branchenmitgliedern an Lösungen arbeiten. Unter anderem das geplante Verbrenner-Aus bezweifelt der CDU-Politiker.

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