Größere und gesündere Wälder: Wie können wir unsere Kohlenstoffsenken schützen?

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Von Cyril FournerisSabine Sans
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Schweden ist ein Treiber der grünen Ambitionen der EU, außer wenn es darum geht, im eigenen Land weniger Bäume zu fällen. Das nordische Land im Spagat zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichen Interessen.

Schweden hat die Europäische Union dazu gedrängt, ehrgeizigere Klimaziele zu verfolgen und seine Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um die EU-Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Schweden selbst will bis 2045 klimaneutral werden - fünf Jahre früher als das EU-weite Ziel - der schwedische Umweltminister forderte während der Verhandlungen über das europäische Klimagesetz höhere Emissionssenkungen als die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen minus 55 Prozent bis 2030.

Die Rolle der Wälder

Schwedens Klimaziele fußen auf einem entscheidenden natürlichen Vorteil: 70 Prozent des Landes sind mit Wäldern bedeckt. Das Land ist einer der größten Kohlenstoffsenken in der EU. Schwedische Europaabgeordnete pochen jedoch darauf, dass der nationale Schatz ihres Landes nicht wie ein riesiger Airbag behandelt werden sollte, um unzureichende Emissionssenkungen anderer Länder auszugleichen.

In Europa haben wir das Glück, wunderschöne Wälder zu haben. Sie sind lebenswichtig: Sie reinigen die Luft und bekämpfen den vom Menschen verursachten Klimawandel. Und sie sind auch sehr begehrt und werden wirtschaftlich ausgebeutet. 

In Schweden ist Kahlschlag eine beliebte Methode. Mit großen Maschinen werden alle Bäume eines Gebiets abgeholzt, um Häuser, Möbel und Papier herzustellen. 

Wir haben Wälder zerstört, neu gepflanzt und industriell ausgebeutet. In Europa hat ihre Fläche zugenommen, aber ihre Gesundheit nimmt ab. Wie kann man sie hegen?

Um diese Frage zu beantworten, ist euronews-Reporter Cyril Fourneris durch Europas Land mit der meisten Waldfläche gereist: Schweden.

Wald bedeckt zwei Drittel des Landes und bietet vielen Menschen eine Lebensgrundlage. Schweden ist einer der weltweit größten Exporteure von Holzwerkstoffen. Eine Industrie, die viele, viele Bäume braucht.

Werden die schwedischen Wälder gut bewirtschaftet?

In diesem als umweltfreundlich geltendem Land sind viele alte Wälder verschwunden und durch Monokultur-Plantagen ersetzt worden.

Per Jiborn kennt sich mit dem Thema gut aus. Er zeigt dem Reporter eine in Schweden häufig angewandte Technik. Man nennt sie Clearcutting, d.h. Kahlschlag.

"Vor 10 Jahren war das alles noch Wald. Jetzt hat man den ganzen Tag Sonne", sagt das Vorstandsmitglied der schwedischen Gesellschaft für Naturschutz. "Das wird austrocknen. Die hier lebenden Insekten müssen mit einem komplett anderen Umfeld klarkommen." 

Jetzt werden junge Kiefern angepflanzt. Aber ein Ökosystem kann man nicht einfach nachpflanzen. Das sagt ein anderer Waldschützer, den der Reporter in einem für die Region typischen Wald trifft: eine Monokultur, eine Art, gleiche Größe. 

Plockhugget-Oberförster Markus Steer zufolge verringert diese Bewirtschaftung die Aufnahme der Treibhausgase:

"Wenn sich das organische Material zersetzt, entweicht CO₂ in die Atmosphäre. Aber ein Wald hat auch die Aufgabe, Kohlenstoff zu speichern. Bei einem Kahlschlag findet so gut wie nur die Zersetzung statt. Und das bedeutet, dass an diesen Stellen hier in Schweden – laut einigen Wissenschaftlern - der Wald mindestens sieben Jahre lediglich eine Kohlenstoffquelle für die Atmosphäre ist."

Foto: Peter Johnson
Eine schnelle und einfache Methode, das Alter eines Baumes zu schätzen, ist, ihn zu umarmen.Foto: Peter Johnson

Es gibt aber auch gesunde Wälder. Der Oberförster berät Landbesitzer, die ihren Wald nachhaltig bewirtschaften wollen. Wir treffen einen von ihnen.

Im Wald von Peter Johnson gibt es keine Kahlschläge: Die Bäume, die gefällt werden, werden ausgewählt. Bäume mit einem hohen ökologischen Wert bleiben stehen. Und davon gibt es viele. 

In seinem Wald wachsen Fichten, Kiefern, Birken, Eichen, Espen und Ahorn, er wird nach der Technik der 'permanenten Waldbedeckung' bewirtschaftet – mit finanziellem Profit:

"Jetzt haben wir nur noch die Kosten für das Abholzen eines Baumes, der einen guten Gewinn abwirft", erklärt der Waldbesitzer. "Und es gibt immer noch den Wald. Viele Kosten, die wir für das Fällen kleiner Bäume hatten, sind weggefallen."

Foto: Peter Johnson
Markus Steer zufolge ist ein Indikator für eine gute Waldgesundheit das Moos auf dem Boden. Es ermöglicht dem Wald, seine Rolle als "Kohlenstoffsenke" zu spielenFoto: Peter Johnson

Dieser Wald erfüllt seine Rolle als Kohlenstoffsenke. Das ist eines der Ziele eines großen europäischen Gesetzentwurfs zur Wiederherstellung der Wälder

"All dieses weiche Moos hier: Das ist Kohlenstoff", erklärt Oberförster Markus Steer.  "Das ist fast nur Kohlenstoff, das auch und all das summiert sich im Boden. Wenn man kahlschlägt, trocknet das aus und stirbt ab."

"Ein Kahlschlag ist eine Klimabombe. Wenn man den Kahlschlag aus der Forstwirtschaft verbannt, verhindert man diese Bombe! "
Markus Steer
Oberförster

Die schwedische Holzindustrie bestreitet das. Man pflanze mehr Bäume wieder an, als man fälle. Das wirke sich positiv auf das Klima aus.

Zwischen diesem mächtigen Wirtschaftssektor und der Europäischen Union, die vor kurzem ihre neue Waldstrategie vorgestellt hat, ist ein Kräftemessen im Gange. Mehr dazu wollen wir in Brüssel erfahren.

Was tut die EU für die Wälder?

Der Euronews-Reporter ist im Forêt de Soignes, einem Vorort von Brüssel. Er ist einer der größten vorstädtischen Wälder Europas. Er ist von der UNESCO und Natura 2000 geschützt.

Die Europäische Union möchte den Zustand der Ökosysteme weit über Naturparks hinaus verbessern, bis 2050 sollen alle, die es nötig haben, wiederhergestellt sein. 

Doch in den Wäldern gibt es noch viel zu tun. Die Hälfte ist laut EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius in einem schlechten Zustand:

Virginijus Sinkevičius, EU-Kommissar für Umwelt, Ozeane und Fischerei:"Wälder sind Multitalente. Sie reinigen unsere Luft, spenden uns Schatten und mildern die Temperaturen, aber sie sind auch eine große Kohlenstoffsenke. Und wenn wir diese Kohlenstoffsenken verlieren, dann verlieren wir einen der wichtigsten Werte, die uns die Wälder bringen." 

Euronews: "Können wir die Dinge zum Besseren wenden?"

Virginijus Sinkevičius:"Wir können das umkehren, aber wir dürfen Wälder nicht nur als Holzlieferant sehen. Wir müssen die anderen Werte der Wälder sehen, und natürlich versuchen, die Waldbesitzer dafür zu belohnen. Wir müssen in eine bessere Bewirtschaftung der Wälder investieren. Denn sie schützen uns auch vor Naturkatastrophen. Sie leisten eine großartige Arbeit, indem sie Erdrutsche, Dürreperioden und sogar Überschwemmungen verhindern".

Euronews: "Gibt es in der EU einen Konsens darüber, wie wir unsere Wälder besser bewirtschaften können?"

Virginijus Sinkevičius:"Jeder Mitgliedstaat ist sehr stolz auf seine Praktiken, wie er seine Wälder bewirtschaftet, und das freut mich. Aber mit dem Verlust von Senken, dem Rückgang der Lebensräume, sind einige dieser Praktiken nicht so gut, wie die Mitgliedsstaaten denken. Aber das Gute ist, dass sich alle um die Wälder kümmern und den Waldbestand erhalten und vergrößern wollen. Wir sollten einfach über den Baum hinausblicken, dann werden wir die schönsten und gesündesten Wälder haben." 

Wird ein künftiges europäisches Gesetz zur Wiederherstellung der Natur die Landschaft in Schweden verändern? Diese Frage hat der euronews-Reporter den drei Waldschützern bei einer Tasse Kaffee gestellt.

Oberförster Markus Steer sagt: "Eigentlich finde ich eine künftige Gesetzgebung schlecht, weil ich wirklich denke, dass sie nicht notwendig sein sollte. Aber solange die Geschichte erzählt wird, dass es eine schlechte Idee ist, Wälder ohne Kahlschlag zu bewirtschaften, findet der Wandel nicht statt, also regelt das mit Gesetzen!"

Waldbesitzer Peter Johnson meint: "Das Wichtigste ist, die Risiken zu streuen und dafür zu sorgen, dass die Industrie nicht so groß und zu hungrig wird und mehr nimmt, als der Wald liefern kann."

Und das Vorstandsmitglied der schwedischen Gesellschaft für Naturschutz Per Jiborn findet: "Ich denke, es ist eine Chance. Denn wir können mehr Wald für die Erholung und den naturbasierten Tourismus nutzen, und wir könnten mehr Geld verdienen und mehr Arbeitsplätze schaffen."

Die in diesem Bericht geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich die der jeweiligen Redner und geben nicht unbedingt die Ansichten und Meinungen der Europäischen Kommission oder anderer EU-Stellen wieder.

Weitere Quellen • Kameramann: Matthieu Bacques; Cutter: Guillaume Carrolle.

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