Die europäischen Offshore-Windparks werden zu Mehrzweckstandorten umgestaltet. Das erste Projekt im kommerziellen Maßstab hat erfolgreich Algen zwischen Windkraftanlagen in der niederländischen Nordsee geerntet.
Achtzehn Kilometer vor der holländischen Küste drehen sich in den Gewässern des Offshore-Windparks Hollandse Kust Zuid – dem größten der Welt, der ohne staatliche Subventionen gebaut wurde – riesige Turbinen, die unaufhörlich Windenergie erzeugen. Doch in diesem Gebiet wird nicht nur Energie gewonnen.
In den Gewässern schwimmt, geschützt vor dem Schiffsverkehr, die North Sea Farm 1, eine fünf Hektar große experimentelle Algenplantage. Sie ist Teil eines wegweisenden Experiments, bei dem Offshore-Windenergie mit Meereslandwirtschaft kombiniert wird – und gerade hat sie die erste Ernte eingebracht.
Raum zum Wachsen
Im Gegensatz zu küstennahen Algenfarmen, die mit Platzmangel und intensiver menschlicher Aktivität zu kämpfen haben, bieten Offshore-Standorte Gewässer ohne Schiffsverkehr. Aber auch diese sind mit technischen und finanziellen Herausforderungen verbunden.
"Das ist technisch viel anspruchsvoller", erklärt Eef Brouwers, Geschäftsführer der Non-Profit-Organisation North Sea Farmers, die das Projekt leitet. "Das Meer ist rauer und in der Regel tiefer, sodass man mehr Material für die Farm braucht. Im küstennahen Bereich ist der Anbau deutlich einfacher. Aber dieser Raum ist begrenzt. Wo soll man also zukünftig Algen kultivieren? Wo kann man das in den nächsten 10 bis 20 Jahren skalieren? Man braucht eine andere Lösung und muss offshore Tests durchführen."
Das Team hofft, dass das Projekt nicht nur den ökologischen Wert von Offshore-Algenfarmen – die die marine Biodiversität fördern und Kohlendioxid binden können – unter Beweis stellen wird, sondern auch deren wirtschaftliche Rentabilität. Damit wäre dies einer der ersten konkreten Schritte auf dem Weg zur nächsten Stufe der blauen Wirtschaft in Europa.
Und die ersten Ergebnisse sind vielversprechend.
"Ja, es funktioniert", sagt Mike Sammon, ein Aquakulturberater aus Irland, der mit dem Partnerunternehmen Simply Blue zusammenarbeitet. "Die Algen wuchsen wirklich gut und sehr schnell. In Zukunft kann das also funktionieren."
An den Algenseilen kann man sogar Baby-Muscheln finden, was auf das Potenzial für eine Mehrarten-Aquakultur in Windparks hindeutet. Es ist ein kleiner Einblick, wie Offshore-Flächen eines Tages eine neue Art der Landwirtschaft ermöglichen könnten – eine, die vollständig auf dem Meer basiert.
Die Finanzierung der North Sea Farm 1 umfasst 2 Millionen Euro aus dem Right Now Climate Fund von Amazon, mit dem die Erforschung der ökologischen Vorteile der Offshore-Aquakultur unterstützt wird. Für Jasmine Hyman, die Leiterin des Fonds, sind die wichtigsten Fragen klar: "Wie hoch ist das Potenzial zur Kohlenstoffbindung? Was ist der Vorteil für die Biodiversität? Wie kann dieses Gebiet zwischen den Windparks den Menschen durch das Biomaterial wirklich zugute kommen?"
Die nächste Generation der blauen Wirtschaft in Europa
Parallel dazu untersuchen europäische Wissenschaftler, wie man solche Offshore-Farmen für Algen und Muscheln effizienter und skalierbarer machen kann. Das ULTFARMS-Projekt versucht, einige der noch offenen Fragen zu klären und Wachstumsbarrieren zu beseitigen. Die Aquakultur-Expertin Eva Strothotte leitet die beiden Pilotstandorte des Projekts in Deutschland.
"Wir brauchen mehr Daten", so Strothotte. "Versicherungsgesellschaften brauchen zum Beispiel eine bessere Grundlage, um zu verstehen, wie sie Offshore-Aquakulturen versichern können. Können wir genug anbauen, um daraus ein rentables Geschäft zu machen? Und wie können wir das am besten überwachen? Wir müssen das Design und die Verankerung anpassen."
Um diese Fragen zu beantworten, hat sich ULTFARMS mit der örtlichen Club-of-Rome-Schule "Lernwerft" zusammengetan, wo Schüler praktische Erfahrungen bei der Überwachung des Algenwachstums auf Testrahmen sammeln können. Sie fotografieren die Algen jede Woche und analysieren ihre Entwicklung, um den Wissenschaftlern Daten aus der Praxis zu liefern.
"Wir machen die Fotos, damit wir den Entwicklungsprozess der Algen verfolgen können, und um zu beobachten, welche Methode am besten funktioniert", erklärt Thea Koriath, eine der beteiligten Schülerinnen.
Ihr Klassenkamerad Ole Carnehl fügt hinzu: "Das ist ja eine hochaktuelle Forschungsrichtung, die gerade sehr viel Fortschritt macht. Deswegen finde ich es sehr interessant, dass wir das im Schulalltag auch schon mitbegleiten können. An was hier geforscht wird, könnte unsere Zukunft in großem Maße beeinflussen."
Im Rahmen des Projekts werden auch Unterwassersensoren und digitale Hilfsmittel getestet, die eine Fernverwaltung von Offshore-Farmen ermöglichen könnten – ein Muss für den Betrieb fernab der Küste.
Unterdessen tragen öffentliche Aufklärungskampagnen dazu bei, die Europäer mit dem Potenzial von Meeresalgen vertraut zu machen. Bei SeaLevel, einer kostenlosen Meeresausstellung in Kiel, erfahren Besucher, wie Algen zu nachhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln, Kunststoffalternativen und pflanzlichen Düngemitteln verarbeitet werden können.
Zurück auf der North Sea Farm 1 in den Niederlanden weist Eef Brouwers darauf hin, dass die Offshore-Kultivierung eine zuverlässigere und nachhaltigere Alternative zu wild geernteten Algen darstellen könnte, die bereits in einigen europäischen Branchen verwendet werden.
"Man kann Plastikverpackungen, Dünger und Pestizide ersetzen", sagt Brouwers. "All diese Produkte werden schon heute aus Algen hergestellt, aber noch nicht aus kultivierten Algen aus Europa. Genau das wollen wir ändern."
Da die Nachfrage nach nachhaltigen Materialien wächst und der nutzbare Platz auf dem Meer limitiert ist, könnte die Kombination von Windenergie und Meeresfarmen zu einem wichtigen Baustein von Europas grünem Wandel werden.
Wenn dieses Mehrzweckmodell erfolgreich ist, könnte es dazu beitragen, Menschen zu ernähren, den Klimawandel zu bekämpfen und die weiten Meere Europas optimal zu nutzen.