Molenbeek - Terrorhochburg im Herzen von Brüssel?

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Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek ist erneut in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt, nachdem bekannt wurde, dass mindestens zwei der Pariser

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Der Brüsseler Stadtteil Molenbeek ist erneut in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt, nachdem bekannt wurde, dass mindestens zwei der Pariser Attentäter der vergangenen Freitagnacht von hier stammen.

In der Tat kommen aus keinem anderen Ort in Europa pro Kopf der Bevölkerung so viele Freiwillige, die als Dschihadisten in Syrien angeheuert haben.

Im Alltag ist es aber offenbar nicht möglich, rechtzeitig zu erkennen, wer sich radikalisiert hat, wie eine Bewohnerin Euronews erzählte:

“Was passiert ist, ist sehr, sehr schlimm. Wir sind hier überhaupt nicht glücklich darüber.
Aber was die Menschen hier tun oder nicht tun, dass sieht man nicht. Wenn man dann hört, was passiert, ist man schockiert.
Das sind Leute hier aus der Nachbarschaft und man fragt sich: wow, was ist denn hier los?”

Auch vor dem Rathaus von Molenbeek, gedachte man der Opfer um zwölf Uhr mittags mit einer Schweigeminute.

Bürgermeisterin Francoise Schepmans zeigte sich anschließend gegenüber Euronews selbstkrtisch:

“Der Alltag in Molenbeek ist ja unproblematisch. Das ist es ja auch, was uns in die Irre geführt hat: ‘Solange hier alles friedlich ist, kann man ja diejenigen, die an den Rändern, im Schatten existieren, in Ruhe lassen’, haben wir gedacht. Wir haben es versäumt, Fragen zu stellen.”

Der erste stellvertretende Bürgermeister, Ahmed El Khannouss, räumt denn auch ein, dass das Viertel durchaus günstige Bedingungen für jemanden bietet, der untertauchen will.

“Wir haben hier Gegenden, die recht arm sind, wo die Mieten billig sind, und es eine hohe Umzugsrate gibt. Wenn man in böser Absicht kommt und möglichst in der Menge untertauchen will, dann geht das dort.”

Aber die Bewohner wehren sich dagegen, dass Molenbeek bloß als Dschihadisten-Hochburg abgestempelt wird.

So auch die Sozialarbeiterin Yasmine Benhammou:

“Hier herrscht jetzt natürlich Verwirrung. Selbstverständlich verurteilen wir die Anschläge aufs Schärfste, aber man muss doch auch festhalten, dass nicht Molenbeek Schuld daran ist, und vor allem auch nicht die Religion. Unsere Religion hat nie gepredigt, wem auch immer das Leben zu nehmen.”

Euronews-Korrespondentin Arianna Sgammotta sprach mit dem belgischen Terrorismusexperten Claude Moniquet, Direktor von ESISC, über Molenbeek und die Terrorgefahr.

Euronews
Ist Molenbeek die Heimatbasis des dschihadstischen Terrorismus in Europa?

Claude Moniquet
Nein, DIE Basis in Europa ist es nicht. Aber: seit etwa zwanzig Jahren nun schon lassen sich Verbindungen zwischen islamistischen Terrorzellen in Frankreich und Brüssel, und speziell Molenbeek nachweisen.
Als ich vor 20 Jahren über die GIA gearbeitet habe, die Bewaffnete Islamische Gruppe, die in Paris damals Bomben zündete, haben wir schon Vernindungen nach Molenbeek gefunden.
Es gibt also in der Tat ein Problem in Molenbeek, was zunächst auch an der kulturellen und geographischen Nähe zu Frankreich liegt. Die islamistischen Bewegungen beider Länder durchdringen sich grenzübergreifend.

Euronews
Gibt es ein spezifisch Brüsseler, oder auch belgisches Problem beim Kampf gegen den Dschihadismus in Europa?

Moniquet
Es gibt eine schwierige Situation, die nicht leicht zu beherrschen ist, allerdings nicht nur für Belgien, sondern auch für Frankreich oder England.
Es hat lange Zeit zu viel Toleranz geherrscht und es ist zuwenig getan worden, angesichts einer Gefahr, die nun massiv geworden ist.
Vor zehn Jahren, zu Zeiten von al-Qaida gab es in Europa einige hundert Sympathisanten. Heute, zu Zeiten des Islamischen Staats, gibt es sechs bis siebentausend Europäer, die sich entweder dem Dschihad bereits angeschlossen haben, oder es vorhaben, und darüberhinaus rund zehn- bis fünfzehntausend Sympathisanten.
Die Gefahr ist in ihrer Größenordnung eine völlig andere geworden.

Euronews
Der belgische Innenminister hat, so wörtlich, “Säuberungen” in Molenbeek angekündigt. Was kann er damit gemeint haben?

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Moniquet
Das Wort “Säuberung” ist zweifelsohne schlecht gewählt. Es gibt allerdings ein spezifisches Problem in Molenbeek, das damit zusammenhängt, dass es eine schwierige Gemeinde ist, in der aus politischen und wahltaktischen Gründen seit zwanzig Jahren die Entwicklung einer Situation erlaubt wurde, die nun außer Kontrolle geraten ist.
Der örtlichen Polizei wurde verboten, gewisse Operationen durchzuführen, sei es Nachforschungen, Kontrollen, oder auch Überwachung.
In Mons hat Innenminister Jambon ja gesagt, dass im Januar eine Reihe von Entscheidungen über Maßnahmen getroffen wurden, die aber gerade in Molenbeek nicht durchgeführt wurden.
Jetzt hat er, so verstehe ich das, beschlossen, seine Verantwortung Ernst zu nehmen und die Polizei in Molenbeek so arbeiten zu lassen, wie sie in den anderen Gemeinden und Städten Belgiens arbeitet.

Euronews
Welche Maßnahmen sollten denn ihrer Meinung nach ergriffen werden, um gegen diese Art von Anschlägen gewappnet zu sein?

Moniquet
Wir brauchen starke gesetzliche Maßnahmen. In Frankreich wird das auch kommen, in Form einer Reihe von Maßnahmen, darunter zweifelsohne zur Überwachung, vielleicht auch Formen von Hausarrest und, wenn sich die Situation weiter verschlechtert, die Möglichkeit von Vorbeugehaft für gewisse Personen.
Belgien hat ein anderes Rechtssystem, und deshalb wird es hier nicht passieren, dass man über Nacht etwa 500 Personen verhaftet, das ist hier unmöglich.
Was mir aber wohl möglich erscheint, ist eine Debatte über Gesetze, die eine automatische Kriminalisierung von Heimkehrern aus Syrien gestatten.
Heute ist das nicht der Fall. Man muss beweisen, dass jemand ein konkretes Verbrechen in Syrien begangen hat, um ihn anzuklagen, was natürlich unmöglich ist.

Euronews:
Was halten Sie von einem zentralen Europäischen Nachrichtendienst?

Moniquet
Die Nachrichtendienste sind eine komplexe Angelegenheit. Sie arbeiten ja in den verschiedenen Ländern auf sehr unterschiedliche Weise.
Auf der einen Seite gibt es sehr liberal ausgerichtete Länder wie die skandinavischen Länder und die Niederlande, auf der anderen Seite Länder wie Frankreich und Großbritannien.
Die Franzosen und die Briten haben sehr offensiv gesinnte Nachrichtendienste, die auch im Ausland sehr aktiv sind und außerhalb der Legalität operieren, bis hin zur Eliminierungsaktionen.
So etwas würden die Dänen, Schweden, Belgier oder Luxemburger niemals tun.
Die Ermittlungskultur ist einfach nicht dieselbe. Allgemein gesprochen kann man sagen, dass man Geheimnisse herausfindet um sie zu hüten und nicht, um sie zu teilen.

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