Schreibtischtäter und Folterer sind gleichermaßen verantwortlich

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Von Hans von der Brelie
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Die Generalbundesanwaltschaft Karlsruhe ermittelt gegen syrische Geheimdienstchefs und Gefängnisdirektoren, das Weltrechtsprinzip ermöglicht dies.

Wie und warum ist es überhaupt möglich, dass in der Bundesrepublik Deutschland gegen hohe syrische Entscheidungsträger ermittelt wird? Mit dieser Frage haben wir uns auf den Weg zu Robert Frau gemacht, einem jungen Völkerrechtsexperten, der derzeit an der Universität Potsdam lehrt. Das Jahr 2017 hat gezeigt, dass die deutsche Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe durchaus bereit und willens ist, gegen mutmaßliche syrische Kriegsverbrecher, Folter-Verantwortliche und solche Befehlshaber, die schwerster Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden, Ermittlungen einzuleiten.

Im Zuge des massenhaften Flüchtlingszuzugs von Syrien über die Türkei und Griechenland nach Deutschland 2015/16 kamen auch viele Überlebende syrischer Folter-Gefängnisse in die Bundesrepublik. Manche schweigen, da sie Angst um ihre noch in Syrien lebenden Angehörigen haben. Einige wenige wagen den Weg nach Karlsruhe, zur Generalbundesanwaltschaft, reichten Klage ein. Möglich ist dies aufgrund des sogenannten Weltrechtsprinzips. Robert Frau erklärt Euronews-Reporter Hans von der Brelie, was es damit auf sich hat.

Euronews:
“In Syrien wird gefoltert, die strafrechtlichen Verfahren aber werden in Deutschland angestrengt. Warum in Deutschland?”

Robert Frau:
“Das ist dem Weltrechtsprinzip geschuldet. Das Weltrechtsprinzip sagt, dass besonders schwere Straftaten von jedem Staat der Welt verfolgt werden dürfen. Und Deutschland nimmt sich dieses Recht heraus, vielleicht aufgrund der eigenen Geschichte und weil sich Deutschland als Vorreiter im Völkerstrafrecht versteht und bestimmte Straftaten in Deutschland bestraft wissen möchte, auch wenn es keinen direkten Bezug zu Deutschland gibt.”

Euronews:
“Wo wird dieses Weltrechtsprinzip überhaupt angewandt?”

Robert Frau:
“Dieses Prinzip wird nur selten angewandt und nur von wenigen Staaten – bei Straftaten wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord.”

Euronews:
“Ist es möglich, den Präsidenten Syriens zu belangen?”

Robert Frau:
“Da gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten. Die erste Möglichkeit ist, dass der Staat Syrien selber die Strafverfolgung durchführt, das ist dann natürlich eine politische Frage oder eine Frage, wie sich der Konflikt weiterentwickelt. Die zweite Möglichkeit wäre, dass ein anderer Staat der Welt aufgrund des Weltrechtstprinzips die Strafverfolgung übernimmt.”

Euronews:
“Was ist denn dann der nächste Schritt? Angenommen, die Ermittlungen bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe führen zu greifbaren Ergebnissen, was dann?”

Robert Frau:
“Dann wird es etwas schwieriger. Das bedeutet, dass ein Ermittlungsverfahren aufgenommen werden kann, vielleicht auch ein Haftbefehl beantragt wird. Allerdings gibt es ein prozessurales Korrektiv. Es gibt die Möglichkeit, dass ein Prozess eingestellt wird, denn die deutsche Strafprozessordnung sieht vor, wenn der Verdächtige sich in absehbarer Zeit nicht in Deutschland aufhalten wird, dann kann das Verfahren eingestellt werden.”

Euronews:
“Angenommen Deutschland könnte mit einem internationalen Haftbefehl verantwortlichen Folterern habhaft werden, wie könnte juristisch gesehen die Aufarbeitung aussehen?”

Robert Frau:
“Die strafrechtliche Aufarbeitung sieht dann tatsächlich so aus, dass sich diese konkrete Person für konkrete Vorwürfe vor einem deutschen Strafgericht verantworten müsste, also eine rein strafrechtliche Aufarbeitung, keine politische, keine moralische, sondern eine strafrechtliche, ein Teil der generellen Aufarbeitung des Konflikts.”

Euronews:
“Wie kommt der Mann nach Deutschland? Angenommen wir haben einen syrischen Geheimdienstchef, der auf der Liste der Generalbundesanwaltschaft Karlsruhe steht, der dann mit internationalem Haftbefehl wegen Folter gesucht wird. Und dann geht der Mann irgendwann einmal auf Einkaufstour nach London oder Lissabon. Was dann?”

Robert Frau:
“Dann kommt es darauf an, in welchem Staat sich der Verdächtige aufhält. Wenn er sich tatsächlich in einem benachbarten Staat aufhält, in einem europäischen Staat, dann wird dieser europäische Staat vielleicht diesen europäischen Haftbefehl vollstrecken, den Geheimdienstchef festsetzen und vielleicht nach Deutschland überstellen. Das ist aber nicht gesagt, dass das tatsächlich in jedem Staat passiert. Auch nicht in Europa.”

Euronews:
“Wer kann strafrechtlich überhaupt belangt werden? Nur die, die im Folterkeller selber Hand anlegen? Oder auch die, die im Büro sitzen und die Befehle geben?”

Robert Frau:
“Strafrechtlich verantwortlich sind sowohl die, die selber Hand anlegen und selber foltern, wie auch die, die im Büro sitzen und gegebenenfalls auch die politische und mililtärische Führungsspitze eines Staates.”

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