Drohende Corona-Rezession befeuert den Drogenhandel

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Von Hans von der BrelieSabine Sans
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Ein Experte der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht wagt einen Ausblick auf den Drogenhandel nach der Coronakrise.

Andrew Cunningham arbeitet als internationaler Spezialist für Drogenmärkte, Kriminalität und Versorgung beim EMCDDA - European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht). Im Interview mit euronews-Reporter Hans von der Brelie wagt er einen Ausblick auf die Zukunft des Drogenhandels nach der Coronakrise.

Euronews-Reporter Hans von der Brelie:
Haben Sie irgendwelche Veränderungen durch COVID beobachtet?

Andrew Cunningham, EMDDA:
Es war klar, dass es in der Anfangsphase der Pandemie, als viele Länder Beschränkungen einführten, in einigen Gebieten Probleme mit der Verfügbarkeit gab. Einige Drogen waren einfach nicht auf dem Markt verfügbar. Dies führte mancherorts zu Preiserhöhungen und auch zu Qualitäts-Problemen mit den Drogen. Einige Konsumenten sagten, dass die Drogen nicht die gleiche Qualität hatten wie früher. Wir würden eher von einer geringeren Stärke oder Reinheit der Drogen sprechen. Einige Konsumenten berichteten von weniger reinen Drogen auf dem Markt. Es hatte jedoch den Anschein, dass das eher eine vorübergehende Situation zu Beginn der Pandemie war. Gegen Ende des Jahres 2020 beobachteten wir jedoch, dass es sich nicht um eine vorübergehende Situation handelte, es gab an den meisten Orten einen ziemlich starken Wiederanstieg.

Euronews:
Wie passen sich kriminelle Netzwerke an diese COVID-19-Veränderungen an?

Andrew Cunningham:
Heroin und Kokain sind beides Drogen, die außerhalb der EU produziert werden. Sie müssen in die EU eingeführt werden. In der Folge gab es für Heroin Unterbrechungen der Handelsrouten. Der Heroinhandel in die EU läuft über drei Handelsrouten: Die Hauptroute ist die Balkanroute, das ist eine Überlandroute, die von Afghanistan, Iran, Irak, Türkei und dann über diese Balkanroute nach Europa führt. Das ist der Landweg. Und da es sich um den Landweg handelt, haben viele der an den Grenzen verhängten COVID-Beschränkungen einen Teil des Handels auf den Balkanrouten unterbrochen. Lkws wurden zum Beispiel auf ihrem Weg durchs Land von einer Polizei-Eskorte begleitet. Dadurch wurde ein Teil des Heroinhandels nach Europa unterbrochen. Aber uns ist klar, dass sich organisierte Verbrechergruppen sehr schnell anpassen können. Wir haben das während der Pandemie beobachtet. Andere Wege, über die das Heroin kommt, sind die Seeschifffahrtsrouten, von der Küste südlich von Pakistan, zum Iran, in den Indischen Ozean und normalerweise nach Afrika und dann hoch nach Europa. Während der Pandemie haben wir beobachtet, dass ein Teil der maritimen Drogenschifffahrt auf den Suez-Kanal ausgewichen ist und vom arabischen Meer durch den Suez-Kanal ins Mittelmeer und auf diesem Weg nach Europa kommt. Es ist also ganz klar, dass sich das organisierte Verbrechen sehr schnell an die Beschränkungen anpassen kann.

Der Kokainhandel in Europa wurde nicht so stark gestört, außer wenn es um kleine Mengen ging, denn der Handel mit Flugpassagieren ist aufgrund der Beschränkungen fast auf null zurückgegangen. Der Schmuggel auf diesem Weg wurde vollständig unterbunden. Allerdings wurde aus einigen Ländern berichtet, dass der Handel mit Kokain per Luftfracht weiter zunimmt. Aber die großen Mengen an Kokain, die nach Europa kommen, werden in Seecontainern transportiert. In Containern werden normalerweise legale Waren transportiert. Bei vielen dieser Waren handelt es sich um verderbliche Güter wie exotische Fruchtsäfte - die werden auch während der Pandemie gehandelt genauso wie das Kokain. Ich sage oft: Wenn Sie in den Supermarkt gehen und Bananen in den Regalen sehen, dann wird es in Europa auch Kokain geben.

Anpassungsfähigkeit des Drogenvertriebs

Euronews:
Haben Sie Veränderungen bei der Verteilung von Drogen beobachtet?

Andrew Cunningham:
In der Anfangsphase der Pandemie gab es eine sehr hohe Polizeipräsenz auf den Straßen, weil man sicherstellen wollte, dass die Leute während der Ausgangssperren zu Hause blieben. Der Drogenverkauf auf der Straße ging sehr schnell zurück und in vielen Ländern stiegen die Beschlagnahmungsraten für Drogen stark an, weil die Polizei verstärkt Autos kontrollierte und in der Folge auch mehr Drogen fand. Die Anpassungsfähigkeit des Drogenvertriebs auf lokaler Ebene aufgrund der Pandemiebeschränkungen war ein wichtiger Faktor. Wir haben festgestellt, dass vermehrt soziale Medien und Kommunikations-Apps oder Online-Bestellungen mit Postzustellung genutzt wurden. Das wird unserer Einschätzung auch nach der Coronakrise so bleiben. Darknet-Märkte scheinen eine bequemere Methode für einige Konsumenten zu sein, um an kleine Mengen von Cannabiskraut zu gelangen, zum Beispiel. Diese Entwicklungen waren schon vor der COVID-19-Pandemie zu beobachten. Die Lockdowns haben die Nutzung dieser Methoden jedoch verstärkt. So wie wir jetzt Meetings auf Online-Plattformen abhalten und von zu Hause aus arbeiten, müssen wir uns schnell an diese Methoden anpassen und darauf reagieren, denn einige diese alternativen Drogenbeschaffungs-Methoden werden auch nach der Pandemie weiter genutzt werden.

Euronews:
In Bezug auf die beobachteten Veränderungen: Wird das noch eine Herausforderung für 2021 sein?

Andrew Cunningham, EMDDA:
Es wird eine "neue Normalität" geben, da können wir die Zukunft natürlich nicht vorhersagen, aber es gibt einige Hinweise darauf, dass es nach der Coronakrise eine verstärkte Arbeitslosigkeit und in der Folge eine tiefe wirtschaftliche Rezession geben wird. Die negativen wirtschaftlichen Folgen werden wahrscheinlich zu einem Anstieg der drogenbezogenen Kriminalität führen. Ein Großteil der Bevölkerung wird weniger Einkommen zur Verfügung haben, was bedeutet, dass weniger Geld in der Tasche ist, um Drogen zu kaufen. Das könnte dazu führen, dass Konsumenten möglicherweise ihren Alkoholkonsum erhöhen oder nach preiswerteren Substanzen wie neuen psychoaktiven Substanzen suchen oder schädlichere Einnahmemethoden wie das Injizieren wählen. Eine potenzielle Bedrohung ist der Konsum von Methamphetaminen in Europa, und es gibt derzeit Hinweise auf einen Anstieg der Crystal-Meth-Produktion in Europa. Im Moment scheint es nur für den Export zu sein, aber wir können nicht ausschließen, dass es sich um einen angebotsseitigen Push handelt, d.h. dass Produzenten versuchen, einen Markt zu etablieren, der noch nicht existiert. Und die tiefe Rezession, die ich erwähnt habe, könnte die richtigen Bedingungen für eine solche Bedrohung schafften. Es gibt auch eine bedeutende Produktion von Methamphetaminen in Afghanistan. Die Handelsrouten für Heroin nach Europa sind gut etabliert, und es besteht ein deutliches Potenzial, dass diese Handelsrouten auch für Methamphetamine genutzt werden, die nach Europa kommen - das könnte zu einem großen Problem nach der COVID-Pandemie werden.

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