Bereit für den Notfall: Die Prepper-Bewegung in Pandemiezeiten

Bereit für den Notfall: Die Prepper-Bewegung in Pandemiezeiten
Copyright euronews
Von Valérie GauriatSabine Sans
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button
Den Link zum Einbetten des Videos kopierenCopy to clipboardCopied

Sie vergraben einen Grundstock zum Überleben, sie trainieren Survival-Techniken in der freien Natur: In Pandemiezeiten interessieren sich immer mehr Menschen für ein Überlebens-Training.

Überlebenskünstler oder sogenannte Prepper rüsten sich schon lange für den Ernstfall. Hat die Coronakrise dieser verschlossenen Gemeinschaft Auftrieb gegeben? Eine Unreported-Europe-Reportage aus Spanien.

Survival-Training in der Natur

Ein sonniger Tag in den Bergen nur eine Stunde von der spanischen Hauptstadt Madrid entfernt. Aus ganz Spanien sind Menschen angereist, um an einer ungewöhnlichen Outdoor-Aktivität teilzunehmen.

Es ist einer der vielen Überlebenskurse, die im ganzen Land organisiert werden. Den Teilnehmern werden grundlegende Überlebensfähigkeiten wie Feuer machen beigebracht für den Fall einer Katastrophe.

Juan José López ist seit Jahren ein Survival-Lehrer, ein sogenannter Prepper oder Überlebenskünstler. So werden Menschen genannt, die sich auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten, die jederzeit eintreten kann. Ein Glaube, der dem Ausbilder an der spanischen Überlebensschule zufolge mit der Pandemie an Boden gewonnen hat:

"Die Menschen beginnen zu erkennen, dass ein Leben in den Tag hinein kontraproduktiv ist. Wenn wir die Fähigkeiten haben und darauf vorbereitet sind, Höhepunkte einer Pandemie oder Katastrophen mehrere Tage zu überleben, kann uns das retten."

Im vom Corona-Virus schwer gebeutelten Spanien interessieren sich immer mehr Menschen für ein Überlebenstraining. In weniger als einem Jahr ist die Nachfrage um mehr als 30 Prozent gestiegen, erzählt der Leiter der Survival-Schule:

"Eine Sache ist es, zu überleben, wenn man sich in den Bergen verirrt hat", meint Ignacio Ortega, Direktor der Escuela Española de Supervivencia y Bushcraft EES&B. Es ist eine andere Notsituation, wenn der ganze Staat betroffen ist. Wenn Rettungsteams, das soziale Sicherungssystem, das Gesundheitssystem zusammenbrechen. Dann merken die Menschen, dass sie sich nicht wie sonst auf die Hilfe von außen verlassen können. Man braucht Selbstmanagement, Selbstsicherheit. Es ist normal, dass man das trainieren will."

Prepper aus Pandemieangst

Die Covid-19-Krise hat Pascual zum Prepper gemacht. Der Unternehmer kommt aus Valencia. Er hat vier Stunden Weg auf sich genommen, um den Kurs zu besuchen; er will lernen, seine Familie zu schützen:

"Was mich dazu motiviert hat, diesen Kurs zu machen, ist die Unsicherheit, die wir gerade erleben. Ich mache mir nicht so sehr Sorgen über die Pandemie, sondern darüber, was danach passieren kann. Die Wirtschaftskrise, unter der wir leiden und unter der wir noch jahrelang leiden werden. Wenn die staatliche Hilfe ausläuft, kommt es vielleicht zu Massenentlassungen. Es kann zu Lebensmittelknappheit in den Städten kommen, zu chaotischen Zuständen, zu Revolten. Deshalb ergreife ich lieber selbst die Initiative und bereite mich vor, nur für den Fall der Fälle."

In den sozialen Medien florieren Prepper-Gemeinschaften, in denen die Mitglieder Tipps austauschen, um mit möglichen Katastrophen fertig zu werden. Es ist nicht einfach, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Ein Mann, der der euronews-Reporterin am Abend ein Lager in Madrid zeigen wollte, hat sie versetzt. Insgesamt viermal haben Prepper, mit denen sie in verschiedenen Städten Spaniens verabredet war, den Termin in letzter Minute abgesagt.

Einer der Kontakte schickt ein Video über die Vorräte, die er für den Katastrophenfall auf Lager hat: Treibstoff, Survival-Kits, Konserven, aber auch Tarnkleidung, Atomschutzausrüstung, Waffen und Munition – das sind nur einige der Gegenstände, die Prepper in individuellen oder kollektiven Lagerräumen aufbewahren, die immer geheim gehalten werden.

euronews
Einblick in ein Prepper-Lagereuronews

Das Prepper-Weltbild wird oft von rechtsextremen Kreisen aufgenommen

Die Prepper-Bewegung entstand in den USA während des Kalten Kriegs. Das Weltbild wird oft von rechtsextremen Kreisen aufgenommen.

In Europa entwickelte sich die Prepper-Bewegung oft in weniger radikalen Formen. Die Philosophie der sogenannten "Neo-survivalists" ist aber laut Experten nicht weniger bedenklich.

"Prepper organisieren sich in Gemeinschaften, die alles teilen, um über die Runden zu kommen", erklärt der Soziologe Bertrand Vidal. "Um ihr Weltbild zu verdeutlichen, verwenden sie die Fabel von der Heuschrecke und der Ameise. Auf der einen Seite stehen die Grashüpfer, die den Winter nicht kommen sahen, die Katastrophe. Mit anderen Worten: wir. Und auf der anderen Seite gibt es die Überlebenskünstler, die Ameisen, die sich organisieren, die Vorräte anlegen und sich in Gemeinschaften, Kolonien zusammentun. Sie wären die Auserwählten der Apokalypse, die Auserwählten der Welt danach, die Gewinner, während wir Grashüpfer die Verlierer wären und es quasi verdient hätten, während des Weltuntergangs zu sterben, der von den Überlebenskünstlern vorhergesehen, aber auch erhofft wird."

Zurück zur Natur

Auch die Familien, die die euronews-Reporterin in der Nähe von Toledo trifft, sind auf die Welt danach vorbereitet. Aber sie wollen ihr Wissen teilen. Die erfahrenen Prepper zeigen der Reporterin die Orte, an denen sie mit der Natur eins werden. Sie nutzen uralte Techniken wie einen eingegrabenen Erdofen – den gab es bereits in der Frühzeit.

"Eine Sache ist es, auf das vorbereitet zu sein, was passieren könnte, und eine andere, auf diejenigen vorbereitet zu sein, die dir schaden wollen", meint Prepper und Überlebenslehrer Javier Garcia Serrano. "Denn leider gibt es, wenn etwas Schlimmes passiert, immer Leute, die töten, rauben oder plündern. Man muss also immer versuchen, seine Habseligkeiten zu verstecken, grundlegende Dinge an geheimen Orten zu vergraben. Das kann einem aus der Patsche helfen. Ich hoffe, es wird nichts passieren. Aber früher oder später wird es dazu kommen."

Vorbereitet sein für den Fall der Fälle

Roberto Fernández García und seine Frau Melania Moreno Varas  haben vor einem Jahr eine Überlebensschule gegründet. Das Vergraben von Gegenständen in der Natur, um mehrere Monate zu überleben, ist Teil ihrer Lehren. Sie haben zur Demonstration eine Prepper-Tonne vorbereitet: Medizinische Ausrüstung, Konserven, Saatgut, Kerzen, Seife, Seile und Messer gehören zu einem Prepper-Grundstock. Ein Stein dient als Orientierungspunkt, um die Tonne wiederzufinden. Die Schätze der Familie – weitaus größere Mengen - sind anderswo versteckt.

euronews
Der Grundstock für eine Prepper-Tonne, die vergraben wird.euronews

"Wir sind eine Familie mit 4 Personen, bald 5, da würde ein so kleine Tonne nicht ausreichen. Wir haben 3 Kisten, die an mindestens zwei verschiedenen Stellen in Spanien vergraben sind. Eine davon enthält die gesamte medizinische Ausrüstung, eine andere ist für Lebensmittel, und die dritte enthält alles, was wir für zur Selbstverteidigung brauchen."

Ist das Paar davon überzeugt, alle diese Dinge eines Tages wirklich zu brauchen, will die Reporterin wissen:

"Es kann Naturkatastrophen geben, weil der Planet in einen immer schlechterem Zustand kommt", meint Melania Moreno Vara. "Es kann andere Pandemien geben. Es können alle möglichen Konflikte ausbrechen. Also ja, ich denke, ich werde unsere Vorräte vielleicht eines Tages brauchen. Wenn nicht, umso besser. Aber wenn ich sie brauche, dann gibt es sie." Und Ihr Mann fügt an: "Es gibt Leute, die denken, dass man, wenn man sich auf diese Eventualitäten vorbereitet, dass Menschen, die das Überleben ernst nehmen, verrückt sind. Aber was gibt es Besseres, als zur Natur zurückzufinden und sich vorzubereiten. Ohne sich den ganzen Tag damit zu beschäftigen und Angst zu haben, dass morgen die Welt untergeht. Man bereitet sich nicht auf den Weltuntergang vor, sondern für den Fall, dass er eintritt."

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Familiendrama von Montreux: Polizei vermutet kollektiven Selbstmord

Corona-Lockdown treibt Sexarbeiterinnen in die Illegalität - oder in die Armut

Hat Frankreich aus den Terroranschlägen von 2015 seine Lehren gezogen?