Krise in der deutschen katholischen Kirche - eine Institution am Scheidepunkt

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Von Valérie GauriatVerena Schad
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In der deutschen katholischen Kirche herrscht eine Unruhe, die in Europa beispiellos ist. Immer mehr Reformer innerhalb der Kirche tanzen aus der Reihe und organisieren Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare oder Sonntagspredigten, gehalten von Frauen.

In der deutschen katholischen Kirche herrscht eine Unruhe, die in Europa beispiellos ist. Nach Pädophilie-Skandalen und Debatten um diskriminierende Strukturen gegenüber Frauen und Homosexuellen steht die Institution an einem Scheidepunkt.

Immer mehr Reformer innerhalb der Kirche tanzen aus der Reihe und organisieren Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare oder Sonntagspredigten, gehalten von Frauen.

Die, die auf Reformen drängen warten ungeduldig auf Ergebnisse des Synodalen Wegs, des Reformprozesses, den die katholische Kirche unter dem Druck immer massiverer Kritik selber angestoßen hat.

Krise in der deutschen katholischen Kirche - ein Institution am Scheidepunkt

Aufbegehren gegen den Vatikan: Deutsche Priester segnen Homosexuelle

Vor der katholischen St. Pankratius Kirche in Köln Junkersdorf wehen stolz Regenbogenfahnen, die Farben der LGBT-Gemeinschaft. Die Kirchengemeinde ist eine von rund 100, die im Mai unter dem Motto „Liebe gewinnt“ bundesweit öffentliche Segnungen von homosexuellen Paaren organisiert haben.

Pfarrer Wolfgang Fey hat den Bund von Karin Hörstmann und ihrer Frau Britta am 17. Mai gesegnet. „Wir haben 2008, als wir unsere eingetragene Lebenspartnerschaft begründet haben, schon einmal einen Segen von einem damals suspendierten katholischen Priester empfangen. Aber das war alles eher in einem heimlichen Rahmen, es war nicht sichtbar“, sagt Karin Hörstmann.

Die offizielle Segnung durch Pfarrer Wolfgang Fey wäre für sie und ihre Frau ein sehr beeindruckender und tief bewegender Schritt aus der Verborgenheit gewesen.

Die Vorstellung von Familie habe sich eben verändert, sagt Pfarrer Wolfgang Fey. „Und der Seelsorger, der Priester, der Segen, sie gehören mitten ins Leben, mitten unter die Menschen. Und wir müssen wachen Sinnes, wachen Auges wahrnehmen, was geschieht, wie die Menschen leben. Wir sollten das aktuelle Leben lernen und mit den Menschen leben."

Pädophilie-Skandale und massenhafte Kirchenaustritte

Die Segnungen homosexueller Lebensgemeinschaften verstößt gegen die vatikanische Doktrin. Sie ist nur ein Teil einer Reformbewegung, die die deutsche katholische Kirche immer mehr in Frage stellt, besonders nach den Pädophilie-Skandalen der vergangenen Jahre.

Kardinal Woekli, Erzbischof von Köln, verzögert die Veröffentlichung eines 800-seitigen Berichts über sexuellen Missbrauch von Minderjährigen von Mitgliedern seiner Diözese, der größten und reichsten in Deutschland. Ihm wird vorgeworfen, er decke die Täter. Die Empörung unter den Katholiken wächst.

Täglich kommen Menschen in die Amtgerichte, um aus der Kirche auszutreten. 272.771 Austritte aus der katholischen Kirche waren es allein im Jahr 2019 – ein neuer Rekord. Aus der evangelischen waren es fast genauso viele.

Die Austritte sind so zahlreich, dass der Server der Landesjustizverwaltung in Köln Anfang des Jahres zeitweise überlastet war, sagt der Sprecher des Kölner Gerichts Maurits Steinbach. 

Statt wie früher 600 Termine pro Monat, würden sie jetzt rund 1.800 Termine anbieten, um die Anfragen abarbeiten zu können.

Außerhalb des deutschsprachigen Raums existiert in nur wenigen Ländern eine Kirchensteuer. In Frankreich, England, den Niederlanden, selbst im katholischen Polen wird keine Kirchensteuer erhoben. In Spanien und Italien können die Menschen in ihrer Steuererklärung angeben, welche Religionsgemeinschaft begünstigt werden soll oder ob ihre Steuer sozialen Zwecken zugutekommen soll.

Maria 2.0 - Glauben, aber ohne Institution Kirche

Doris Bauer war viele Jahre in der katholischen Kirche sehr aktiv. Vor einem Jahr ist sie ausgetreten. Aber sie engagiert sich weiterhin innerhalb der christlichen Gemeinschaft, in der Bewegung Maria 2.0, die für eine tiefgreifende Reform der Kirche steht.

"Die Forderungen von Maria 2.0, sind die Aufarbeitung aller Ursachen von sexualisierter Gewalt, dass die Täter kein Amt mehr bekleiden dürfen, dass Frauen Zugang zu allen Ämtern in der Kirche haben. Auch das Pflichtzölibat muss verändert werden. Und die Sexualmoral, die wirklich nicht mehr der Lebenswirklichkeit der Menschen entspricht, die einfach nur ausgrenzt und menschenverachtend ist"

Ideen zur Modernisierung der katholischen Kirche, wie Maria 2.0 sie propagiert, spalten Konservative und Reformer innerhalb des deutschen Klerus.

Maria 2.0 setzt sich außerdem für die Umwidmung der Kirchensteuer ein. Mit ihrem neu gegründeten Verein "Umsteuern! Robin Sisterhood" bieten sie denen, die austreten wollen, die Möglichkeit, stattdessen für gute Zwecke zu spenden.

Der Synodaler Weg - Reform oder Feigenblatt?

Auf dem sogenannten Synodalen Weg soll die Zukunft der Kirche diskutiert werden. Die 2019 von der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken angestoßene Debatte soll bis 2022 Ergebnisse liefern und letztlich einen Reformprozess einleiten.

Marianne Arndt ist in den Synodalen Weg eingebunden. Seit Jahren arbeitet sie für die Kirche. Jeden Monat besucht sie ein Pflegeheim in Köln und predigt dort. Das ist für Frauen nur dann erlaubt, wenn die Sakramente zuvor von einem Priester gespendet wurden. Eine Ungleichheit und Ungerechtigkeit finden viele in dem Pflegeheim, so wie Mathias Hofmann. "Der Mensch ist Mann und Frau, so wurde er als Ebenbild von Gott geschaffen“, sagt er. „Ich finde es nicht richtig, dass es einem Teil der Menschheit nicht gestattet ist, zu verkündigen.“

Unsere Kirche ist in Gefahr, auseinanderzufallen, wenn wir es nicht schaffen, die verschiedenen Strömungen, auch die verschiedenen Ansichten zusammenzuhalten.
Generalvikar Klaus Pfeffer, Bistum Essen

Im Mai hat Marianne Arndt an einem "Predigerinnentag" teilgenommen. In zwölf katholischen Kirchen hatten Frauen Gottesdienste abgehalten, um das Recht einzufordern, offiziell predigen zu dürfen, gleichberechtigt mit ihren männlichen Kollegen, den Priestern.

"Die katholische Kirche hat im Mittelalter den Mädchen das Schreiben und die Bildung ermöglicht. Heute muss sie Frauen gleiche Rechte in ihrer Institution ermöglichen, damit weltweit Frauen gleiche Rechte, gleiche Pflichten, gleiche Verantwortung tragen können und damit das Gesicht der Welt verändern", so Marianne Ardt.

Kampf für mehr Pluralität in der Kirche

Der Wind der Veränderung weht in einem Teil der deutschen katholischen Kirchenhierarchie. Und der bläst immer stärker.

Das Bistum Essen gehört zu denen, die auf Reformen drängen. Ihr Generalvikar Klaus Pfeffer wünscht sich Veränderungen bei den Strukturen und der Lehre. „Die Unruhe und Unzufriedenheit im innersten Kern der katholischen Kirche, sie ist enorm. Unabhängig vom Missbrauchsskandal", so Klaus Pfeffer.

Er sagt, dass die zunehmende Entfremdung der Menschen von der Kirche und auch der Rückgang von Priestern, Prozesse sind, die nicht mehr zu stoppen sind, wenn sich nichts ändert.

"Unsere Kirche ist in Gefahr, auseinanderzufallen, wenn wir es nicht schaffen, die verschiedenen Strömungen, auch die verschiedenen Ansichten zusammenzuhalten. Und deshalb kämpfen wir so sehr für Veränderung, für Reformen und auch für mehr Pluralität in der Kirche, für mehr Offenheit, um dann diese Entwicklung zu stoppen, dass uns immer mehr Menschen uns verlassen.“

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